Sowohl der Originaltitel „Ralph Breaks the Internet“ als auch dessen minderschöne Eindeutschung „Chaos im Netz“ lassen es erkennen – das Sequel zu „Wreck-It Ralph“ will nicht einfach nur mehr vom Gleichen bieten.
Extra- wie intradiegetisch sind zwischen beiden Filmen sechs Jahre vergangen. Sechs sehr glückliche Jahre für Wreck-It Ralph, der sich mit Schurken-Dasein in „Fix-It Felix Jr.“ abgefunden hat, sich mit dessen Titelfigur mittlerweile super versteht und es genießt, wenn er nach Feierabend mit seiner besten Freundin Vanellope von Schweetz aus dem Rennspiel „Sugar Rush“ abhängen kann. Als ihre Spielhalle ans Internet angeschlossen wird, registrieren sie das mit großer Neugier, auch wenn der zuständige Controller im zentralen Hub vor den Gefahren des Internets warnt und jeden Zugang versperrt. Für Ralph gibt es allerdings auch keinen Grund aus dem aktuellen Dasein auszubrechen.
Anders sieht es bei Vanellope aus, die alle Rennstrecken in „Sugar Rush“ gemeistert hat und sich nach Neuem sehnt, obwohl sie die beliebteste Figur in ihrem Spiel ist. Als Ralph ihr eine Freude machen will und eine neue Rennstrecke zimmert, kommt es zur Katastrophe, welche die Handlung in Gang setzt: Vanellope probiert sie aus, widersetzt sich dabei den Eingaben der Spielerin am Automaten und sorgt so dafür, dass das Lenkrad abbricht. Die endgültige Abschaltung des „Sugar Rush“-Automaten droht, gerade noch bekommen Ralph und Vanellope mit, dass es das seltene Ersatzteil noch ein einziges Mal in diesem Internet gibt, bei Ebay. Nett werden Motive des Erstlings wie die drohende Abschaltung aufgegriffen und gleichzeitig variiert, denn im heimischen Kosmos der Spielhalle kann das Duo nichts ausrichten.
Es kommt, wie es kommen muss: Ralph und Vanellope überlisten den Controller und betreten das Internet über den WLAN-Anschluss der Spielhalle. Bei der Suche nach dem begehrten Ersatzteil sind sie allerdings mit einer ganz neuen Welt konfrontiert…
„Ralph Breaks the Internet“ macht den Kosmos auf, verlässt das bewährte Terrain der Videospiele, auch wenn es weiterhin Cameos aus dem Bereich gibt, viele davon allerdings Wiederkehrer aus dem Erstling. Im Internet findet das Duo dann noch das Online-Game „Slaughter Race“, das offensichtlich gleichermaßen von „Grand Theft Auto“ wie „Twisted Metal“ inspiriert ist. So richtig wird die Referenztruhe allerdings aufgemacht, wenn Vanellope auf der Disney-Webseite vorbeischaut und das Maushaus aus dem eigenen Fundus schöpfen kann, zu dem bekanntermaßen auch „Star Wars“ und Marvel gehören. Neben Disney-Animationsfiguren wie Baymax oder Heihei aus „Vaiana“ schauen auch Iron Man und Stan Lee vorbei, Groot – wie immer gesprochen von Vin Diesel – stellt sich pedantischen Fan-Fragen und Stormtrooper verfolgen Vanellope. Höhepunkt ist sicherlich Vanellopes Zusammentreffen mit dem offiziellen Kanon der Disney-Prinzessinnen, die fast alle von ihren Originalsprecherinnen vertont werden. Neben dem Wiedererkennungseffekt gibt es zahlreiche Gags und Selbstparodien, wenn etwa ein Glasschuh zerbrochen und als Bedrohung eingesetzt wird, das Prinzessinnen-Dasein bei Disney (verflucht, entführt, bedrängt usw.) auf die Schippe genommen wird oder Vanellope der royalen Crew die Vorteile von Freizeitklamotten nahebringt. Es ist gleichzeitig eine Zelebration der eigenen Kreationen, aber auch ein selbstironisches Spiel mit Konventionen, etwa wenn Vanellope zur Disney-Prinzessin erklärt wird, weil sie auch einen großen starken Mann, der sie aus Gefahren rettet, an ihrer Seite hat.
