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„Eine Frau sieht rot"

Pierre Morel hat einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass der im Kino lange Zeit verpönte Vigilantismus wieder mainstreamtauglich geworden ist. Mit dem Auftakt der überaus erfolgreichen „Taken"-Trilogie hat er nicht nur Charaktermime Liam Neeson auf seine alten Tage noch zu unerwarteten Actionstar-Weihen verholfen, sondern auch gleich das anrüchige Subgenre des Selbstjustiz-Reißers aus der Schmuddelecke geholt. Natürlich spielten dabei auch gesellschaftspolitische Veränderungen eine Rolle, der Trend jedenfalls war nicht mehr weg zu diskutieren. Seither nimmt sogar „Mr. Integer" Denzel Washington regelmäßig („The Equalizer" wird bald zum dritten Mal aufräumen) das Gesetz selbst in die Hand und Bruce Willis hoffte unlängst seine versandete Karriere wieder in Schwung zu bringen, indem er die Mutter aller Vigilantenfilme recycelte and einfach mal rot sah („Death Wish").  

Da ist es nur konsequent, dass jetzt auch mal das vermeintlich schwache Geschlecht zur Tat schreiten darf, schließlich wird es statistisch gesehen auch weitaus häufiger Opfer von Gewalttaten. Jodie Foster hat hier vor ein paar Jahren bereits Pionierarbeit geleistet, allerdings war „Die Fremde in dir" mehr unbequemes Psychogramm als konsumfreundliches Actionbrett. Diese Lücke schließt Morel nun höchst persönlich, indem er Jennifer Garner auf die bösen Buben dieser verkommenen Welt los lässt. „Peppermint" heißt die neue Rachephantasie, wobei der deutsche Untertiel „Angel of Vengeance" deutlich griffiger gewesen wäre. Garner jedenfalls passt. Als toughe Spezialagentin in der TV-Serie „Alias" hatte sie ja bereits die Bad Ass-Tauglichsprüfung mit Bravour bestanden, so dass man durchaus bereit ist, ihr die „Eine Frau sieht rot"-Variante abzukaufen.

Ihre Spielwiese ist das von mexikanischen Drogenbanden gepeinigte Los Angeles, seit geraumer Zeit eine beliebte Location für derbe Actionszenarien. Natürlich muss dazu erst ein motivischer Rahmen abgesteckt werden, der möglichst klar und simpel zu sein hat. Schließlich soll man die Bösen so richtig hassen, um dem Rachefeldzug auch befreit Satisfaktion erteilen zu können. Morel lässt diesbezüglich nichts anbrennen, er bewegt sich ja auch auf vertrautem Terrain.
Also präsentiert er uns ein wohliges Familienidyll, das urplötzlich mir brachialister Gewalt zerstört wird. Obwohl der liebende Ehemann und Vater Chris North die Anfrage eines Freundes zum vermeintlich kinderleichten Geldraub ablehnt, zeigt sich der betroffene lokale Drogenboss Diego Garcia wenig amused und ordnet kurzerhand seine Liquidation an. Die trifft nicht nur ihn, sondern auch seine kleine Tochter. Riley North überlebt schwer verletzt und muss im folegenden Prozess auch noch erleben, wie die von ihr identifizirten Mörder durch einen korrupten Richter frei gesprochen werden. Daraufhin verschwindet sie spurlos von der Bildfläche. 5 Jahre später wird L.A. von einer Mordserie in Atem gehalten, der nach und nach sämtliche Beteiligte des North-Attentas zum Opfer fallen ...

Wer hier nach einem hieb- und stichfesten Charakterprofil Ausschau hält, der dürfte wenig Befriedigung finden. Die Mutation von der gestressten, aber liebevollen Mutter zur kontrollierten und knallharten Killerin wird mehr behauptet denn entwickelt. Nicht dass Garner nicht beides glaubhaft verkörpern würde, allein der Weg von A nach B bleibt weitgehend im Dunkeln. Morell zeigt sich weder sonderlich an Rileys Innenleben, noch an gesellschaftspolitischen Kommentaren (Riley operiert von den Elendsvierteln L.A.s aus und wird dort als Heilige verehrt) interessiert, so dass die interessantesten Plot-Vorlagen leider ungenutzt verpuffen. Er setzt einzig und allein auf seine Action-Kompetenz, was den Film immerhin einigermaßen sicher ins Genre-Ziel bringt.

Rileys blutiger Rachefeldzug wartet mit schneller Taktung, ruppigen Gewaltdarstellungen und kompromissloser Härte auf, so dass Freunde des Vigilantenkinos definitiv auf ihre Kosten kommen. Die Story schlägt ein paar nicht unbedingt geniale, aber immerhin unterhaltsame Haken. Der Kolumbianer Juan Pablo Raba bedient zudem nicht die üblichen Drogenboss-Klischees und überzeugt mit eiskalt kalkulierter Härte und Fokussierung.
Auch der Auftakt ist stark inszeniert, in dem Morell geschickt mit den Zuschauererwartungen spielt und sowohl Geschlechterrollen wie auch Gewaltkonnotationen durcheinander wirbelt. Was einfach nicht so recht passen will, ist der Übergang zwischen Exposition (die den inhaltlichen Rahmen absteckt) und finalem Selbstjustiz-Spektakel (das als, wenn auch reaktionäre, Karthasis angelegt ist). Fairerweise muss man zugeben, dass diese Problematik beinahe schon als Markenzeichen eines Genres gelten kann, das die intrinische Motivation seiner gebrochenen Helden sehr häufig einem möglichst konsequenten Vergeltungsinferno unterordnet. „Peppermint" befindet sich also in guter, weil vertrauter und etablierter Gesellschaft.

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