Review

Neues aus der Endzeit (2)

ENDZEIT

(ENDZEIT)

Carolina Hellsgård, Deutschland 2018


Da haben wir sie wieder, die Endzeit – der Titel sagt’s bereits so deutlich, wie’s ein Titel nur sagen kann. Aber Carolina Hellsgårds Endzeit ist nicht nur ein Endzeitfilm, sondern auch ein Zombiefilm, und das ist mit Blick auf seine Herkunft schon etwas Ungewöhnliches – mit Ausnahme der deutsch-österreichischen Koproduktion Rammbock fällt mir gerade nichts ein, was ich aus dieser offenkundig recht einsamen Ecke bisher gesehen habe (wenn man einmal außer Acht lässt, dass auch die Resident Evil-Filme zumindest teilweise mit deutschen Geldern produziert wurden – aber das ist schon etwas anderes). Im Gegensatz zu Rammbock ist der vorliegende Streifen (an dessen Produktion übrigens sowohl vor als auch hinter der Kamera fast ausnahmslos Frauen beteiligt waren) aber ein sehr anspruchsvolles, sprich weit über das kulturelle Durchschnittsniveau des Genres hinausblickendes Projekt ... und schon läuten angesichts der unheilvollen Kombination von „deutsch“ und „anspruchsvoll“ alle Alarmglocken. Meine Neugier war indes noch immer groß genug, um mich weder von ihnen noch von den bedrohlichen Bewertungen, die sich Endzeit in den großen Datenbanken eingefangen hat, abschrecken zu lassen, und das hat sich unter dem Strich als richtig erwiesen – auch wenn das Glockenläuten sehr wohl seine Berechtigung hatte ...

Alles was wir zu den Hintergründen der Handlung wissen müssen, wird uns eingangs kurz und schmerzlos mit ein paar Schrifteinblendungen mitgeteilt: Die Erde wurde von einer verheerenden Epidemie heimgesucht, welche fast die gesamte Weltbevölkerung dahingerafft (beziehungsweise in Zombies verwandelt) hat. Aber eben nur fast: Zwei Städte gibt es auf unserem Planeten, die dem Unheil trotzen konnten und noch Menschen beherbergen, und das sind, man konnte es ahnen ... Weimar und Jena (!!!). Okay – das konnte man dann doch nicht ahnen.

Im Umgang mit der Situation unterscheiden sich die beiden Städte allerdings grundlegend: In Weimar werden Neuinfizierte sofort getötet, während man in Jena auf der Suche nach Heilungsmöglichkeiten ist. So viel zur Lage – womit wir direkt nach Weimar umschalten können.

Hier lebt in der Obhut der Psychiatrie unsere schwer traumatisierte (kein gutes Omen!) Heldin Vivi, eine junge Frau an der Grenze zwischen Teen und Twen, die sich dafür verantwortlich fühlt, dass irgendwo „da draußen“ noch ihre kleine Schwester herumspringt (wobei realistisch betrachtet davon auszugehen ist, dass die schon lange nicht mehr springt – seit Ausbruch der Seuche sind inzwischen zwei Jahre vergangen). Eines Tages flüchtet Vivi aus der Anstalt und macht sich auf den gefährlichen Weg nach Jena, um die Schwester zu suchen, die sie warum auch immer dort vermutet. Dazu schmuggelt sie sich in den unbemannten Versorgungszug, der zwischen den beiden eingezäunten Städten verkehrt (eigentlich ist es nur ein einzelner Triebwagen). Hier stößt sie auf die etwas ältere Eva, deren Reise einen deutlich konturierteren Grund hat: Eva wurde bei einem Zombieangriff von einem der Untoten verletzt und will sich behandeln lassen, bevor ihre „Umwandlung“ einsetzt.

