kurz angerissen*
Gäbe es Oscar Bait, die es primär auf den Kostüm-Oscar abgesehen hat, sie müsste wohl aussehen wie "Der seidene Faden". Das im London der 50er Jahre angesiedelte Beziehungsdrama von Paul T. Anderson verwendet immerhin Nadel und Faden, um die komplizierte Zusammenkunft zwischen einem Schneider und seiner Frau aufzuarbeiten. Die Farbentsättigung täuscht nicht darüber hinweg, dass der "Phantom Thread" eine gellende Metapher für das unsichtbare Band ist, das zwei völlig ungleiche, sich magnetisch gegenseitig abstoßende Charaktere wider aller Naturgesetze zusammenhält.
Dass sich ein P. T. Anderson mit seiner Art, Themen aufzubereiten, dem direkten Verständnis des Publikums entzieht, ist ja nun nichts Neues. Zugänglicher als die verkopft gedachten Vorgängerwerke "Inherent Vice" und "The Master" ist sein neuester Streich aber dennoch - trotz der irritierend gezeichneten Machtverhältnisse, die jegliche Dynamik in der Zusammenkunft der Hauptfiguren bestimmen. Mag es dem in RomCom-Kastenformen denkenden Normalbürger auch schwer in den Kopf gehen, die so umständlich wirkende Abfolge von Distanzierungs- und Annäherungsversuchen ist mindestens so authentisch wie sie irrational ist. Sollte der Film den Teilauftrag haben, die Realität in der ein oder anderen Weise abzubilden, so sind derart ungewöhnliche Konstrukte gegenüber dem Gros romantischer Dramen und Komödien noch vollkommen unterrepräsentiert. Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps sind faszinierend in ihren Rollen, letztere dabei fast schon so ein radikaler Gegenentwurf zur klassischen Kostümfilm-Schönheit, dass es beinahe wieder zu viel ist.
"Der seidene Faden" ist ein hässlicher Film, voller Ängste und Depressionen, voller Demütigung und unerfüllter Bedürfnisse, gefangen in ausgewrungenen, kargen Mise-en-scènes; dann aber auch wieder voller Wunder und kleiner Besonderheiten. Wie die Einzigartigkeit, die man in einer Situation spürt, die eigentlich durch soziale Fesseln zustande kam. Die auf eine ganz und gar prunklose Weise betörenden Aspekte Kostüm und Ausstattung sind bloß ein hübscher Nebeneffekt dessen.
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