"Night Train To Venice" aka "Train To Hell" wirkt wie das Remake eines Jess Franco Streifens á la "Succubus", als Ausgangsbasis für eine Folge von "Polizeiruf 110" mit Malcom McDowell und Hugh Grant in der Hauptrolle, wobei das Drehbuch bisweilen versucht, die Erzählweise von David Lynch zu imitieren. Wer mag, kann hier und da noch Referenzen an Nicolas Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen" hinein interpretieren. Neben der Erkenntnis, dass es sich somit um eine selten seltsame Filmproduktion aus deutschen Landen handelt, steht nach dem Ansehen leider auch noch die Enttäuschung, mal wieder einen Riesenscheiss geschaut zu haben.
Die Story ist schnell erzählt - denn es ist fast keine vorhanden: Martin (Hugh Grant) ist Journalist und will einem Verleger in Venedig Unterlagen über Neonazis überbringen. Er reist mit dem Orientexpress nach Italien und macht dabei die Bekanntschaft von Schauspielerin Vera (Tahnee Welch), sowie die eines mysteriösen Fremden, welcher ihn fortan verfolgt. In Venedig angekommen, muss er sich bald einer gefährlichen Situation stellen, die in einem Unfall und dem Verlust seines Gedächtnisses resultiert.
Betrachtet man "Night Train To Venice" nach konventionellen Gesichtspunkten, dann ist Carlo U. Quinterios Regiearbeit mit knapp 3 / 10 Punkten noch äußerst gut bedient. Auf der Suche nach Informationen über den Film bin ich fast ausschließlich auf derbe Verrisse gestoßen, wobei sich den jeweiligen Rezensenten auffallend oft die Frage stellte, um was es bei diesem Film eigentlich geht. Die inhaltliche Leere wird dann an Bedeutungslosigkeit auch tatsächlich nur noch von den ziemlich überflüssigen Dialogen übertroffen. Diese haben meist den Informationsgehalt von Small Talk, wobei auffällt, dass im Film ohnehin nicht allzuviel geredet wird. Dazu gesellt sich noch eine fürchterliche deutsche Synchronisation - fast könnte man meinen, die Sprecher hätten den Film gar nicht gesehen, sondern ihre Texte lediglich aus dem Drehbuch abgelesen, so emotionslos kommen sie rüber.
Die schauspielerischen Leistungen sind nicht der Rede wert. Die Hauptdarsteller sind nicht gefordert, die Nebendarsteller, wie etwa die Skinheads, wirken bisweilen sogar unfreiwillig komisch, fast wie Statisten in einer Parodie. Storytechnisch reiht sich ein belangloses Ereignis an das andere. Bezeichnenderweise entstand 1998 ein Director's Cut, der über 22 Minuten kürzer ausgefallen ist, als die ursprüngliche Fassung von ca. 94 Minuten. Zieht man davon noch die Zeit des Vor- und des Abspanns ab, bleibt gerade einmal noch eine gute Stunde Spielzeit. Das macht das Ansehen erträglicher, aber inhaltlich nicht wirklich interessanter. Die geschnittenen Szenen (z.B. eine Gesangseinlage im Zug, nebst pöbelnden Skins) machen sich inhaltlich überhaupt nicht bemerkbar. Dinge passieren einfach, ohne dass sie für die Story Konsequenzen haben. Fast die Hälfte des Films spielt sich im Orientexpress ab. Im Grunde hätte man auch diesen Teil komplett weglassen können. Irgendwie wirkt "Night Train To Venice" so, als hätte man das Wesentliche einfach vergessen.
Die Nullhandlung vollzieht sich in recht wechselhafter Ästhetik. Der eigentliche Plot wird immer wieder von zwischenspielartigen Bilderfolgen unterbrochen, die nicht selten einen traum- bis albtraumhaften, sehr surrealen Touch haben. Die Symbolik ist dann enorm auf bedeutungsschwanger getrimmt. Mal ist es ein Rabenvogel, mal eine Baumkrone, oder immer wieder die sehr schön fotographierten Masken des Karnevals in Venedig - alles Bilder, welche den Eindruck eines psychoanalytischen Kommentars vermitteln, nur dass es innerhalb der eigentlichen Story eben leider nur wenig Relevantes zu kommentieren gibt. Bei einer mehrfach wiederkehrenden Sequenz mit ziemlich fies wirkenden Dobermännern fühlte ich mich aus irgendeinem Grund gar angenehm an den psychedelischen Horrorschrott von Jess Franco erinnert. Diesen (für sich allein betrachtet durchaus wirkungsvollen) Szenen steht insgesamt leider der biedere Eindruck einer nur mäßigen TV-Inszenierung gegenüber.
Der orchestrale Soundtrack suggeriert eine Dramatik, die der Film zu keiner Zeit bietet. Nun, immerhin passt er damit zum überhaupt recht prätentiösen Stil des Films. Der Titelsong von Natalia Lapina hätte dagegen besser in einem Schimanski-Tatort in den 80ern Verwendung gefunden. Das Ende ist sogar noch wesentlich uninspirierter, als die ganze vorausgegangene Story. Die Auflösung des dämlichen Psychozirkuses ist unoriginell und platt. Zwar erfährt durch das Ende der inhaltliche Wirrwarr eine vermeintlich plausible Erklärung, als eine Entschädigung für anderthalb Stunden Murks kann man den Schlußtwist aber definitiv nicht bezeichnen. Somit ist "Night Train To Venice" leider sowohl als Spielfilm für ein Publikum mit konventionellen Erwartungen, als auch als Experimentalfilm leider ziemlich gescheitert.
Sehenswert könnte der Streifen dennoch sein, für einige cinematisch Unerschrockene auf der steten Suche nach filmischen Kuriositäten. Als solche macht "Night Train To Venice" nämlich eine ziemlich gute Figur...