Als der Zug auf halber Strecke im ungesicherten Niemandsland den Dienst aufgibt, müssen die beiden Frauen ihren Weg zu Fuß fortsetzen, was schon grundsätzlich ein lebensgefährliches Unterfangen ist und noch dadurch erschwert wird, dass sie grundverschieden sind – während Vivi völlig verunsichert und infolge ihrer seelischen Verfassung fast handlungsunfähig durch die Gegend stolpert, ist Eva eher sachlich und abgebrüht und bringt schon eine beträchtliche Erfahrung im Niedermetzeln von Zombies mit. Trotz einer leichten Annäherung läuft es dann tatsächlich nicht gut mit den beiden, was dazu führt, dass Vivi für eine Weile allein unterwegs ist. Dabei trifft sie auf eine seltsame Frau, die friedlich und allein in der „Todeszone“ lebt, sich „Gärtnerin“ nennt, ein schon zur Hälfte mit Pflanzen bewachsenes Gesicht hat (!!), unfassbar dunkelrote Tomaten züchtet und sowohl Vivi als auch uns verdeutlicht, wie in der Welt dieses Films der Hase läuft: Die Natur holt sich die Erde zurück.

Das hilft Vivi im Moment jedoch herzlich wenig, und so zieht sie weiter durch die wild wuchernden Wälder und Wiesen Thüringens, wo übrigens wie überall in diesem Film scheinbar zu jeder Tageszeit gerade die Sonne auf- oder untergeht. In der Folge (Spoiler bis zum Absatz) trifft sie wieder auf Eva, und nach einigen doch ziemlich aufregenden Abenteuern nebst Evas temporärem Tod laufen sie schließlich Hand in Hand in den aktuellen Sonnenuntergang – freudig ihrer frisch erkannten Bestimmung ergeben, als Pflanzenwesen eine neue und bessere Welt zu gestalten ... Ungefähr so kann man’s jedenfalls verstehen – und es blöd finden oder auch nicht.

Grundsätzlich halte ich den Ansatz, dass wir Menschen irgendwann von der irdischen Bildfläche verschwinden, für völlig richtig und auch jederzeit, ähm ... ansetzenswert, aber liebe Leute: Dieses Verschwinden dürfte dann doch etwas anders aussehen als das märchenhaft verklärte „Pflanzen und Tiere an die Macht“-Szenario, das uns Carolina Hellsgård und ihre Skriptautorin Olivia Vieweg (von der auch die Comic-Vorlage stammt) hier vorsetzen und bis an den Rand der Lächerlichkeit vorantreiben – so schön geradlinig die aus menschlichen Gesichtern wachsenden Pflanzen auch gedacht sein mögen. Beim Inhalt wackelt’s also bedenklich, aber die Art, auf die uns selbiger vermittelt wird, lässt so manche Schwachstelle in den Hintergrund treten: Zumindest audiovisuell ist Endzeit ein Hochgenuss. Der Streifen kommt (gänzlich anders als der oben erwähnte, mit der Handkamera in dunklen Hinterhöfen zusammengewackelte Rammbock) mit zauberhaften und kristallklaren Breitwandbildern daher, die Thüringens anmutige Natur und einige moderat auf Postapokalypse getrimmte Sets regelrecht zelebrieren und sogar noch zauberhafter gewesen wären, wenn Kamerafrau Leah Striker nicht wie schon angedeutet bei jeder sich bietenden Gelegenheit zwanghaft in die tief stehende Sonne hineingefilmt und den Weichzeichnereinsatz etwas weniger euphorisch betrieben hätte. Zu den famosen Bildern gesellt sich sogar noch ein mindestens ebenso famoser Score von Franziska Henke (wie gesagt, alles Frauen) – ihre ruhige, eher sparsam instrumentierte und oft genug melancholische Musik mag nicht wirklich aufregend sein, verleiht dem Geschehen aber viel Atmosphäre und bereichert diesen Film ganz erheblich. Und so ist es ein durchaus faszinierendes Erlebnis, die beiden Protagonistinnen auf ihrem Weg durchs endzeitliche Ostdeutschland (nein, kein dummer Kommentar an dieser Stelle) zu begleiten.

Leider wird der Genuss jedoch von einem Gedanken (respektive einem dringenden Wunsch) gestört, der einem partout nicht aus dem Kopf gehen will: Wenn sie doch bloß die Klappe halten würden! Und damit sind wir zurück bei den Alarmglocken ... In guter alter deutscher Kunstkino-Tradition nervt auch Endzeit den Betrachter mit gestelzten, aufgeblasenen und vom ersten bis zum letzten Wort unnatürlichen Dialogen, die nicht nur gestelzt, aufgeblasen und vom ersten bis zum letzten Wort unnatürlich geschrieben sind, sondern von den Darstellerinnen auch noch gestelzt und vom ersten bis zum letzten Wort unnatürlich, sprich mit unterschwelligem Grimm und ohne Betonung vorgetragen beziehungsweise herausgepresst werden – als hätten sie in der postapokalyptischen Luft Atemprobleme. 

