Fortschritt durch Technik
„The Man with the Movie Camera“ ist einer der entscheidendsten und mutigsten „Experimentalfilme“ in der Filmgeschichte. Ein russisches Kinomonument. Ein echtes Statement. Ein Wegweiser. Ein tricktechnisches Wunderwerk. Und viel eher beeindruckende Technikstudie als echtes Erzählkino. Und doch unfassbar kraftvoll und augenöffnend… Über einen Tag im Kiev der späten 1920er - und einen Regisseur meist mit seiner Kamera auf der Schulter, der durch die Stadt flitzt und nach den besten Bildern, Momenten, Menschen und Vergleichen sucht…
Kamera heißt Leben, Kino heißt Magie, Schnitt heißt Spannung
Zusammen mit den Werken von Eisenstein gehört „Der Mann mit der Kamera“ sicher zu den wichtigsten russischen Filmen aller Zeiten. Und er hat mich auch heute noch, fast zu seinem 100-jährigen Jubiläum, tief beeindruckt. Man versteht sofort, warum das in jedem Filmstudium drankommt, warum und wie dass die Kameraarbeit weltweit verändert hat, wie heftig das die Grenzen des Möglichen und der filmischen Fantasie verschoben hat, wie mindblowing frisch, frech und frei sich das erst recht damals angefühlt haben muss. Gar nicht allzu politisch, obwohl Kiev als hauptsächlicher Drehort gerade aus heutiger Sicht natürlich besonders Brisanz besitzt. Aber viel mehr fängt dieser zackige bis lebensmüde Kameramann Menschen, Momente und das Leben selbst ein - nur um es dann in Sekundenschnelle zu purem Kino zu verschmelzen. Das hat krasseste Metaaspekte, das ist Selbstporträt und Doku, Liebeserklärung und Warnung zugleich. Die Liste an Kameratricks und Methoden (Jumpcuts, Überschneidungen, Montage, Freeze Frame, Stop Motion, Splitscreen u.v.v.m.) ist länger als der Kreml erlaubt, das spielt mit Raum, Zeit und Größenverhältnissen frohlockt. Das soll selbst Eisenstein damals kaum geheuer gewesen sein und das war seiner Zeit allgemein Universen voraus. Da kann man nur staunen, lernen und große Augen machen. Das lässt man gerne über sich schwappen, da sitzt man andächtig da. Da geht’s um’s Handwerk sowie die Kunst, da geht’s um die Sowjetunion sowie um die ganze Welt, da geht's um's Schneiden wie Aufnehmen, um Augenblicke sowie das große Ganze. Ein Essay, eine Collage, eine Studie, ein Zeitdokument, ein Zauberstück. Und sicher einer der wichtigsten Filme, die man überhaupt finden und gucken kann. Und das auf knackigen 67 Minuten. Perfektion muss halt nicht ausufern. Ganz im Gegenteil.
Fazit: (Kamera-)Technisch wahrscheinlich der wichtigste Film aller Zeiten. Waghalsig, wegweisend, wild - und bis heute (!) für jeden angehenden Kameramann und Filminteressierten unumgänglich Pflichtprogramm, Grundausbildung und Vorbild!