Dies ist eine Doppel-Rezension, ein Vergleich zwischen dem Original "Himitsu", Japan 1999 und dem Remake "Si j'étais toi" Frankreich 2007 (deutsch: "In deiner Haut", englisch: "The Secret"). Massives Spoilering ist dabei unumgänglich.
Synopsis: Nach einem Autounfall erwacht eine Ehefrau und Mutter im Körper ihrer gleiczeitig verunfallten Tochter. Es sieht so aus, als sei, während die beiden schwerverletzt im Krankenhaus nebeneinander gelegen sind und die Mutter starb ein Seelentransfer von der Mutter in den Körper ihrer Tochter vonstatten gegangen. Dadurch entstehen in der Folge tragische Irritationen für die Mutter die das Leben der Tochter weiterführen muss und im vormals glücklichen Eheleben – nicht zuletzt für den Eheman/Vater.
Die Handlung des japanischen Originals "Himitsu" (jap."Geheimnis") ist im ländlichen Hokkaido angesiedelt, die meisten Figuren wirken etwas überzeichnet, was dem traditionellen japanischen Filmstil geschuldet ist. Aber Ryoko Hirosue spielt die Protagonistin Monami zweifelsfrei hinreißend.
Es gibt interessante kulturelle Unterschiede auszumachen zwischen den beiden Versionen. Ich finde, die EU-Version (Si j'etais toi) bringt die unfreiwilligen Kontradiktionen denen die Protagonistin in der Gesellschaft ausgesetzt ist, viel deutlicher und berührender auf den Punkt. Die Szenen in der Schule sind buchstäblich haarsträubend und an den Offenbarungen und der Betroffenheit der Mutter die das "unbekannte Teenagerleben" ihrer Tochter in deren Körper erlebt, nimmt man sehr intensiv teil. Hier bleibt "Himitsu" weit zurück, dafür nimmt er sich – mit beiläufiger Kritik am jap. Wirtschaftssystem – dem Verursacher des Unfalls und seines Umfelds an (in der japanischen Version sterben Mutter & Tocher aufgrund eines Busunfalls der durch einen überarbeiteten Fahrer verursacht wird).
Hingegen verschenkt das Remake "Si j'étais toi/In deiner Haut" in der ersten Hälfte viel Zeit mit dem Durchspielen der Clichés: "Heiles Familienleben", "Zickiger Teenager" und "fassungsloses Trauern", zumal Duchovny den Vater nicht gerade begnadet spielt - da bleibt eigentlich nur die fw-Taste. Dass ein Seelen/Körperwechsel stattgefunden hat, begreift Samantha die Tochter in "Si j'étais toi" fast zu schnell, währenddem sie ihre liebe Mühe hat, das ihrem, vom westlichen Rationalismus geprägten Manne/Vater beizubringen. Damit geht die japanische – animistisch/buddhistisch eingefärbte – Weltanschauung erwartungsgemäß viel leichtfüßiger um.
Sehr gegensätzlich wird in den Versionen auch das Gesellschaftliche dargestellt: Das Rebellieren des Teenagers Samantha ist viel krasser (so krass wie auch das schulische Umfeld), als das verhaltene Aufbegehren Monamis gegenüber ihrem Vater und in der "Gute-Laune-Schule" voller grau uniformierter – gleichsam bigotter – Schulmädchen. (Ein japanischer Kritiker würde wohl hier ebenso von Clichés sprechen).
Beiden Versionen thematisieren hingegen deutlich die Unmöglichkeit "das Geheimnis" in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Mann kann nicht plötzlich mit seiner Tochter am Arm in der Gesellschaft erscheinen und verkünden, das sei seine Frau. Das Inzestthema entsteht gezwungenermassen und ist seelisch motiviert. Das Paar ist schlichtweg mit der Tragik konfrontiert ihr Eheleben auf dieser Ebene nicht mehr fortführen zu können. Das ist in "Himitsu" in zwei Bettszenen sehr berührend gezeigt, während die EU-Sittenmoral für mehr nicht, als einen Verführungs-Tanz Raum lässt. [Durch den Generationentransfer wird eben auch die Zeitachse unterlaufen und – das ist weitum bekannt: ihr Diktat kennt "von Natur aus" kein Erbarmen!]
Diese tragischen Umstände sind letztlich der Hauptgrund, dass sich die Mutter im Körper der Tochter für das Leben der Tochter entscheiden muss. Sie MUSS der Biologie (und Soziologie) des jungen Körpers folgen!
So ist es auch im zugrunde liegenden Roman "Naoko" von Keigo Higashino, der am Drehbuch von "Himitsu" mitbeteiligt war, nachzulesen, wo am Ende die Tochter (beseelt mit der Mutter) einen jüngeren Mann heiratet und der Vater (ihr Ex-Mann) hilflos zusehen muss wie er "beide" verliert. "Himitsu" bewegt sich hier näher an der literarischen Vorlage, während in "Si j'etais toi" die Rückkehr der Tochter-Seele in ihren richtigen Körper (und der Abschied jener der Mutter) über ein Drogenrausch einigermaßen plausibel in Scene gesetzt wird – hier präsentiert das Remake also einen Ausweg aus der misslichen Situation. Es lässt zudem, auch durch die unrichtige (oder tendenziöse) Übersetzung des deutschen Filmtitels, die Deutung zu, die Tochterseele wolle ihrer Mutter mit dem temporären Aufenthalt in ihren Körper nur ein Lehrstück in "Teenagerdasein" erteilen – aber mir ist dies Schlussfolgerung nicht nur zu schulmeisterlich plakativ, sondern scheint mir aus der jenseitigen Warte einer Seele ziemlich unsinnig.
Auf die Mystery-Ebene lassen sich leider beide Filme nicht ein. Zwar werden solche Fälle eines temporären Seelenwechsels aus der einschlägigen Fachliteratur zitiert, aber weder geht die Geschichte auf den Verbleib und Aufenthaltsort der ausgeschlossenen Seele ein, noch wird auf einer parapsychologischen oder spirituellen Ebene das Phänomen umrissen. Immerhin wird nicht fälschlicherweise die Besessenheitsschiene gefahren, das eigentliche Thema eines "Walk-Ins" (Intruderseele) aber, (das in gewissen Kreisen lebhaft diskutiert wird, wird jedoch ganz außer Acht gelassen. So bleiben beide Filme auf einer – zwar reizvollen aber – rein fiktionalen "Wenn ich Dich wäre"-Ebene stecken.
Es ist letztlich schwer zu entscheiden, welche der beiden Verfilmungen die Bessere ist. Ich als Asien-Fan würde entschieden "Himitsu" bevorzugen, obwohl "Si j'étais toi" um einiges professioneller daher kommt. Aber wie auch immer die soziologischen Fragen, die eine solche Ausgangslage aufwirft, gewichtet sind – das Thema bleibt vielschichtig und spannend. (Wen es interessiert dem seinen hier (hors concours) zwei Graphic Novels von Jiro Taniguchi empfohlen: "Bis in den Himmel" und das herausragende "Vertraute Fremde".)