Das ist natürlich nicht zuletzt auch ein zweifelhafter Verdienst der beiden Hauptdarstellerinnen Gro Swantje Kohlhof und Maja Lehrer, wenngleich sich sein genaues Ausmaß aus der Ferne nicht bestimmen lässt. Gro Swantje Kohlhof, die als Vivi zu sehen ist, kenne ich bereits aus Sebastian Hilgers mystischem Diplomfilm Wir sind die Flut, und dort hatte sie mir sehr gut gefallen (und mich stark an jemanden erinnert, ohne dass ich hätte sagen können, an wen). Auch hier hat sie mir im Grunde genommen gefallen – aber eben nur im mimischen Bereich beziehungsweise wenn sie wortlos unterwegs war. Erinnert hat sie mich diesmal allerdings an niemanden – nicht einmal an sich selbst: Ich bin nicht sicher, ob es ohne ihren verräterisch ungewöhnlichen Namen ein Wiedererkennen gegeben hätte. Als Eva ist derweil Maja Lehner zu sehen – eine nicht wirklich einnehmende junge Frau, Typ Kickboxerin, Mittelgewicht, die ihrer Partnerin darstellerisch recht deutlich unterlegen ist und die gleichen Probleme bei der Artikulation von Sätzen hat wie diese. In der wichtigsten Nebenrolle tritt ferner die Dänin Trine Dyrholm als „Gärtnerin“ auf, die schon deshalb erwähnenswert ist, weil sie einen sympathischen Eindruck hinterlässt und ungeachtet ihres unüberhörbaren Akzents wie ein ganz normaler Mensch redet.

Das ist also Endzeit, ein deutscher Beitrag zum Zombie-Genre, der es im Kern gar nicht so richtig mit den Untoten hat, sondern nach Höherem strebt und sich von der vermeintlichen Dystopie zur kitschig-abstrusen und bedeutungsschwanger mit heißer Arthaus-Luft aufgeblasenen Öko-Utopie entwickelt. Damit vergrault er natürlich das Genrepublikum aufs Heftigste (siehe IMDb-Note) und lädt seine Kritiker regelrecht dazu ein, ihn mit Hohn und Spott zu überschütten. Auch ich hätte in mancher Beziehung nicht übel Lust, noch ein wenig mitzuschütten, aber ich will auch zugeben, dass mich dieser Film als eine Art Roadmovie gelesen doch außerordentlich fasziniert und am Ende sogar ein Stück weit bewegt hat – kaum auszudenken, wie gut er als Stummfilm mit Franziska Henkes Musik und ein paar Texttafeln hätte funktionieren können. Als gute Rezeptionslösung könnte auch eine möglichst exotische Synchronfassung des Streifens dienen (ich denke an Sanskrit, Neumelanesisch oder Inuktitut, zur Not würden’s aber auch Finnisch oder Ungarisch machen) – schlechter sollten auch fremdsprachige Sprecherinnen ihre Stimmen nicht einsetzen können, und man würde den Schwurbel nicht verstehen, der hier dahergeschwatzt wird. Die Existenz einer solchen Fassung dürfte indes ein kühner Traum bleiben.

Man muss diesen Film also nehmen, wie er ist, aber: Das geht. Wer mit seinem beschaulichen Tempo umgehen kann, eher audiovisuell orientiert ist und generell nicht an einer schweren Arthaus-Allergie leidet, hat gute Chancen, mit ihm auf seine Kosten zu kommen. Ich für meinen Teil war jedenfalls wider alles Glockengeläut sehr beeindruckt. Und einen Versuch wert war diese zumindest wohltuend eigenwillige Arbeit allemal.

PS: Ich habe mir einmal das Vergnügen gemacht, Olivia Viewegs wirklich sehr niedlich gezeichnete, erzählerisch aber des Öfteren gewaltig holpernde Comic-Vorlage zu lesen beziehungsweise anzuschauen und durfte feststellen, dass sich die Verfilmung fast haargenau an das Buch hält. Warum auch nicht.

(06/21)

Mit etwas Entgegenkommen reicht’s für knappe 7 von 10 Punkten.





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