Eine wahre "Mission Impossible"
Warum er ausgrechent jetzt und nach so langer Zeit einen Film über die erste bemannte Mondlandung gedreht habe, wurde Regisseur Damien Chavelle wiederholt gefragt. Als ob es eine besondere Rechtfertigung dafür bräuchte, eines der bahnbrechendsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte zu verfilmen. Aber Chavelle ist ein höflicher und zurückhaltender Mensch und lässt sich erst gar nicht auf solch unsinnige Diskussionen ein. Ihm sei es vor allem um die menschlichen Erfahrungen der unmittelbar Beteiligten gegangen. Wie fühlte es sich an in einer sehr engen und relativ klapprigen Kapsel ins All geschossen zu werden? Was motivierte die Männer um Neil Armstrong trotz zahreicher Unfälle und Todesfälle unbeirrt weiter das scheinbar Unmögliche zu versuchen? Wie gingen die Familien mit der extremen Diskrepanz zwischen Alltagsjob und Himmelfahrtskommando um?
Das soll nicht heißen, dass „First Man" (im Deutschen „Aufbruch zum Mond") die technische und spektakuläre Seite der Apollo 11-Mission lediglich als Hebel nutzt, um die menschlichen Dramen besonders existentiell erscheinen zu lassen. Ohnehin bedingt sich beides gegenseitig und Chavelle arbeitet diese Symbiose auch sehr eindringlich heraus. Sein Film ist ganz nahe an den Figuren und das eben auch beim knüppelharten Training für den Ernstfall und natürlich dann bei der eigentlichen Mission. Der Wille zu möglichst totaler Authentizität ist durchgängig spürbar und geht so weit, dass man sogar die originale Tonspur der Atemgeräusche von Armstrong und Aldrin verwendet hat. Mann und Mission gelten das Hauptaugenmerk, weshalb die teilweise zu lesende Kritik am weitestgehenden Ausparen der politischen Konnotationen (Stichwort Ost-West-Konflikt) am Ziel vorbei schießt. Chavelle belässt es bei Andeutungen, was dem vordringlich auf das technische Gelingen gerichteten Blick der Astronauten entspricht. Deren Kernmotivation lag nicht im Triumph über den Systemgegner.
Chavelle hatte das Projekt bereits lange vor seinem „La La Land" -Triumph geplant und sich akribisch darauf vorbereitet. Jede Schraube, jede Niete, jedes noch so kleine technische Detail wurde auf historische Korrektheit geprüft. Ähnliches gilt für den Protagonisten. Dem Charakter des verschlossenen und introvertierten Neil Armstrong versuchte Chavelle in langen Gesprächen mit seinen zwei noch lebenden Söhnen so nahe wie möglich zu kommen. Und laut deren Aussagen scheint das mehr als gelungen. So soll sich einer der Schlüsselmomente des Films, das seltsam distanzierte Gespräch zwischen Armstrong und seinen Söhnen kurz vor dem Abflug zum Mond, praktisch wortwörtlich so abgespielt haben. Auch der frühe Tod seiner Tochter und Armstrongs äußerlich verdrängender Umgag mit dieser emotionalen Extremerfahrung wirft einen schonungslosen Blick nicht nur auf ihn selbst, sondern auch das vorherrschende Männerbild der Zeit. Gefühlsausbrüche waren nur hinter verschlossenen Türen erlaubt bzw. möglich.
Ryan Gosling, schon bei Chavelles Musical-Hit eine Trumpfkarte, ist eine perfekte Wahl für den stoisch wirkenden Astronauten. Die hinter einer beinahe teilnahmslosen Fassade brodelnden Extrem-Gefühle wie Liebe, Angst und Verzweiflung packt Gosling in wenige, aber sehr eindringliche Blicke und Gesten. Äußerlich gar nicht mal so ähnlich, trifft er Auftrteen und Verhalten des immerhin aus zahlreichen Filmaufnahmen bekannten Armstrong auf den Punkt. Bei so viel Fokus auf die Hauptfigur bleibt für den Rest nur noch die zweite Reihe. Das ist schade für die ebenfalls mit reduziertem Spiel groß aufspielende Claire Foy. Als Armstrongs Ehefrau ist sie psychisch nicht weniger belastet, weil zum Zuschauen verdammt und dazu einziges wesentliches Bindeglied zwischen Vater und Kindern, die die volle Tragweite der väterlichen Profession gar nicht erfassen können.
Prominent besetzt und versiert gespielt sind auch Armstrongs NASA-Kollegen (u.a. Corey Stoll als Buzz Aldrin, Likas Haas als Mike Collins, Jason Clarke als Edward Higgins White und Kyle Chandler als Deke Slayton), bekommen aber mit Ausnahme von Clarke und Chandler kaum Raum zur Entfaltung.
Neben aller darstellerischer Expertise und historischer Akkuratesse ist „First Man" insbesondere ein audiovisuelles Bravourstück. Bei den diversen Testflügen sowie der eigentlichen Mondmission sorgen Schnitt, Ton und Kamera für ein unmittelbares Erlebnis wie es im Rahmen eines Spielfilms nur sehr selten gelingt. Die Fragilität der technischen Möglichkeiten, die allgegenwärtige Gefahr des Scheiterns, aber auch der triumphale Augenblick der gegen alle Widrigkeiten gelungenen Mondmission werden für den Zuschauer zu einer ganz persönlichen Erfahrung und machen diese Pionierzeit der Raumfahrt physisch wie psychisch nachvollziehbar. Und das abseits aller reißerischen Mätzchen, die das moderne Hollywoodkino üblicherweise so abzieht. Der vorherrschende Ton bleibt nüchtern, sachlich und beinahe bescheiden, was auch als Verneigung vor den menschlichen Leistungen und der weltgeschichtlichen Bedeutsamkeit des Ereignisses verstanden werden kann, oder zumindest in dieser Hinsicht sehr stimmig wirkt.
Dazu passt dann auch der vor allem in den USA heftig diskutierte Verzicht Clavelles, das Hissen der US-Flagge dramaturgisch episch auszugestalten. Die betörenden Bilder von Armstrongs ersten Schritten auf dem Mond sind geprägt von der völlig fremdartigen Atmosphäre und einem gänzlich neuen Blick auf die Erde und all ihre kleinlichen Auseinandersetzungen und Problemen. Die symbolische Inbesitznahme eines neu erschlossenen Territoriums in den Mittelpunkt zu rücken, würde hier nur den Fokus verstellen. Und der liegt auf einer nachdenklichen Reflexion über Endlichkeit, Fortbestand und Zukunftschancen der Erde. Ein so philosphisches wie lohnendes Gedankenkonstrukt, das auch nach 50 Jahren noch brandaktuell ist.