Das Haus, das Jack baut, steht in Washington State. An der pazifischen Nordwestküste der Vereinigten Staaten. Nur glaubt das kaum jemand. Denn erstens sieht die Landschaft, in der Matt Dillon wieder und wieder die Karkassen seiner geplanten Häuser mit dem Bulldozer einreist, nie und nimmer nach Kaskadengebirge und Mammutbäumen aus, und zweitens zögert da allen Ernstes ein Amerikaner, einer im Nirgendwo liegengebliebenen Frau (Uma Thurman) Starthilfe zu geben. Wer nämlich auch nur ein bisschen das Land über dem großen Teich bereist hat, weiß, dass diese Reaktion in einer solchen Situation ungefähr so wahrscheinlich wäre wie Schnee im Juli. In der Sahara. Gut, der hier in Wirklichkeit nach Dänemark und Schweden verfrachtete titelgebende US-Bürger ist immerhin ein Psychopath. Und vielleicht erklärt das erstens, dass er der ihn anbettelnden Fremden ungern behilflich ist und zweitens, dass er sie mit dem Wagenheber totprügeln wird.
Der Extremfilmer Lars von Trier widmet sich mal wieder dem, was er am liebsten tut: seine Zwänge auf Bild zu bannen. Das macht er nicht zufällig analog zu seiner Hauptfigur - dem wieder einmal exzellent aufspielenden Matt Dillon -, die ebenfalls die Arrangements ihrer Opfer mit der Kamera verewigt. Und es sind wahrlich nicht wenige, die da erwürgt, erschossen oder mit dem Messer filetiert werden. Der Däne teilt seinen Film in fünf sogenannte „Episoden" und einen Epilog ein, die das Treiben des zunehmend barbarischen Irren über zwölf Jahre hinweg gliedern sollen. Dabei gibt sich von Trier diesmal nicht mit Papperlapapp oder dem Füllen von Sendezeit zufrieden, sondern da sind zum Beispiel die nicht weiter vorgestellten Frau und Kinder, die tatsächlich im Fortgang der Handlung etwas vom Himmel gefallen wirken, überhaupt nur dazu da, vom Killer genüsslich ermordet zu werden. „The House that Jack Built" ist in seiner Quintessenz eine ununterbrochene Aneinanderreihung von Unappetitlichkeiten und mitunter grenzwertig brutalen Morden. Erst zum Ende hin entflieht der Regisseur, und mit ihm die Hauptfigur, in eine bei Fantasy-Produktionen geklaute Traumwelt. Wobei das beinahe zwingend so sein muss, denn um das Kunstfilmhafte seines vor Schmerzen brüllenden Werks wäre es sonst geschehen.
So formidabel Matt Dillon auch den Soziopathen gibt, es ist nicht seine Schuld, dass das Psychogramm des von ihm gespielten Serienmörders nicht plausibel ist. Von Trier entwirft seinen Protagonisten so, dass er dem Fortgang der von ihm ersonnenen Handlung dient. Und die gerät zunehmend realitätsflüchtig. Dabei wirkt es nach gut neunzigminütigem Mord und Totschlag etwa im Stile Robert Rodriguez‘ abstoßend-komischer ersten Hälfte von „From Dusk Till Dawn" (1996) so, als müsse da intellektuell etwas nachgeschoben werden - um beim Feuilleton punkten zu können. Oder aber Lars von Trier meint es tatsächlich ernst mit seinen zum Ende hin unternommenen Ausflügen in die Vergangenheit, zu den moralischen Entartungen des Zwanzigsten Jahrhunderts, die er dem Zuschauer via einem Zwiegespräch zwischen dem Geistesgestörten und seinem imaginären Gesprächspartner (Bruno Ganz), mit Bildern unterlegt, kommentiert serviert. Wie dem auch sei, „The House that Jack Built" nähert sich über fünf „Episoden" hasardierendem Wahnsinn. Wie der Zweite Weltkrieg. Ob Lars von Trier uns damit die Dämonen austreibt oder sich - wie, der landläufigen Meinung nach, so mancher Psychologiestudent - selbst kurieren möchte, wird unter Bergen von grotesk-geschändeten Toten begraben bleiben. Sicher ist, das Geistesleben eines Psychopathen steht hier nicht im Licht, denn Matt Dillons Darbietung eines Verrückten hat mit dem Wesen eines echten Patienten aus dem Hochsicherheitstrakt so viel Ähnlichkeit wie Chewbacca mit ALF.
Der Epilog dieses Spartenfilms trägt den Zusatz „Katabasis". Und ganz im Stile von Dantes Inferno sorgt sich der Unmensch am Ende um sein Seelenheil. Das ist nur allzu menschlich. Dass sich so ein Kranker, bar jeder Empathie und jeden Mitgefühls, in der echten Welt der moralischen Komponente seiner Taten gar nicht bewusst wäre, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erwähnung. Matt Dillon jedenfalls will doch ins Elysium und beginnt nach Wegen dorthin zu suchen. Natürlich ohne auch nur den Bruchteil dessen, was er angerichtet hat, wieder gutzumachen. Es wirkt beinahe - wie eine vom Regisseur bemühte Allegorie auf sich selbst.
Diese vom kontroversen Dänen ans Ende der 1970er Jahre verfrachtete Geschichte lässt sich, was ihren Sadismus und ihre berechnende Gnadenlosigkeit angeht, am ehesten mit Gaspar Noés „Irreversibel" (2002) vergleichen. Von Triers Höllensturz möchte gefallen, obwohl er eigentlich ausschließlich Dinge zeigt, die abstoßen. Oder aber er möchte widerwärtig und ekelerregend sein - und zieht doch fahrlässig Schaulustige an wie ein Magnet. Aber ob nun das eine oder das andere, der Autorenfilmer wird mit dem Konsumverhalten der Rezipienten seiner blutigen Story gut leben können. Und wer weiß, vielleicht befindet er sich selbst in genau derselben Bredouille wie sein Publikum.