Ich bin selbst immer wieder überrascht, dass die Filme Warhols mich nicht langweilen oder vollkommen enttäuscht zurücklassen, dass die meisten mich im Gegenteil ziemlich begeistern.
Poor Little Rich Girl gehört definitiv zu der Kategorie, bei der ich mir denke, dass der Film rein objektiv gesehen höchstens als Einschlafhilfe gebraucht werden könnte, ich ihn jedoch trotz dieses Wissens von der ersten bis zur letzten Minute interessiert verfolge. Aufgeilt ist Poor Little Rich Girl in zwei Hälften, bedingt durch die beiden Filmrollen, die verwendet wurden. Zugegeben: die Tatsache, dass Warhol bei der ersten einmal mehr auf einem Verfremdungstrip ist und mit der Schärfe seiner Kamera experimentiert, was dazu führt, dass der Betrachter kaum etwas Konkretes erkennen kann, macht sie nicht unbedingt leicht konsumierbar. Im Hintergrund spielen die Everly Brothers und im Vordergrund bewegt sich eine Gestalt, bei der es sich um Edie Sedgwick, den Star des Films, handelt, die eben erst aufgestanden ist und sich ihrer Morgentoilette widmet. Gesprochen wird nicht. Wie durch Dunst und Nebel betrachten wir ihr Appartement und ihren sich regenden Körper, den die fehlende Schärfe unsren Blicken entzieht. Bei der zweiten Rolle stimmt dann alles, man beginnt zu erkennen, und der Film wird zu einer Charakterstudie Edie Sedgwicks. Sie sitzt da, legt Rock N Roll Platten von Buddy Holly auf, raucht einen Joint, telefoniert, kocht Kaffee, probiert ein paar Kleider an, und sieht bezaubernd aus. Aus dem Off redet jemand mit ihr, vielleicht Warhol selbst. Mehr bekommt man nicht zu sehen. Der Film endet so unvermittelt wie er begonnen hat. Für mich war die zweite Hälfte ein wahrer Genuss. Warhol muss ein brillanter Beobachter gewesen sein. Kühl sezierend, emotionslos, alles erfassend versteckt er sich hinter den Kameras seiner Filme, die in Wirklichkeit seine Augen sind – und unsere eigenen. Sein Zutun bezüglich des Films ist minimal. Er schaltete die Kamera ein und ließ Edie Sedgwick reden und tun, was sie wollte. Ab und zu schwenkt die Kamera umher, schießt sich auf ihr hübsches Gesicht ein, zoomt zurück. Es ist verständlich, dass viele einen solchen Film unerträglich langweilig finden werden. Mir bringen sie das Leben nahe, ohne es zu überhöhen. Wann findet man sich in einer Situation wieder, in die man selbst nicht involviert ist und in der man völlig unbeteiligt, als stiller Zuschauer, einen Menschen betrachten kann, der nichts tut außer er selbst zu sein? Voyeuristisch könnte man Warhols Filme nennen, oder wahrhaftig.
Die Höchstwertung verschenkt sich Poor Little Rich Girl allerdings durch die teilweise äußerst anstrengende erste halbe Stunde. Ansonsten ist er, meiner Meinung nach, ein leichter zugängliches Werk Warhols, ein living portrait Edie Sedgwicks, deren Präsenz den Film voll und ganz ausfüllt.