Horror mit dem flauschigen Holzhammer
Die vorliegende Rezension enthält leichte Spoiler.
Als die alte Dame Ellen Taper Leigh stirbt, kann sich ihre Tochter – die Künstlerin Annie Graham (Toni Collette) – kaum zur Trauer durchringen. Anders Ellens Enkelin, die verschwiegene und mysteriöse Charlie (Milly Shapiro): Nach Ellens Tod ist sie bestürzt. Eines abends will Charlies Bruder Peter (Alex Wolff) auf eine Party fahren. Annie zwingt Peter, seine Schwester mitzunehmen. Das hätte sie lieber nicht getan. Denn noch in der gleichen Nacht droht schrecklicher Vorfall die Familie zu zerreissen. Aber für die Grahams hat der Albtraum erst begonnen.
Hereditary (2018) hat den europäischen Kontinent mit einigen Vorschusslorbeeren erreicht. Die US-amerikanischen Kritiker versprachen uns einen selten aufwühlenden Horrorfilm. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Grusler völlig ungerechtfertig übers Klee gelobt wird. Allerdings: Wer die Nerven hat, diesen Streifen ernstlich auf dieselbe Stufe wie The Exorcist zu stellen[1], war entweder bei der Sichtung beduselt, oder aber hat schlichtweg zu wenig Horrorfilme gesehen. »Originell« und »furchterregend« soll dieses Werk von Ari Aster sein. Da kann ich nur den Kopf schütteln: Hereditary ist bestenfalls solide – und schlimmstenfalls aufpolierter Trash.
Nur schon ein Blick auf das vergangene Jahr zeigt uns (mindestens) zwei Filme aus den USA, die Hereditary in Sachen Innovation und Horror locker in die Tonne treten. Ich denke da an Darren Arnofskys mother! und an Yorgos Lanthimos’ The Killing of a Sacred Deer. Beide Filme beleuchten familiäre Beziehungen, beide bringen Schockierendes aus den vertrauten vier Wänden zutage – und tun dies mit künstlerischer Integrität. Weshalb nun ein Jahr später der durch und durch mittelmässige Familiengrusel Hereditary dermassen abgefeiert wird (teilweise gar als »Meisterwerk«), ist mehr als unverständlich.
Das mag daran liegen, dass Aster zwar an der amerikanischen Kernfamilie kratzt, sie aber nicht ganz aufbricht. Dass er zwar eine emotionale Krise skizziert, diese aber nicht konsequent porträtiert. Wie der Titel andeutet, geht es um einen vererbten Fluch, aus dem es kein Entkommen gibt. »Das Schicksal der Familie ist unüberwindlich« – diese Aussage hätte zu nervenaufreibenden Spannungen führen können; nur leider macht das Drehbuch aus diesem Schicksal etwas eindimensional Übernatürliches. Je länger der Film andauert, desto dumpfer wird das gesellschaftspolitische Umfeld. Und entsprechend platt fällt der Grusel aus.
Viel hätte man aus den familiären Konflikten machen können. Die stärksten Szenen zeigen eine Familie, die im Begriff ist, sich gegenseitig aufzufressen. Aber das führt zu nichts: Denn letztlich delegiert der Regisseur den Horror an das Dämonische. Das kann gelingen; hier ist es grandios missglückt. Denn es fühlt sich an wie ein einfacher und billiger Ausweg. »Tja, das Übernatürliche ist schuld.« Klar: Die übernatürliche Ebene kann wiederum auf das Reale verweisen. Bestimmt hat Aster das auch so angedacht. Aber die gewählte Symbolik ist teils zu matschig, teils zu direkt, um hier wirklich Geistreiches zutage zu fördern.
Trotz Arthouse-Verrenkungen: Der Regisseur fällt immer wieder zurück in die müden Klischees des »Haunted House«. Darüber können clevere Schnitte und Einstellungen nicht hinwegtäuschen. Die Geschichte ist plump, gegen Ende fällt sie geradezu ins unfreiwillig Komische. Viele Szenen sind hoffnungslos überzogen, fast dämlich. (Ich war nicht der einzige Zuschauer, der im Kinosaal das Lachen zurückhalten musste.) Das will nicht so recht zum Stil des Filmes passen, der etwas Bitter-Ernstes und Tiefgründiges verspricht.
Alles ist nicht schlecht an Hereditary. Toni Collette als Annie liefert eine intensive, wenn auch manchmal übereifrige Performance. Wer immer Milly Shapiro als enigmatisches Töchterchen Charlie gecastet hat, verdient einen anerkennenden Schulterklopfer. Das grosse Horror-Highlight – die nächtliche Autofahrt mit brutalem Unfall – ist ein schockierender Nadelstich. Aber sonst? Nicht viel. Einige visuelle Hingucker gibt es noch, aber alles im überschaubaren Rahmen. Die Kamera-Arbeit ist konventioneller, als uns einzelne Einstellungen weismachen wollen.
Na gut. Hereditary ist also nicht so revolutionär und originell, wie es der Hype versprach. Das wäre ja zu verkraften. Wenn er doch wenigstens Angst und Schrecken verbreitete! Und genau hier liegt der Hund begraben: Dieser Film ist nicht gruselig. Er ermüdet mit Versprechen, die er allesamt nicht einlösen kann. Und er arbeitet mit plumpen Tricks – auch wenn er gerne subtil und tiefsinnig wäre. Holzhammer bleibt Holzhammer, auch wenn man Watte drum wickelt. Bei seinem ersten Spielfilm hätte sich Herr Aster ein bisschen weniger vornehmen müssen. Aber was weiss ich schon? Publikum und Kritik geben mir Unrecht.
5/10
[1] Rothkopf, Joshua: Hereditary. In: TimeOut New York.