Review

„Mit Blaster, Charme und Karacho!"

Im modernen Actionkino ist der Swashbuckler bestenfalls noch eine schemenhafte Randerscheinung. Jener übermütige, leichtfüßige Draufgänger, der sich Hals über Kopf ins Abenteuer stürzt und mit Witz, Charme und sportlicher Eleganz jede Herausforderung geradezu spielerisch meistert. Bei ihm gibt es weder schwermütiges Grübeln, noch gnadenlose Brutalität, sein Sieg gleicht einer Trapeznummer auf die ein donnernder Applaus folgt. Seine Fähiglkeiten scheinen nicht von dieser Welt, aber weniger im Sinne der übernatürlichen Comichelden, sondern eher der märchenhafter Sagengestalten. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts beherrschte er die Leinwände. Ob als Pirat, maskierter Rächer, mittelalterlicher Freiheitskämpfer oder Musketier, sein Metier war das großspurige Abenteuerkino vor bunter Kulisse.

Die Blockbuster-Gründerväter George Lucas und Steven Spielberg sind mit diesem cinematischen Archetyp aufgewachsen und haben ihm in den 1980er Jahren mit dem Peitsche schwingenden Archäologie-Professor Indiana Jones ein bis heute strahlendes Denkmal gesetzt. Die eigentliche Renaissance des unwiderstehlichen (Maul-)Helden begann aber schon vier Jahre früher. Und auch da war das Duo Lucas-Ford nicht ganz unbeteiligt gewesen.
Die Lucasche Star Wars-Saga gilt ja gemeinhin als großes SciFi-Fantasy-Epos, das sich großzügigst bei Tolkien und den Gebrüdern Grimm bediente. Im Kern ist es aber vor allem eine Hommage an die rasanten TV-Serials der 30er und 40er Jahre sowie den Abenteuerfilmen dieser Zeit. Die Essenz all dessen konzentriert sich in der Figur des Weltraum-Piraten Han Solo, der trotz der eigentlich auf seinen Buddy Luke Skywalker zugeschnittenen Heldengenese zum Fanliebling und Kuktcharakter aufstieg. Ein lupenreiner Swashbuckler in dessen Genpool auch der coole Revolverheld fröhlich mitmischt. Ein Held von dem man immer gerne mehr gesehen hätte und dessen Rückkehr nach 32 Jahren („Star Wars VII - The Force Awakens") dementsprechend frenetisch gefeiert wurde.

Harrison Ford war allerdings inzwischen zum Mittsiebziger gereift, so dass an die heute so beliebten Begins- und Prequel-Ableger nicht zu denken war. Wollte man also weitere Solo-Abenteuer erleben, war ein Darsteller-Wechsel unvermeidlich. Jetzt ist Han Solo aber kein James Bond, bei dem die Figur als Genre-Archetyp unabhängig vom jeweiligen Mimen funktioniert. Ford hat den lässigen Weltraum-Schmuggler nicht einfach nur geprägt, sondern ist untrennbar mit ihm verbunden. Dementsprechend groß war dann die Skepsis selbst unter den nach neuen Filmen darbenden Hardcore-Fans, als Disney tatsächlich ernst machte und mit Alden Ehrenreich den neuen Han vorstellte. Der Rauschmiss der für Solos ersten Solofilm angeheurten Regisseure Phil Lord und Chris Miller inmitten der Dreharbeiten schien die düsteren Vorahnungen dann vollends zu bestätigen. Zumal Ersatzmann Ron Howard trotz Oscarweihen nie eine eigene Handschrift erkennen ließ und sich mit der unsäglichen Dan Brown-Trilogie nicht gerade mit Altersruhm beckleckert hatte.    

