Der Pate von Bombay - oder Sacred Games wie es im original heisst - ist die erste Netflix Serie aus Indien und orientiert sich an einem 1300 Seiten umfassenden Mafia-Epos aus Indien, welches so dick ist, dass es in Deutschland sogar zweigeteilt veröffentlicht wurde. Entgegen vieler Kritiken stellt sich bei genauerer Recherche heraus, dass die Buchvorlage keinesfalls ein Bestseller war, doch erfolgreich genug wurde, und qualitativ ohnehin überzeugend, dass sich mittlerweile viele Leute von dem Buch haben überzeugen lassen.
Im Mittelpunkt der Serie steht ein abgehalfteter aufrechter Polizist, der bei seinen Kollegen wegen seiner Weigerung, sich dem korrupten System zu beugen, in Ungnade gefallen ist, den seine Frau verlassen hat und der andeutungsweise durchaus tablettenabhängig und evtl. sogar suizidgefährdet sein dürfte, der urplötzlich von einem seit 16-17 Jahren von der Bildfläche verschwundenen Mafiaboss kontaktiert wird, damit er ein Unglück abwendet, welches in den folgenden 25 Tagen passieren wird.
Dies sind gerade mal die ersten 15-20 Minuten der Serie. Alles Weitere wäre eine Vorwegnahme der Handlung.Auf zwei Zeitebenen wird zum einen der Werdegang des Mafiabosses nachgezeichnet und zum anderen die Recherche des kleinen Polizisten, der immer wieder Gefahr läuft, in den Mühlen der maroden und korrupten Bürokratie zermalmt zu werden.
Dabei geht die Serie keinesfalls zimperlich vor und entgegen landläufiger Meinung bzgl. indischen Produktionen gibt es keinerlei absolute Schwarz-Weiss-Zeichnung sondern ausschließlich Graustufen bei allen Charakteren. Der einzige Charakter, der fast durchweg positiv anmuten könnte, nimmt im Verlauf der Handlung auch immer grauere Schattierungen an und man ist mehr als einmal geneigt sich zu fragen, ob diese Person als Identifikationsfigur überhaupt geeignet ist, da er durch seine Tablettensucht oder mentalen Zustand auch nicht immer einen äußerst verläßlichen Erzähler gibt.Minutiös werden für Interessierte der jungen indischen Geschichte gewisse Stationen abgearbeitet, die natürlich zufälligerweise mit dem Werdegang des Mafiapaten korrelieren, so dass keiner der Erwähnten ungeschoren davon kommt. Doch auch hier muss man aufpassen, dass man nicht die Meinung des Erzählers übergestülpt bekommt, denn so charismatisch er auch sein mag, und das ist er wirklich ohne Ende - so hat er doch auch seine eigene Agenda.
So kommt es auch, dass Mumbai auch kein bißchen glamourös beschrieben wird, sondern wie ein Sündenpfuhl und Moloch, der die Menschen bei lebendigem Leibe verspeist und einfach ausscheidet.Daher sind Vergleiche zu Werken von Don Delillo, James Ellroy mit dem korrupten System, den Hardboiled Krimigeschichten durchaus gerechtfertigt und die Serie stürzt unter diesem Vergleich keinesfalls in sich zusammen. Eher werden der Story andere Elemente hinzugefügt, die das Ganze dann noch typisch indisch machen, wie zum Beispiel die gesamte Religionsthematik, das Kastendenken, die Korruption, die Verflechtungen in alle Bereiche (sogar ins Showbusiness), angereichert mit sehr viel (auch explizitem) sexuellem Subkontext, so dass sogar Reminiszensen an The Crying Game auftauchen mögen. Auch der Vergleich zum Original Paten von Coppola liegt auf der Hand, vor allem die zwei Erzählebenen wie beim zweiten Teil des Epos, und selbst den verliert Sacred Games nicht wirklich.
Für die Inszenierung der kompletten Serie zeichnen zwei Regisseure verantwortlich, die fein säuberlich getrennt der eine dreht die Geschichte vom Mafiapaten, der andere die Geschichte des Polzisten. Dadurch behält die Serie ihre eigene unverkennbare Handschrift, wirkt aber dennoch wie aus einem Guß. Und die Inszenierung ist einfach über jeden Zweifel erhaben, sozusagen das Prunkstück dieser ohnehin sehr hochwertigen Produktion, sowohl von der Bildkomposition her als auch vom inhaltlichen und stilistischen. Von der ersten Einstellung an weiß man, dass hier nicht nur was künstlerisch Wertvolles serviert wird, sondern auch was gewollt Großartiges, und es gelingt dieser fabelhaften Serie zu jedem Zeitpunkt, das vorab festgelegte hohe Mass nicht nur zu halten sondern immer höher zu schrauben. Dass Inder Filme drehen können, ist nicht erst seit gestern bekannt, aber dass sie auch so westlich wirkend drehen können, ist die absolute Überraschung. Qualitativ ist diese Serie in ihrer exotischen, schwülen, unerbittlichen Inszenierung sehr nah auch an der ersten Staffel von der total überbewerteten Serie True Detective, jedoch ihr meilenweit überlegen. Die einzige derzeitige Serie (zum Zeitpunkt des Verfassens), die ähnlich gelagert ist, und besser als diese Serie ist, ist Fargo. Aber das ist auch schon ein Riesenlob, da Fargo mit zum besten jemals gedrehten Serienmaterial gehört.Wenn man sich bei Netflix umschaut, so gäbe es als offensichtlichsten Vergleich die Serie Narcos, welche sich Lateinamerika als Schauplatz eines Mafiaepos annimmt und reale Geschichte mit ausschmückender Action ergänzt. Ähnlich verfährt Sacred Games, und für alle, die Narcos gut finden- gerade auch wegen der fehlenden Synchronisation und damit einhergehend mit der höheren Authetizität - sei gesagt, dass sacred Games ähnlich verfährt und es keine Synchronisation auf deutsch gibt. Das mag einige/viele Leute abhalten vom Konsum der Serie. Aber das wäre ein Fehler, denn gerade dieser Aspekt macht die Serie ungemein authentisch, realistisch und gut. Und im Vergleich zu Narcos ist Sacred Games nochmals ein deutlicher Plus an Qualität.
Die Darsteller sind allesamt Top Notch, und vor allem der Darsteller des Mafiapaten ist einfach eine Wucht, der allerdings auch die deutlich dankbarere Rolle innehat, da der Charakter einfach mit seinen 50 Stufen von Grau einfach mehr hergibt als der einfache Polizist.Und man muss es so deutlich sagen: Selbst die Frauenfiguren sind allesamt so stark geschrieben und gespielt, dass sogar im neuen Golden Age of Television sich einige Produktionen was von abschneiden könnten.
Also alles in allem eine extrem athmosphärische, sehr gute und spannende Serie, die visuell und akkustisch komplett überzeugt, inhaltlich sowieso, gleichzeitig spannend und lehrreich ist, ohne mit dem Zeigefinger zu mahnen. Einzig der wahre Held ist ein bißchen blass, aber dafür lebt alles andere sehr stark.Kurz: Eine der besten Serien der letzten Jahre, und gerade im so starken heutigen Umfeld ist das eine krasse und positiv überraschende Hausnummer.
9 Punkte