Für mich ist "Hereditary - Das Vermächtnis" ein Film mit zwei Gesichtern. Zumindest eine Stunde lang war es für mich ein unglaublich gruseliger Film, der nach langer Zeit mich mal wieder dazugebracht hat, den Ton abzuschalten. Zu beängstigend war die Atmosphäre, die insbesondere durch den ungewöhnlichen Soundtrack von Colin Stetson geschaffen wurde, zu grausam war mitunter das, was man in dieser ersten Stunde als Zuschauer miterleben muss. Dann aber kam die zweite Hälfte des Films, die eher routiniert zum Finale des Films hinführt, das mich dann auch noch sehr enttäuscht hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich den Film auf zwei Tage verteilt geschaut habe, so dass ich in der "Pause" Zeit genug hatte, über das Gesehene nachzudenken und mir ein alternatives Ende zu überlegen bzw. Gründe für die Handlungen der Figuren zu ersinnen.
Geschildert wird in dem Film, wie das Grauen in eine amerikanische Durschschnittsfamilie einbricht, nachdem diese die Großmutter beerdigt hat. Die Tochter Annie ist Künstlerin und stellt Miniaturmodelle (meist in Form von Puppenhäusern) her, in denen sie unter anderem Szenen aus ihrem Leben nachstellt. Steve, ihr Mann, erscheint als ruhiger Pol der Familie, der die Veränderungen innerhalb derselben zuerst nicht wahrnehmen kann oder will. An den beiden Kindern, Peter und Charlie, werden diese Veränderungen zuerst sicht- und spürbar. Vor allem Charlie, die häufig von der Großmutter betreut wurde, benimmt sicht zunehmend seltsam. So schneidet sie zum Beispiel einer toten Taube den Kopf ab, um mit diesem ein seltsames Ritual zu vollziehen . Schließlich sieht Annie ihre tot gegaubte Mutter in einem Zimmer stehen, woraufhin die Abwärtsspirale an Fahrt gewinnt. So weit so gruselig, ich habe ja schon anfangs erklärt, dass mich das Ende des Films mehr als enttäuscht hat. Statt dass sich die Geschichte mit den Bedingungen innerhalb der Familie oder mit der Disposition eines der Charaktere erklären lässt, werden hier Kräfte von außen bemüht, die quasi als böse "deus ex machina" Einflüsse das Ende herbeiführen.
Der Kritik an der Handlung sollte man aber die außerordentlichen Leistungen der Schauspieler entgegensetzen. Beide Kinderrollen sind hervorragend besetzt (Alex Wolff und Milly Shapiro). Man erkennt die Gefühlslagen ihrer Figuren und folgt ihnen bis in schier unerträgliche Momente. Gabriel Byrne, der den Vater spielt, hat nicht wirklich viel zu tun, dafür ist seine Figur im Familienensemble zu blass und fast schon eindimensional. Dennoch ist es interessant zu sehen, dass Byrne auch positive Charaktere kann. Alle Schauspieler werden in diesem Film aber von Toni Collette an die Wand gespielt. Wie sie den mehrfach gebrochenen Charakter der Mutter spielt, ist über alle Maßen gut und überzeugend. Insbesondere die Momente, in denen sie mit ihrem Sohn Peter (der hier den Antagonisten darstellt) aneinandergerät, gehen unter die Haut. An dieser Stelle soll aber auch mal die Leistung der Synchronsprecherin Christin Marquitan lobend erwähnt werden, die Toni Collette in der deutschen Synchronisation ihre Stimme leiht. Wie sie die Facetten des Spiels von Collette mit/in ihrer Stimme widerspiegelt, ist außergewöhnlich.
Insbesondere der Spannungsaufbau und die Darstellung der Atmosphäre in der ersten Filmhälfte konnten mich fesseln. Regiesseur Ari Aster, der hier sein Langfilmdebüt abgibt, gelingen besondere Momente insbesondere durch den Einsatz von Licht und Dunkelheit in der Szenengestaltung. Beklemmend und faszinierend zugleich sind auch die im Film gezeigten Miniaturen. Hier verwischen die Ebenen von "Fiktion und Realität", wenn die Kamera auf ein Zimmer eines Puppenhauses zoomt und dann dort die Handlung mit den Schauspielern fortgeführt wird.
Es gibt also viel Positives über "Hereditary - Das Vermächtnis" zu sagen. Dass er für mich aber nicht zu den besten Horrorfilmen aller Zeiten zählt, was einige Kritiker behaupten, liegt an der enttäuschenden zweiten Hälfte des Films und dem missratenen Finale. Aus diesem Grund halte ich auch den Vergleich mit anderen Genreklassikern, wie er ebenfalls von einigen Kritikern angeführt wird, für eher unangebracht.