Wer sich ein wenig in der Star Wars Historie auskennt weiß allerdings, dass eine reibungslose Produktionsgeschichte nicht gerade zu den festen Größen der Franchsie zählt und auch keinerlei Garant für herausragende Qualität ist. Eher im Gegenteil. Das Chaos und die Improvisations-Not anno 1976 sind geradezu legendär und auch beim direkten Nachfolger („The Empire Strikes Back") lief es alles andere als rund. Beim ersten Spin-Off "Rogue One - A Star Wars Story" (2016) ordnete Disney sogar umfangreiche Nachdrehs an und düpierte damit Regisseur Gareth Edwards. Alle drei Filme zählen übrigens heute zu den Glanzlichtern der Saga. Die von George Lucas wiederum selbst inszenierte Prequel-Trilogie hatte dagdegen eine geradezu bilderbuchreife Entstehungsgeschichte vorzuweisen, errreicht aber bis heute nicht so recht die Herzen vieler Fans.
Am Ende zählt das fertige Produkt und das hat Ron Howard nun termingerecht vorgelegt. „Solo- A Star Wars Story" dürfte für rege Diskussionen sorgen, aber ganz anders als gedacht und vor allem befürchtet. Die Fans können erleichtert aufatmen ohne ekstatisch zu werden und die Nörgler können sich wieder dem DC-Sandsack widmen ohne etwas zu verpassen. Howards Film ist eine seltene Mischung aus Überraschungsei und Beruhigungspille. Das wichtigste zuerst: Alden Ehrenreich ist toll als Solo. Ob er nun einen Schauspielcoach hatte um Fords Maierismen und breites Grinsen zu imitieren, oder ein stundenlanges Videostudium absolvierte, seine Darstellung ist jedenfalls nahe genug am Original um Vertrautheit zu erzeugen und weit genug entfernt, um eigene Akzente zu setzten. Fraglos ein Ritt auf der mimischen Rasierklinge, ein Ritt, den Eldenreich aber erstaunlich souverän meistert. Er trifft vor allem das Schelmnische und Großspurige der Figur auf den Punkt, pariert das aber wieder mit Spuren von Unsicherheit und Naivität, die sehr gut zu einem unreiferen, weil jüngerem Solo passen. Vor allem aber harmoniert er prächtig mit Chewbacca, der trotz eines von Emlia Clarke verkörperten Love Interest die wesentlichere Bezugsperson für den Han-Charakter ist.

Überhaupt hat man ein illustres Ensemble zusammen gestellt, das Ehrenreich von der Hauptverantwortung entlastet und ihm gleichzeitig hilft das Profil Hans zu schärfen. Emilia Clarke sorgt als seine Jugendfreundin Qi´Ra für erotischen Glamour und romantische Verwicklungen. Woody Harrelson darf als Schmuggler-Mentor Tobias Beckett seinen wöfischen Charme ausspielen und Donald Glover gibt als junger Lando Carlsissian einen herrlich schillernden Gauner-Narzissten. All diese Figuren sind zumindest zwielichtig, was perfekt zum wendunsgreichen Plot aus Raub, Betrug und Verrat passt sowie die Welt skizziert in der Solo aufwächst und die ihn schließlich prägt. Das uneingeschränkt Böse gibt es natürlich dennoch und Paul Bettany hat sichtlich Spaß daran. Drydon Voss ist ausführendes Organ des Verbrechersyndikats Crimson Dawn, ein Job, in dem er neben seinen sadistischen Neigungen auch die nicht minder ausgeprägten Leidenschaften für Luxus und Macht ausleben kann.

Ron Howard ist nicht nur ein alter Freund von George Lucas, sondern auch ein Altersgenosse mit ganz ähnlicher Film-Sozialisierung. Im Verbund mit Drehbuch-Urgestein Lawrence Kasdan (1) und dessen Sohn Jonathan erschuf er ein im besten Sinne altmodisches Weltraum-Abenteuer, das deutlich bodenständiger als die anderen Star Wars-Filme angelegt ist. Damit keine Missverständnisse aufkommen: die Trickeffekte, das Productiuon Design und die Action-Szenen sind über jeden Zweifel erhaben und reihen sich nahtlos in den hochpreisigen Qualitäts-Standard ein, den Disney auch mit seinen zahllosen Superhelden-Outings gesetzt hat. Dennoch atmet der Film weit mehr den Geist klassischer Abenteuerfilme als den häufig von Videoclip-Ästhetik und -Rhythmus geprägter, moderner Blockbuster.
Vor allem aber ist vieles deutlich von Western-Motiven inspiriert, sei es der spektakuläre Überfall von Becketts Diebes-Bande auf einen Hochgeschwindigkeits-Güterzug, die beiden saloonartigen Kartenspiel-Duelle zwischen Lando und Han oder die finale Konfronation in einem verfallenen Wüstennest. Han selbst war schon im Originalfilm eine unverkennbare Reinkarnation des schnell ziehenden Revolverhelden - mit Jeans, John Wayne-Hemd, schwarzer Weste und tief hängendem Blaster-Holster auch visuell als solcher erkennbar. Howard und Kasdan tragen dieser Anlage nur konsequent Rechnung und liefern damit eine rundum stimmige Herkunftserklärung ihres Helden.

