Review

Der schönsten aller modernen Großstadtmythen (die ihren Ursprung in den 1930er-Jahren in New York zu haben scheint) wurde im Jahre 1980 ein filmisches Denkmal gesetzt: der wütende Vater der kleinen Marisa spült ihren süßen, aus Florida mitgebrachten Babyalligator (von Marisa liebevoll Ramon getauft) das Klo runter, doch der kleine Racker übersteht die unfreiwillige Reise unbeschadet. In der Kanalisation überlebt Ramon, indem er sich u. a. von Hundekadavern ernährt, die dort nach dubiosen Experimenten mit Wachstumshormonen wenig fachgerecht entsorgt werden. Zwölf Jahre später ist das possierliche Tierchen zu einem riesenhaften Ungetüm herangewachsen und bekommt Appetit auf saftiges Menschenfleisch. Der abgeklärte Polizist David Madison (Robert Forster), die hübsche, grünäugige Reptilien-Expertin Marisa (ja, die Marisa, gespielt von Robin Riker) und der überhebliche Großwildjäger Brock (Henry Silva) machen Jagd auf Ramon, der schließlich aus der Kanalisation ausbricht und schlecht gelaunt durch die Straßen stapft.
Es gibt Filme, die ähnlich schmackhaft altern wie guter Wein: Lewis Teagues famoser Monsterfilm Alligator ist einer davon. Der von John Sayles geskriptete Tierhorrorschocker ist ein Paradebeispiel für ein gewitztes Monster-Movie mit Herz, Hirn und Charme. Auch wenn der Streifen alles andere als perfekt ist und die Parallelen zu Steven Spielbergs Jaws überaus offensichtlich sind, Alligator ist ein prächtig funktionierender Monsterfilm der alten Schule, aufbereitet für eine neue Generation. Der Spagat, den Sayles und Teague dabei hinlegen, ist beeindruckend: einerseits ist der Film ein geradliniger und gar nicht so zimperlicher Horrorfilm (da werden z. B. Beine munter abgebissen und sogar ein kleiner Junge endet im Maul des Riesenreptils), andererseits nimmt er sich selbst jedoch nicht allzu ernst, spielt geschickt mit Genreklischees, und ist durchwegs mit einem sehr sympathischen (aber niemals anbiedernden) Augenzwinkern inszeniert. Die Struktur von Alligator orientiert sich an altbewährten, klassischen Vorbildern: in der ersten Hälfte des Filmes wird Ramon nur in sekundenkurzen Einstellungen (ein blinzelndes Auge hier, einige blitzende Zähne da) gezeigt, bis er dann in einem wahren Show-Stopping Moment aus der Kanalisation ausbricht und endlich in seiner ganzen imposanten Pracht präsentiert wird. Um das Untier adäquat darzustellen, drehte man sowohl mit echten Alligatoren in Miniatur-Sets als auch mit einem großen, mechanischen Nachbau, der aber nicht immer wie geplant funktionierte. Selbst wenn CGI-verseuchte Augen das anders sehen mögen: die Spezialeffekte sind gut gemacht, wirken greifbar und auf eine charmante Weise echt, und geben dem Reptil darüber hinaus so etwas wie eine Persönlichkeit. Auch mit teils zynischer Sozialkritik wird nicht gespart, denn die Macher zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild der modernen Großstadtgesellschaft, in der Profitgier, Korruption, Verantwortungslosigkeit und Arschkriecherei an der Tagesordnung stehen. Wunderbar böse sind auch die Szenen, in denen die bizarren Merchandise-Auswüchse nach Ramons Auftauchen dargestellt werden ("Wollen Babyalligator kaufen?"). Alligator ist kein Meisterwerk, aber es ist ein rundum gelungenes, sehr unterhaltsames und ausgesprochen bissiges B-Movie, mit toller, sympathischer Besetzung, vielen trockenen Sprüchen, einigen herrlichen Set-Pieces, und einem erstklassigen Monster. Michael Weldon bringt es in seiner The Psychotronic Encyclopedia of Film von 1983 perfekt auf den Punkt: "Thanks to the screenplay by John Sayles, here is a giant-monster film that's as good or better than the best of the '50s films it resembles." Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Details
Ähnliche Filme