„Geschlechterkampf als Thriller-Parabel"
Schon die erste Einstellung macht klar, dass wir hier keinen gewöhnlichen Film zu sehen bekommen. Ein gemischtrassiges Paar küsst sich leidenschaftlich im morgendlichen Ehebett. Regisseur Steve McQueen schneidet diese im Kino nach wie vor sehr selten gezeigte Beziehung immer wieder mit einer aus Sicht der Verbrecher fatal laufenden Heist-Aktion gegen. Dieser scharfe Kontrast zwischen leidenschaftlicher Liebe und blutiger Brutalität steckt den Rahmen für einen der ungewöhnlichsten und spannendsten Filme des laufenden Kinojahres. Beworben als schnöder Heist-Thriller, entfaltet sich in „Widows" ein Tableau, das weitaus vielschichtiger, orgineller und auch zynischer angelegt ist, als es die Trailer suggerierten.
Im Zentrum steht die Afroamerikanerin Veronica Rawlin (Viola Davis), deren Luxusleben jäh endet, als ihr Ehemann Harry (Liam Neeson) bei einem Raubüberfall getötet wird. Nicht nur wusste sie nichts vom Doppelleben ihres Mannes, er hinterließ ihr auch noch eine Schuld von 2 Millionen Dollar, für deren Wiederbeschaffung ihr der geprellte Drogenboss Jamal Manning eine knapp bemessene Frist setzt. Ihr gesamtes bisheriges Leben liegt damit in Trümmern. Als ihr Harrys geheimes Notizbuch mitsamt sämtlicher alter wie zukünftiger Planungen in die Hände fällt, spürt sie die Ehefrauen seiner ebenfalls getöteten Komplizen auf, um deren nächstes Projekt gemeinsam durchzuziehen ...
Die an „Ocean´s Eight" erinnernde Rahmenhandlung ist letzlich nicht mehr als genau das. „Widows" ist Thriller, Drama und Gesellschaftskritik in einem. McQueen blickt tief in die verwundeten Seeln seiner drei Protagonistinnen, gibt dazu einen galligen Kommentar zur immer noch klassischen Rollenverteilung aufgeklärter westlicher Gesellschaften ab und entwirft ein finster-zynisches Bild politischer Machtkonstellationen. Das alles unter einen dramturgischen Hut zu bringen ist eine beachtliche Leistung, handelt es sich hier doch keineswegs um eine selbstverliebte intellektuelle Fingerübung, sondern um die aussterbende Gattung intelligenten Unterhaltungskinos.
Dass die mehrfach ausgezeichnete Viola Davis eine solche Vorlage zu nutzen weiß und in einer der stärksten Frauenrollen der letzten Jahre glänzt, ist keine große Überraschung. Das sieht bei Michelle Rodriguez (Linda Pirelli) schon ganz anders aus. Abboniert auf toughe Kämpferinnen in PS- und Testosteron-getränkten Action-Spekakeln überrascht sie hier als urplötzlich allein erziehende und in die Insolvenz getriebene Mutter, die von der deutlich dominateren Veronica immer wieder angetrieben werden muss, um dann schließlich über sich hinaus zu wachsen. Komplettiert wird das Trio der aus der Bahn geworfenen Frauen durch Alice Gunner, die zwischen häußlicher Gewalt durch den Ehemann und einer sie zur Prostitution ermunternden Mutter aufgerieben zu werden droht. Ähnlich Viola Davis und Michelle Rodriguez schaut man auch Elizabeth Debicki fasziniert dabei zu, wie sie durch die urplötzliche Notlage zu einer anderen, sehr viel stärkeren Persönlichkeit reift, die sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das vermeintlich unausweichliche Schicksal stemmt.
So sehr man die Frauen in „Widows" zunehemend bewundert, so sehr ist man von den agierenden Männern angewidert. Der in Drogengeschäfte aller Art verwickelte Jamal tritt bei den Stadratswahlen gegen den vom einflussreichen Vater (Robert Duvall) protegierten Jack Mulligan (Colin Farrell) an und steht seinem Konkurrenten in Sachen Opportunismus und Machtgeilheit in nichts nach. Ähnlich verhält es sich mit beider engsten Vertrauten. Obwohl sich Vater und Sohn Mulligan abgrundtief hassen brauchen sie sich gegenseitig, um die erfolgreiche Politikergeschichte der Familie fort zu schreiben. Beide liefern sich dabei gnadenlose Duelle in punkto Niedertracht und Zynismus. Jamals rechte Hand ist ebenfalls ein Blutsverwandter, sein Bruder Jatemme. Der ist Berater, Eintreiber und Auftragskiller in Personalunion. Der in „Get out" noch als sympathisches Rassismus-Opfer glänzende Daniel Kaluuya sorgt hier als eiskalter Vollstrecker mehrfach für Schockstarre. Alle vier sind dazu auf die ein oder andere Art in den von Veronica, Linda und Alice geplanten Coup verwickelt, was die Figurenkonstellation in „Widows" stets in einem komplexen Spannungsverhältnis hält.
Inhaltlich wie personell herrscht also durchweg Düsternis und Sarkasmus. McQueens Stamm-Kameramann Sean Bobbit findet dafür eine passend kühle und raue Bildsprache. Chicago erscheint dabei als ein von finsteren Männerfiguren dominierter, feindseliger Moloch, der seine Bewohner entweder verschlingt, oder charakterlich deformiert. Dass sich ausgerechnet vier (es wird noch eine Fahrerin gebraucht) bis dato in den Verhältnissen gefangene Frauen über diese scheinbar unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzen, gehört zu den wenigen positiven Botschaften des Films und drückt dem Szenario einen galligen Ironie-Stempel auf, der eine befriedigende Wirkungsmacht entfaltet. Und das ganz ohne jene aufgesetzte Girlpower-Attitüde, die heute so viele Mainstream-Produktionen prägt. McQueen ist damit ein geistreiches Stück Unterhaltungskino gelungen, das gleichzeitig provoziert, stimuliert und fasziniert. In der heutigen Filmlandschaft reicht das locker für eine Ausnahmestellung.