Ein Meisterwerk!
"The Haunting" ist mehr als ein simpler Gespensterfilm, nein, er ist die Krönung dieser Gattung und das, obwohl man während des gesamten Films keinen einzigen Geist zu sehen bekommt. Und damit fährt er um Lichtjahre besser als das entsetzliche Remake, das vor kurzem in unseren Kinos die Runde machte.
Zum Inhalt: Der Wissenschaftler Markway möchte ein Geisterhaus erforschen und den Einfluß, den es auf Menschen ausübt, die bereits parapsychischen Phänomenen ausgesetzt waren. Sein Wahl fällt auf Hill House, ein düsterer Palast irgendwo in Neuengland. Dort versammeln sich die scheue Eleanor, die bisher ihr ganzes Leben lang ihre kranke Mutter gepflegt hat und ungeübt im Umgang mit Menschen ist, The(odor)a, ein PSI-Talent mit zumindest bisexuellen Neigungen und der junge Luke Sanderson, ein Neffe der momentanen Hausbesitzerin. Das Geisterhaus entpuppt sich von innen wie von außen als Monströsität. Vollgestopft mit Statuen, Putten und ähnlich beunruhigendem Zierat ist es zudem noch verwinkelt wie ein Labyrinth. Es gibt keine rechten Winkel im Haus, Türen öffnen und schließen sich teilweise von selbst, in allen Ecken lauert die Dunkelheit. Die mehr als schräge Haushälterin stößt Warnungen aus. Trotzdem richtet sich die Gesellschaft häuslich ein. Und schon in der ersten Nacht geht es los: ein unbekanntes Wesen schlägt wie ein Besessener auf die Schlafzimmertür Eleanors ein. Dann werden plötzlich Kreidebotschaften an Wänden entdeckt, das Haus versucht, seine Insassen zu trennen. Immer stärker wirkt das Gebäude und seine unsichtbaren Phantome auf die Anwesenden ein, am stärksten auf Eleanor...
Hier könnte nur noch ein äußerst detailreiche Inhaltsangabe weiterhelfen, denn in Robert Wises Kleinproduktion (der man den Geldmangel nicht ansieht), ist jede Szene, jede Einstellung von Bedeutung. Begleitet werden die Bilder immer wieder vom inneren Monolog Eleanors, einer wahrhaft gequälten Seele, die vom Leben bisher extrem benachteiligt wurde. Indem ihre Eindrücke an den Zuschauer weitergegeben werden, lotet der Regisseur die Tiefe des verursachten Entsetzens immer weiter aus. Unter Zuhilfenahme aller filmischen Mittel entsteht so eine perfekte Geometrie des Grauens.
Passend zu dem wahrlich schrägen Haus wählt Wise die unmöglichsten Kamerawinkel, hüllt seine Protagonisten in Dunkelheit, grenzt sie voneinander ab. Hier sind Menschen lediglich Ratten im Labyrinth oder besser noch, im Bauch eines Ungeheuers. Immer wieder rücken Gegenstände, Statuen, Gesichter in den Bildvordergrund, scheinen sie die anwesenden Personen zu beobachten. Seltsame Muster zeigen sich an den Wänden und in fast jedem Stück Interieur, Schatten sind allgegenwärtig.
Das alles bedingt ein perfektes Set-Design und hier bewies der Ausstatter Meisterschaft. Hill House wirkt tatsächlich von innen und außen derart dämonisch und böse, daß die Beschreibung schwerfällt. Das muß man tatsächlich gesehen haben.
Von außen werden die Aufnahmen stets in markanten Schwarzweißkontrasten gehalten, was den Eindruck der Unwirklichkeit verstärkt. Erzeugt wurden sie durch den Gebrauch einer Infrarot-Kamera, die die Kontraste unwirklich hervorhob. Von innen erschlägt den Betrachter der Ausstattungsreichtum. Als filmisches Zentrum dient hier die unheimliche Bibliothek und ihr Herzstück, eine schwarze, unsicher wackelnde Wendeltreppe mit düsterer Geschichte, die auch hier noch ihre Rolle zu spielen hat.
