Review

Familie: Fluch und Regen

"Hereditary" ist ein Film zum Vergessen. Nicht weil er schlecht ist, sondern weil er ist wie ein abartiger Alptraum, den man am liebsten morgens schnell wegschieben und mit dem Licht des Tages überziehen würde. Grausam, hypnotisch, meisterhaft. Ari Aster ist ein aufgehender Stern am Regiehimmel, der es noch außerordentlich weit bringen kann. Sein mysteriöses und verdammt gruseliges Familiendrama wird dieses Jahr im Horrorbereich schwer zu toppen sein und ich habe seit "It Follows" im Kino wohl nicht mehr derart gebibbert. Ein wahres Blutbad der Gefühle mit einigen Bildern, Effekten und Momenten, die man, anders als die meisten Alpträume, leider nicht so schnell aus dem Kopf bekommt. Perfekt beworben mit Trailern, die kaum etwas preisgeben außer der Stimmung - was heutzutage alles andere als selbstverständlich ist. Daher möchte ich über die Handlung kaum Worte verlieren: es geht um eine Familie, die mit einem Schicksalsschlag und viel Trauer umgehen muss und die sich langsam von innen heraus aufzulösen droht...

Jack Torrances Blick durch die kaputt geschlagene Holztür, Regans Kopfumdrehung oder die erste Attacke von Bruce zu Beginn von "Jaws" - alles ikonische Momente des Horrorkinos, die sich fest eingebrannt haben. "Hereditary" bietet ein paar Schocker und WTFs!?, die sich auf ähnlichem Niveau in der Popkultur und unseren Köpfen manifestieren könnten. Und dabei sind die ausufernden letzten 15 Minuten nur die Sahne auf der Torte, vielleicht sogar, auf Grund der totalen Aufgabe des Mysteriösen und der Schatten, der schwächste Part in einem nahezu makellosen Gänsehautspaß. Ein simples Geräusch, das fast das ganze Kino zusammenzucken lässt? Ständiges Rattern und Miträtseln, was zum Teufel denn nun vor sich geht? Beeindruckendes Staunen über ein audiovisuelle Tour-de-Force, die einem fast den Kopf von den Schultern zieht? "Hereditary" liefert ab. Das volle Programm. Endlich wieder Angst. Pur und ungefiltert. Von ganz tief drin.

Herausragend intensiv vorgetragener Psychoterror (Toni Collette spielt für die Geschichtsbücher!) über Erblast und die buckelige Verwandtschaft, die einem leider ähnlicher ist, als man es wahr haben will... "Hereditary" ist ein Spirale des Unglücks, der Ohnmacht, des brennenden Stammbaums. Ein diabolisches Vergnügen, das in den letzten Jahren nur wenig Vergleiche scheuen muss. Ich musste gestern zur Geisterstunde noch eine Komödie anmachen - zu sehr beschäftigte und beunruhigte mich das Gesehene. Die Kunst zu Verstören. Ein fieser Mix aus Neugier und Weggucken. Dämonen, Geister, Ameisen und das Böse in der DNA des Menschen oder einer Familie - Fulci, Lovecraft oder Dali hätten sicher ebenfalls ein breites Grinsen im Gesicht. Wenn die modrige Schönheit von "Don't Look Now!" auf die berstende Atmosphäre eines "It Comes At Night" trifft und mit Visionen ala "Ein andalusischer Hund" garniert wird, dann ist Begeisterung angebracht und mit der Furcht im Einklang. Ich bin ziemlich durch. Im positivsten Sinne. Und noch immer etwas sprachlos. Selbst hohe Erwartungen zerreißt "Hereditary" mit einem morbiden Grinsen. Und flache Hollywood-Stangenware ala "Truth or Dare" noch viel leichter. Selbst "The Conjuring" sieht dagegen glattgebügelt aus und kein Land. Künstlerisch wertvoll und inhaltlich (recht) gehaltvoll - sieht so ein moderner Klassiker aus, über den man noch in Jahrzenten redet? Ich meine: Ja!

Fazit: ein Meilenstein der Spannung. Betörend verstörend, höllisch intensiv, alptraumhaft böse. Ein Vermächtnis auf teuflischen Pfaden. "Hereditary ist ein Grusel-Gourmethappen, der sich tief unter die Haut bohrt und selbst bei gut ausgebildeten Horrorfans für schwitzige Hände und verzögerte Nachtruhe sorgt. Ein abgrundtief gemeiner Trip in die Schluchten menschlicher Familiengefüge. In ein paar Jahren ziemlich sicher auf einer Stufe mit "Shining", "Der Exorzist" und "Rosemaries Baby". Kein Zweifel, nur Angst!

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