Wenn das Blut wie Neon leuchtet und Rache zum Pop-Art-Gemälde wird
Der französische Regieerstling aus dem Jahr 2017 ist kein stilles Debüt, sondern ein Paukenschlag – ein filmisches Inferno, das das Exploitationkino der Siebzigerjahre durch einen feministischen Fleischwolf dreht und auf der anderen Seite in grellem Neon wieder ausspuckt. Eine visuelle und thematische Explosion, eine grellbunte Abrechnung mit dem männlichen Blick und ein Triumph des stylisierten Wahnsinns. Coralie Fargeat inszeniert „Revenge“ mit einer derart selbstbewussten Wucht, dass man fast glauben könnte, Quentin Tarantino hätte eine Glitzerpistole entdeckt und beschlossen, seine ganze Filmografie durch ein pinkfarbenes Kaleidoskop zu jagen. „Stylish“ wäre die Untertreibung des Jahrzehnts. Dieser Film ist ein pulsierendes, glitzerndes, hyperästhetisiertes Inferno. Jeder Frame ein Poster, jede Einstellung ein Statement. Und während Blut, Schweiß und Wüstensand ineinander übergehen, entfaltet sich eine Rachegeschichte, die so archetypisch wie archaisch ist – und dabei doch völlig neu wirkt.
Die Geschichte ist so alt wie das Kino selbst – oder vielleicht sogar älter: Eine Frau wird Opfer männlicher Gewalt, überlebt das Unmögliche und kehrt zurück, um ihre Peiniger in blutigen Staub zu verwandeln. Doch Fargeat macht aus diesem ausgelutschten Plot keine Opfergeschichte, sondern eine Emanzipationshymne in Cinemascope. Jen (grandios: Matilda Lutz) ist die Geliebte eines verheirateten Mannes, die mit ihm ein Wochenende in einer abgelegenen Wüstenvilla verbringen will. Doch als zwei seiner Jagdfreunde früher als erwartet eintreffen, kippt die Stimmung – das Testosteron-Level steigt und das Spiel mit Blicken, Begierden und Macht kippt endgültig, als einer der Männer Jen vergewaltigt. Was folgt, ist kein klassischer „rape and revenge“-Plot, sondern eine stilisierte Metamorphose: Jen überlebt – halb tot, blutüberströmt, in den Abgrund gestoßen – und erhebt sich, phoenixgleich, um ihre Peiniger zu jagen.
Was wie ein klassisches Exploitation-Szenario beginnt, wird bei Fargeat zu einer surrealen, fast mythischen Transformation. Die Wüste wird zur Arena, das Blut zum Symbol, und Jen selbst – mit blutverschmiertem Körper und Schrotflinte in der Hand – zur feministischen Ikone, halb Amazonin, halb Mad Max. Fargeat verzichtet auf überflüssige Dialoge, lässt Bilder, Sound und Symbolik sprechen. Das Tempo ist präzise kalkuliert, die Eskalation fast mathematisch aufgebaut. Für ein Regiedebüt ist Fargeats Handwerk verblüffend souverän. Die Regisseurin weiß genau, wann sie das Tempo anzieht und wann sie die Kamera verharren lässt. In manchen Szenen glaubt man fast, Gaspar Noé hätte eine ästhetische Schulung bei Nicolas Winding Refn absolviert – und beide hätten anschließend beschlossen, ihre Erkenntnisse in einem Splatterfilm zu testen. Fargeat kreiert eine surreale Hitze, in der Realität und Halluzination verschwimmen. Das Blut dampft, der Sand klebt, die Sonne verbrennt alles, was schwach ist. Der Film gleitet mühelos zwischen sinnlicher Erotik, greller Gewalt und fast schon comicartiger Überhöhung.
Wenn „Revenge“ zuschlägt, dann mit der Kraft eines Presslufthammers. Die Action ist roh, physisch, gnadenlos. Hier knallt nichts zufällig – jeder Schuss, jeder Messerstich hat Gewicht. Das Blut fließt in Strömen – nein, in Literströmen – und verwandelt die Leinwand in ein expressionistisches Gemälde aus Rot und Ocker. Die Gewaltspitzen sind hart, eine Übersteigerung als Stilmittel – grotesk, überlebensgroß, beinahe schon barock. Die Kameraarbeit von Robrecht Heyvaert ist schlicht atemberaubend. Die ultrastylishe Optik, diese bonbonfarbenen Farbkontraste, dieses fast schon grotesk gesättigte Licht – da würde selbst Michael Bay vor Neid erblassen. Fargeat und Heyvaert inszenieren die Wüste wie einen lebendigen Organismus. Die langen One-Shot-Sequenzen, die fließenden Bewegungen, das rhythmische Wechselspiel von Nahaufnahme und Totale – all das zeugt von einer inszenatorischen Raffinesse, die man einem Erstlingswerk kaum zutraut. Das Resultat ist ein visueller Rausch: ein Blutbad in Cinemascope, ein Videoclip aus der Hölle, der doch nie in reiner Oberfläche versinkt. Der Synth-Score von Robin Coudert trägt den Film wie ein fiebriger Puls. Elektronisch, treibend, hypnotisch – irgendwo zwischen John Carpenter, Kavinsky und einem halluzinogenen Albtraum.
Im Zentrum dieser blutgetränkten Odyssee steht Matilda Lutz, die hier eine Performance liefert, die man schlicht als tour de force bezeichnen muss. Anfangs ist sie das naive, kokettierende „Girlie“ im Minirock – Objekt der Begierde, fast eine Karikatur männlicher Fantasie. Doch im Verlauf des Films verwandelt sie sich in eine unerbittliche Kriegerin, deren Blick kälter ist als der Lauf ihrer Waffe. Ihre körperliche Präsenz ist überwältigend. Lutz trägt den gesamten Film auf ihren blutigen Schultern, und das mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht. Die Männer – Kevin Janssens, Vincent Colombe und Guillaume Bouchède – spielen ihre Rollen mit genüsslicher Widerwärtigkeit. Sie sind keine eindimensionalen Bösewichte, sondern Abziehbilder toxischer Männlichkeit – bewusst überzeichnet, aber nie lächerlich.
Fazit
„Revenge“ ist ein neonfarbenes Fieber, ein wüstes Ritual aus Schmerz, Stil und Selbstermächtigung. Coralie Fargeat beweist mit diesem Debüt, dass sie nicht nur visuelles Talent besitzt, sondern auch ein messerscharfes Gespür für filmische Symbolik und Genretranszendenz. Ihre Bildsprache ist klar und kompromisslos, ihre Inszenierung technisch brillant. Lange Oneshot-Sequenzen, dynamische Perspektivwechsel, makelloses Schnittgefühl. Wo andere Regisseure nach ihrem ersten Film noch suchen, hat Fargeat bereits gefunden: eine Handschrift, die unverwechselbar ist. Zwischen hyperästhetischem Splatter, ironischem Augenzwinkern und feministischer Rebellion balanciert sie mit traumwandlerischer Sicherheit. Dieser Film ist roh, grell, überbordend, kompromisslos – und genau deshalb so elektrisierend.
Ein Film wie ein Stromschlag. Ein Rachetrip als Kunstwerk. Ein Debüt, das kracht, blutet und funkelt.
Ein blutgetränktes, hypnotisches, ultrastylishes Meisterstück – und ein Versprechen für die Zukunft des modernen Genrekinos.