Unterstrichen wird das alles von einer Unruhe schürenden, teilweise dissonanten Musik, bei der sich die Nackenhaare aufstellen. Dabei verläßt sich Wise so gut wie nie auf Tricks. Die wenigen Effekte, die er einsetzt, sind geradezu nichtssagend, ausgenommen vielleicht die sich nach innen wölbende und dehnende Schlafzimmertür. Stärker wirkt da schon das, was man nicht sieht. Wer schlägt wirklich an die Tür? Wer hat die Schrift an der Wand gemacht? Wer oder was lockt die Männer aus dem Haus? Wer hält des nachts die Hand der zu Tode erschreckten Eleanor?
Hier geht alles auf die Phantasie des Betrachters zurück und das zeigt mehr Wirkung als jeder lächerliche CGI-Effekt.
Natürlich wäre so ein Film trotz allem verhältnismäßig leer ohne ein gutes Schauspielerensemble. Auch in diesem Punkt ist "The Haunting" ein Glücksfall.
Julie Harris, die unterdrückte Eleanor, die zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Ort wirklich gewollt ist (auch wenn es der völlig falsche ist) und von dem psychischen Druck beinahe zerrissen wird, spielt, als ginge es um ihr Leben.
Claire Bloom zaubert eine spitzzüngige Thea und bringt genau so viele sexuelle Unwägbarkeiten in den Film, wie 1963 schicklich gewesen war (und noch einige mehr). Trotz Gedankenlesens mit beiden Beinen auf der Erde, bietet sie ein angenehmes Gegengewicht zu der leicht hysterischen Harris. Diametral gegenüber steht Professor Markway (Richard Johnson), der dem unheimlichen Treiben in seinen nüchternen Momenten (tagsüber) wissenschaftliche Fakten und Möglichkeiten gegenübersetzt und damit die Zweifler beschäftigt. Und als Comic Interest vervollständigt Russ Tamblyn das Quartett, als lebenslustiger Eventualerbe und völligem Skeptiker, der immer wieder für einen Schmunzler gut ist, bis auch ihm am Ende der Schweiß ausbricht. Ur-Miß-Moneypenny Lois Maxwell hat am Ende einen beachtlichen Auftritt als Markways Frau und bei den Nebendarstellern schießt Rosalie Crutchley als Haushälterin den Vogel ab.
Ihr Part wirkt so gefaßt und gleichzeitig durchgedreht, daß man gar nicht recht einordnen kann, welche Funktion ihr Auftritt eigentlich hat. Aber im Hinblick auf die Ereignisse, die dann noch folgen, fabriziert ihr Lächeln den ersten Schüttelfrost.
Diese Figuren erfüllen einen Film mit Leben, dessen Haupthandlungsort davon einfach zu wenig hat (zuläßt)und das ist mindestens ebenso wichtig, wie jede Äußerlichkeit.
Fazit: Das ist er, der Film, der einen unter die Decke gehen läßt, die Nr.1, der Film, der mir mit sechzehn Jahren noch Schauer über den Rücken gejagt hat, als ich durch alles andere schon abgebrüht war.
Durch seinen dämlichen deutschen Titel wie ein simpler 60er-Billig-Grusler wirkend, wird er nicht selten ignoriert.
Doch wenn er wieder zu sehen ist, dann nehmt euch genug Essen und Getränke vor den Bildschirm, geht nochmal vorher auf die Toilette, schaltet alle Lichter aus, verdammt eure Mitzuschauer gefälligst zum Schweigen und harrt der Dinge, die da kommen. (Ach, und schmeißt die Katze raus. Aus eigener Erfahrung: das Vieh kann bei unbedachter Berührung panische Reaktionen auslösen.)
Denn das hier ist das Heiligtum, das Inner Sanctum aller Gespensterfilme.
Und wer nichts spüren sollte, der ist schon tot! (10/10, weils keine 12 gibt.)