Im ersten Filmdrittel trauen sie ihrer Linie noch nicht so ganz und hetzen Han von einer irren Actionszene zur nächsten. Das erinnert an den ersten Indiana Jones-Film, der aber einen bereits fertigen Helden auf diese Art etablierte und dieses Stilmittel durchgängig zum Programm erhob. Bei „Solo" wäre eine ruhigere Einführung vielleicht ertragreicher gewesen, schließlich geht es hier um Herkunft und Lehrjahre einer bekannten Figur. Dennoch macht die Speeder-Verfolgungsjagd durch Correllias Hauptstadt Coronet deutlich mehr Spaß als ihr Äquivalent aus „Episode II". Auch Hans zwischenzeitliche unfreiwillige Karriere in Diensten des Imperiums ist Eyecandy und Hommage in einem. Der Kampfeinsatz auf dem Planeten Mimbam ist dem schlammigen Grabenkrieg des ersten Weltkriegs nachempfunden, dessen Luftkämpfe auch Pate für die Weltraumschlachten rund um den Todestern standen. Ganz nebenbei wird so auch Hans Draufgängertum, sein pilotisches Ausnahmentalent und sein ausgeprrägts Autoritätenproblem etabliert. So richtig rund läuft der Film aber erst mit dem Beginn einer groß angelegten Heist-Aktion um den begehrten Treibstoffzusatz Coaxium, bei der Han unter Becketts Fittichen seine Schmuggler- und Gangsterfeuertaufe erhält.        

Neben dem großen und erfrischend lässigen Abenteuerspaß bietet „Solo" aber auch massenhaft Fanservice. Die Anspielungen und versteckten Hinweise auf die Urtrilogie sind  zahlreich und über den ganzen Film verteilt. Manche sind nur akustischer Art (John Powell zitiert immer wieder mal subtil John Williams), manche nur optisch (man achte auf Becketts Verkleidung beim finalen Raubzug) und manche verbal (Stichwort „Thermaldetonator"). Dazu erleben wir wie Han zu Blaster und Nachname kommt, wie er seinen Kumpel Chewie kennen lernt, was es mit dem berüchtigten Kessel Run auf sich hat und natürlich wie der „Erwerb" des Rasenden Falken tatsächlich von statten ging. All dies macht aus Fansicht einen Heidenspaß, gerade weil es wie nebenbei eingeflochten wird und nie frontal und krampfhaft gewollt daher kommt.

Von diesem Solo würde man also definitiv gerne noch mehr sehen und so bleibt zu hoffen, dass das im Vergleich zum Stallkonkurrenten Marvel etwas schwächelnde Image der Sternenkrieg-Saga sich nicht allzu negativ auf das so wichtige Box Office auswirkt. Denn anders als all die in ihrer Unkaputtbarkeit und Gewichtigkeit stromlinienförmigen Superhelden ist Han Solo nicht nur ein superber Held von altem Schrot und Korn, sondern vor allem auch einer, der sich selbst trotz eingebautem Sieger-Gen nicht allzu ernst nimmt. Die Spezies des Swashbucklers aber ist vom Aussterben bedroht und der Erhalt seltener Arten längst zu einer globalen Herkules-Aufgabe geworden. Also gehen wirs an, oder wie der junge Han sagen würde: „Ich hab´ dabei ein ganz hervorragendes Gefühl!"  


_____________________________________________________

(1) Kasdan (mit)verfasste die Skripts zu "Das Imperium schlägt zurück" (1980), "Jäger des verlorenen Schatzes" (1981), "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" (1983) sowie "Das Erwachen der Macht" (2015) und gilt als Experte für den Han Solo-Charakter, den er nach eigenen Aussagen zu seinen liebsten Fimfiguen zählt. 


Details
Ähnliche Filme