Review
von Leimbacher-Mario
Die Unschärfen eines Epos
"Werk ohne Autor" ist ein kraftvoller Film, ein wahrhaftiges Projekt der Leidenschaft und des Willens. Nachdem von Donnersmarck mit dem leblosen "The Tourist" in der Traumfabrik eine Bruchlandung hingelegt hat, kehrt er nun nahezu in Qualitätsregionen eines "Das Leben der Anderen" zurück und konkurriert damit völlig berechtigt nächstes Frühjahr um den Auslandsoscar. Ein Mammutfilm, wie man ihn heutzutage nur noch selten sieht (erst recht aus Deutschland) und daher umso mehr schätzt. Ein Jahrzehnte umfassendes Drama über Kunst, Wahrheit und Nicht-Weggucken. Und noch viel mehr. Manchmal zu viel, doch wie gesagt: warum nicht mal Richtung Visconti oder Lean zielen. Wenn man es denn kann und die Eier hat. Und wer sollte dieses Selbstvertrauen haben, wenn nicht unser adeliger Oscarriese mit der Sturmfrise?!
Für "Werk ohne Autor" sollte man sich den Tag frei nehmen. Am besten das ganze Wochenende. Denn er ist einnehmend, mächtig und nachhallend. Und das obwohl er für einen Drei-Stunden-Brecher ziemlich forsch voran geht und durchaus als kurzweilig bezeichnet werden kann. Viele Passagen würde ich am liebsten sofort nochmal sehen. Und wann kann man das von solch einem umfangreichen Unterfangen schon behaupten? Wir folgen einem Künstler (lose basierend auf dem echten Künstler Gerhard Richter) durch drei Jahrzehnte, von seiner Kindheit in der NS-Zeit bis zu seinem Durchbruch in den 60ern. Und auf seinem Weg zur Wahrheit und sich selbst liegen so einige dramatische Schicksalsschläge... Von Donnersmarck zielt hoch und fällt dabei nicht allzu oft auf den Hintern. Allein das fordert Respekt. Doch auch wenn man sein neues Werk losgelöst von seiner Person und der deutschen Filmlandschaft sieht, bleibt es ein eindrucksvolles Stück Kino. Die Darsteller sind allesamt grandios, die Ausstattung ist exquisit und den meist höchst gespannten Bogen lässt man gerne auf sich niederpeitschen. Ebenso wie den Gänsehautsoundtrack. Da gibt es technisch nichts dran zu rütteln. Im Ensemble würde ich die bezaubernde Paula Beer und einen eiskalten, fiesen Sebastian Koch als Naziarzt hervorheben. Aber nur wenn ich muss, denn da ist Klasse an jeder Ecke.
Doch viel wichtiger sind in dieser wuchtigen Erzählung eh die Fragen, die Gefühle, die Erkenntnisse. Und die sind zahlreich und weitreichend. Das große Ganze steht über allem. Und das hat bleibenden Wert. Was macht uns zu dem, was wir sind? Wie weit sät sich unsere Vergangenheit in die Zukunft? Wie hängt alles zusammen? Was führt zu wahrer Kunst? Und gewinnt diese vielleicht sogar gegen das Böse? "Werk ohne Autor" kaut nicht vor, traut sich an Tabus und ist sich nicht zu schade, auch mal zu provozieren und anzuecken. Er hält drauf. Auch wenn es weh tut. Denn nur hingucken und fühlen und aufsaugen und (im besten Fall) daraus lernen, macht uns zu dem was wir sind, macht uns zu etwas von Bedeutung. Genauso wie unsere Kunst bzw. das, was wir hinterlassen und wofür wir stehen. Weggucken und ignorieren ist keine Option. Heute wie damals nicht. Eine zeitlose Message. Ich persönlich habe zu dem großen künstlerischen Aspekt keinen hundertprozentigen Zugang gefunden, im letzten Drittel, wo es fast ausschließlich um eben diese Kunst geht, gab es für mich nur noch wenige Höhepunkte (etwa Oliver Masuccis "Originstory") und vielen könnte alles etwas zu philosophisch und meta sein, genauso wie der internationale Titel "Never Look Away". Doch im Endeffekt bleibt bei mir Staunen und Hinschauen und Sein.
Fazit: ein schweres Brett, das manchmal quer im Magen liegen kann, ohne die Hoffnung jedoch komplett preis zu geben. Schonungslos. Intelligent. Wichtig. Ein Jahrzentwerk. Fordernd aber nie überfordernd. Niederschmetternd und aufbauend. Mahnend und kaum mäandernd. Wahr und schön.