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Til Schweiger ist am bisherigen Tiefpunkt seiner filmischen Karriere angekommen. Leider hat sich das offenbar immer noch nicht überall herumgesprochen, denn warum sonst findet dieser pubertäre Teenager im Körper eines Mittfünfzigers immer noch genügend Leute, die bereitwillig Ja sagen, wenn er mit einem neuen Filmprojekt um die Ecke kommt? Mit „Klassentreffen 1.0“ sollte er sich eigentlich endgültig disqualifiziert haben. Stattdessen steht die Fortsetzung bereits in den Startlöchern. Das Leben ist ungerecht.

Über all die Jahre hat Schweiger den Macho mit dem weichen Kern, den er vor der Kamera spielt, maximal geringfügig variiert. Egal ob „Keinohrhasen“ (plus der Fortsetzung „Zweiohrküken“), „Kokowääh“ (plus der Fortsetzung „Kokowääh 2“) oder „Schutzengel“, egal ob Boulevardreporter, Drehbuchautor oder Personenschützer – gefühlt ist er immer dieselbe Figur, lediglich in ein neues Umfeld mit neuen Frauen an seiner Seite verfrachtet, abgesehen von seinen Real-Life-Töchtern, denen er immer wieder tragende Rollen verschafft. Gerade Schweigers romantische Komödien hatten ein Millionenpublikum, mit der Demenz-Tragikomödie „Honig im Kopf“ gelang ihm gar der sechsterfolgreichste deutsche Film seit 1968.

Auch „Klassentreffen 1.0“ verzeichnete 2018 immerhin noch über 1,1 Millionen Kinozuschauer – immer noch unverdientermaßen viel, infantiler, primitiver und peinlicher ist deutsches Kino nämlich lange nicht mehr gewesen. Schweiger und Co-Autor Lo Malinke panschen für diese Komödie um drei Männer mittleren Alters, die auf dem Weg zu einem Klassentreffen gehörig einen drauf machen, nämlich die schlechtesten Momente aus seinen bisherigen Werken zu einem unerträglichen 127-Minuten-Mus (!) zusammen, dass man bereits nach fünf Minuten die Segel streichen möchte.

Selbst in eher einfühlsam inszenierten Filmen wie „Honig im Kopf“ schimmerte der bedenklich analfixierte Humor des Regisseurs deutlich durch, doch hier bricht er sich vollends Bahn. Der ganze Film ist eine einzige schmerzhafte Aneinanderreihung von – im wahrsten Sinne des Wortes – unter der Gürtellinie angesiedelten Furz- und Pimmel-Gags, teilweise über Minuten in die Länge gezogen, dass man einfach nicht verstehen will, warum sich hier offenbar am Set keiner mal genötigt fühlte, laut Stopp zu sagen. Besonders schlimm erwischt es den eigentlich fähigen Schauspieler Samuel Finzi, der sich in Schweigers Filmen zwar schon mehrfach in der Rolle des der Schweiger-Figur Unterlegenen genügte, in „Klassentreffen 1.0“ aber Szenen spielen muss, die sich jenseits jeglicher Geschmacksgrenzen bewegen und für ihn weit unter seiner Würde sein sollten. Er verkörpert Nils, der sich in der Männersauna nicht nur seinen monströs großen und unnatürlich roten Hodensack in einer Holzbank einklemmt, was mit Großaufnahmen auf eine Hodensack-Attrappe zelebriert wird, sondern sich als Running Gag zusätzlich böse mit Hämorrhoiden herumplagt und auf dem absoluten Höhepunkt der Niveaulosigkeit während des Klassentreffens auf einer Bühne seinen nackten Arsch entblößt, um seinen ehemaligen Mitschülern sein anales Leiden zu präsentieren.

Wäre das allein schon verachtenswert genug, hat sich Til Schweiger einmal mehr die einzige (und so unendlich langweilige) Rolle auf den Leib geschrieben, die er kann: die des unwiderstehlichen Frauenhelden Thomas, der es auch gleich in der ersten Sekunde seines Auftritts einer jungen Frau besorgt, wobei natürlich auch sein Hintern (nicht das letzte Mal) wieder ins rechte Bild gerückt wird. Außerdem verdient er sich mit Plattenauflegen eine goldene Nase und ist damit ja ganz anders als seine Freunde Nils und Andreas (Milan Peschel), der jüngst von seiner Frau für einen Jüngeren verlassen wurde und dementsprechend Frust schiebt. Thomas‘ größtes Problem hingegen ist es, monogam leben zu müssen. Eigentlich hat er bereits seine Traumfrau gefunden, aber die Verlockungen der Frauenwelt sind groß. Vielleicht laufen ihm die Frauen ja aber auch nur deshalb die Bude ein, weil er den ganzen Film über einen tollen Hut auf dem Kopf trägt. Wie in jedem Schweiger-Film warte ich vergeblich darauf, dass diese Rolle einmal ironisch gebrochen wird. Schweiger liebt Schweiger – wenn er sich selbst heiraten könnte, würde er es tun. In „Klassentreffen 1.0“ ist die Diskrepanz zu den übrigen Figuren sogar noch höher, weil er sich diesmal einfach nur mit männlichen Versagern umgibt.

