Zeit. Ihr voranschreiten ist unaufhaltsam, ganz egal was auch passiert, selbst wenn es irgendwann möglich sein sollte bestimmte Punkte in ihrem Verlauf gezielt anzusteuern. Selbst wenn die Erde irgendwann aufhört sich zu drehen, die Zeit bleibt niemals stehen. Sie überdauert alles, unser bescheidenes Dasein ebenso wie die Existenz des Universums.
Es gibt 2 Sorten Menschen. Die einen scheinen zu wenig Zeit zu haben oder bilden sich dies zumindest ein, die anderen zu viel. Letzteres ist hier wohl von Vorteil, wird in jedem Fall benötigt wenn man sich tatsächlich auf "Empire" einlassen will, also nicht bloß den einstündigen Zeitraffer ansehen möchte, der hier vom Künstler sicher nicht beabsichtigt war. Bei "Empire" hat es zumindest den Anschein als seie die Zeit stehen geblieben, wenn auch nur für einen Moment im Hinblick auf ein durchschnittliches Menschenleben von heute.
Fast 500 Minuten, das sind umgerechnet sage und schreibe gut 8 Stunden, lässt uns Warhol vor dem Bildschirm verharren, zeigt uns die beleuchtete Spitze des weltberühmten Empire State Buildings in Manhattan, welches er in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 64 filmte. Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes nicht viel zu sehen. Warhol verzichtete nicht nur auf das Verrücken der Kamera sondern auch auf jeglichen Ton, Hintergrunddialoge wurden sogar absichtlich entfernt. Man soll die Zeit förmlich verstreichen sehen.
Könnte man sich da nicht eigentlich genauso gut 8 Stunden lang in natura vor das mit seinen erstaunlichen 443 Metern damals noch höchste Gebäude der Welt stellen, bis es 72 durch das inzwischen verschiedene World Trade Center ersetzt wurde, das zur Not oder gerade nachts und wäre das nicht viel aufregender? Sicherlich, doch bliebe uns dann das konsequente Fixieren des Blicks auf ein und den selben Fleck wohl erspart, mithilfe dessen wir zumindest versuchen können uns in Hypnose oder Trance zu versetzen. Dies erfordert zweifelsohne ein enormes Maß an Konzentration wobei das ungeübte Subjekt schnell an seine Grenze stößt. So gesehen regt "Empire" graue Zellen an.
Seine unkoventionelle Machart muss man Warhol wie immer hoch anrechnen, da wir alle aber zur Schule gegangen sein sollten ist uns die angestrebte Intention, entfernt ähnlich der eines Lars van Triers bei "Dogville", nicht vollkommen fremd. Kann man seine wertvolle Zeit besser nutzen? Sicherlich, doch kann der Versuch auf Warhols interessantes Experiment einzugehen durchaus lohnen. Wie fühlt sich wohl ein Wachmann der den ganzen Tag auf Überwachungskameras starrt auf denen wenig bis kaum etwas passiert, z.B. von Lagerhallen in denen sich keine Menschenseele aufhält? Eine reine Hypothese, da hier klar der künstlerische Aspekt abgewägt werden muss.
Es sind vor allem die kleinen Dinge die das Leben lebenswert machen. Im wahrsten Sinne minimalste Änderungen über einen langen Zeitraum. "Empire" könnte man bei oberflächlicher Betrachtung als bloßes Standbild abstempeln, auch wenn die Differenzierung vom Film und Bild permanent gegeben ist. Die Sensibilisierung der Augen und der Wahrnehmung quasi als filmische Achtsamkeitsübung. Eines der schlichtesten Werke überhaupt, geradezu koriphäer, in dieser Hinsicht so anspruchsvoll und schwer zu verdauen. Das reinste Paradoxon. Geradezu typisch für seinen exzentrischen Schöpfer...
Eine scheinbar willkürlich entstandende Momentaufnahme eines scheinbar willkürlichen Fleckes in einer scheinbar willkürlich ausgewählten Nacht. So oder so ähnlich wirkt "Empire" auf den ersten Blick. Irgendwo eine Kamera platzieren und dann einfach draufhalten. Das kann ich und jeder andere der über dieses Gerät verfügt fast genausogut. Könnte man natürlich als stümperhaft abtun, in jedem Fall war es eine ausgesprochen mutige Aktion und ganz so willkürlich scheint das Ganze eben doch nicht entstanden zu sein. Typisch für Warhol, quasi möglichst schlecht, aber das möglichst gut.
Die Idee ist mal wieder so herrlich absurd das man "Empire" so gesehen eigentlich lieben muss, jegliche filmische Konvention ignorierend, wenn man auch nicht unbedingt stilvoll, ein Machwerk dessen übertriebene Belanglosigkeit ihm seine Substanz verleiht. "Empire" geht deshalb weit über gewöhnlichen Trash hinaus. Das ultimativ authentische Stück Echtzeit-Zelluloid, welches ihn damit zu einem Film in Reinkultur macht, von dem so eine Menge Faszination ausgehen kann. Ich vermeide hier ganz bewusst das Wort Kunst. Schönheit liegt sowieso immer im Auge des Betrachters und ist ein ganz individueller und dehnbarer Begriff. Nirgendwo wird das so deutlich wie bei Warhols Pop-Art.
Ansonsten bleibt bei soviel Action wohl nur das Ergründen von Warhols zumindest handwerklich wenig tiefgründigem Werk. Er regt gewollt oder ungewollt zum Nachdenken an. Frohes Sinnieren. Wer sich "Empire" komplett antut, ohne Nebenbeschäftigung oder sonstiges wohl gemerkt, was weitaus anstrengender ist als jeder Tag im Büro bei dem es wirklich absolut nichts zu tun gibt, verfällt auf kurz oder lang fast zwangsläufig ins Grübeln. Denken ist nicht verkehrt. Für Grübeln trifft das nicht unbedingt zu. "Empire" kann unter Umständen Kopfschmerzen verursachen. Der ultimative Arschtritt für sensationsgeiles Kinopublikum, ein ebenso so unspektakulärer und unkreativer wie außergewöhnlicher und fragwürdiger Ein-Film-Marathon, bei dem auch das Hinterteil nicht verschont bleibt.