Wie gesagt: Mit dem Versager-Duo Nils und Andreas zusammen macht sich Mindestens-Halbgott Thomas auf den Weg zum Klassentreffen. Unverhofft gesellt sich für den Trip noch die Tochter von Thomas‘ aktueller Freundin Lili (Lilli Schweiger) als Quasi-Aufpasserin mit dazu, damit es nicht zu bunt getrieben wird. Lili weckt in Thomas, wie man es ja auch schon aus allen anderen seiner Filme kennt, in denen seine Töchter mitspielen, Vaterinstinkte und ist somit auch der Schlüssel dafür, es am Ende mit einer ernsthaften Beziehung zu versuchen. Letztlich sehnt sich der wilde Thomas doch nur ganz konservativ nach einer Familie mit Frau und Kind. Dieser Wandel wird lediglich behauptet, kann anhand der Fortentwicklung der Geschichte allerdings nicht nachvollzogen werden, zu wenig interessieren sich Schweiger und Malinke für das Innenleben der Figuren. Auch für Nils und Andreas gibt es am Ende sehr wundersame Hauruck-Läuterungen und Happy-Ends, die erzwungen wirken und nie realistisch begründet werden. Dazu wird einfach zu viel Zeit mit plumpstem Klamauk verschwendet. Ein lauter Furz hier, ein missglückter Blowjob da und dann noch wuchernde Sackhaare obendrauf – schon quiekt Schweigers innerer Neandertaler wieder vergnügt auf.

Zudem zeichnet „Klassentreffen 1.0“ ein fragwürdiges Menschenbild von seinem Macher, das zwar für jeden, der seine Filme aufmerksam verfolgt, keine Überraschung sein dürfte, aber hier tatsächlich so richtig zum Ausbruch kommt. Nein, es ist nicht der zum Fremdscham einladende Pennälerhumor, an dem sich Schweiger geradezu delektiert. Zum einen wäre das die latente Homophobie, die von Anfang an mitschwingt. Til Schweiger ist offenbar nie im 21. Jahrhundert angekommen, wenn er Missgeschicke, die Außenstehende als Schwulensex missinterpretieren, immer noch für die hohe Kunst der Komik hält oder wenn eine von Nils‘ größten Sorgen – neben seinen Hämorrhoiden – zu sein scheint, dass sein Sohn für homosexuell gehalten werden könnte, sollte er nicht seinen Look „entschwulisieren“.

Die Frau als williges Lustobjekt, das Männern beim Bücken auch mal bereitwillig seinen Hintern entgegenstreckt oder notgeil mit fremden Männern in die Kiste hüpfen will, ist auch wieder mit von der Partie. Klar kann man nun sagen, dass mit Nils‘ Gattin Jette und Thomas‘ Freundin Linda zwei vernünftige Frauen mit dabei sind, doch bleiben sie nur Staffage – und man fragt sich, was die wohl an ihren jeweiligen Partnern finden, dass sie ihnen die Treue halten: Nils ein wehleidiger Jammerlappen, Thomas ein notorischer Fremdgänger. Bliebe noch Schweigers eigene Tochter Lilli, die natürlich nicht zu negativ wegkommen darf, denn seine Töchter hebt er ja generell in Filmen stets auf ein Podest (obwohl sie bis heute nicht richtig spielen können). Als so eine Art gute Seele weiß sie dennoch nicht, was Hämorrhoiden sind, und googelt in völlig falscher Orthografie nach dem Begriff, um sich während der Reise dann zwischendrin hin und wieder mahnend in Erinnerung zu rufen, wenn sie sich nicht gerade selbst Binsenweisheiten ausgerechnet von Schwerenöter Stiefpapa anhören muss, und ansonsten den Platz freizuräumen für die peinlichen Eskapaden der Männer.

Man kann es also nicht anders sagen: Unter normalen Umständen müsste „Klassentreffen 1.0“ der Sargnagel für Til Schweigers Karriere gewesen sein, wenn er nicht sein eigener Produzent wäre und sogar bedeutend talentiertere Darsteller, als er selbst es ist, mit ihm zusammenarbeiten wollen, obwohl sie die Drehbücher und die darin transportierten Botschaften kennen. Das Niveau unterbietet sogar noch viele andere Komödien-Vertreter, die den Griff in die unterste Gag-Schublade wagen, was mich mit Grausen auf die Fortsetzung und im schlimmsten Fall noch weitere Fortsetzungen blicken lässt. Für diesen auch noch über zwei Stunden langen Scheiß kann es wirklich nur noch die Tiefstnote geben: 1/10.

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