Vor allem aber will „Ralph Breaks the Internet“ eine Satire auf das Leben im Netz sein, wenn auch eine für Kinder verständliche. Damit ist der Film wagemutiger und erwachsener als sein Vorgänger, wenn auch mit gemischten Resultaten. Das Internet erscheint als beseelte Innenstadt einer Riesenmetropole, Tech-Giganten und Quasi-Monopolisten wie Ebay, Google oder Amazon werden hier einfach als Faktum hingenommen und nicht groß persifliert. Manche Cameos von Influencern und Auktionshausansagern besitzen deutlich weniger Halbwertszeit und Bekanntheitsgrad als die Popkulturreferenzen in den beiden „Wreck-It Ralph“-Filmen, manchmal wird auch nur auf das Offensichtliche eingegangen („Never read the comments!“). Anderes dagegen ist recht clever, sei es die nervige Autovollverständigung bei der personifizierten Suchmaschine KnowsMore oder die Umsetzung von Pop-Ups als Leuten, die Besuchern ungefragt Werbeschilder ins Gesicht halten. In einem unerwartet erwachsenen Witz ist darunter auch Werbung für Dates mit Hausfrauen (mit dem Konterfei einer „Baymax“-Nebenfigur). Auch der Originaltitel ist hübsch doppeldeutig und spiegelt sich auf Handlungsebene wieder: Ralph läuft nicht nur Gefahr das Internet im wahrsten Sinne des Wortes kaputtzumachen, eine Episode als virale Internet-Sensation mit allen Trends (Katzen, quäkende Ziegen, scharfes Essen etc.) und entsprechenden Klickrekorden kann man auch als „break the Internet“ ansehen.
Doch unter dem Ganzen steckt erneut eine Familien-Message. Dieses Mal geht es darum, dass man für seine Freunde da sein muss, selbst dann, wenn das für einen selbst schmerzhaft ist. In diesem Falle weckt der Trip ins Internet Vanellopes Wunsch nach mehr, nach dem Ausbruch aus gewohnten Routinen, während Ralph gern in der liebgewonnenen Zweisamkeit verharren möchte. Das läuft dieses Mal weniger kitschig, aber auch weniger emotional als im Erstling ab. „Wreck-It Ralph“ mochte dicker auftragen, war aber dennoch der herzigere Film, während man die Figurenentwicklung hier eher wohlwollend aufnimmt, aber weniger mitgeht. Zum Mitgehen eignet sich dagegen der Poprock-Song „Zero“ von Imagine Dragons im Abspann eher.
Dafür stimmt das Comedy-Timing erneut, wobei das Grundprinzip vieler Gags eine Variation des Rezepts des Erstlings ist. Denn wieder finden sich Videospielfiguren in ungewohnter Umgebung wieder, was Reibungen und Spaß erzeugt. So bieten Ralph und Vanellope mit absurd hohen, virtuellen Beträgen auf das Lenkrad, um dann festzustellen, dass sie die Summe tatsächlich aufbringen müssen. In einer schönen Disney-Song-Parodie trällert Vanellope ausgerechnet ein Loblied auf „Slaughter Race“, in dessen überzeichneter Welt es auch schon mal vorkommt, dass ein Hai aus der Kanalisation heraus einen Kampfhund auffrisst. Zwei besonderes gelungene Meta-Gags finden sich im Abspann. In einem geht „Ralph Breaks the Internet“ auf das Fan-Gemecker ein, wenn Trailerszenen nicht im fertigen Film landen – mit einer nicht verwendeten Trailerszene. Im anderen geht es um eine angekündigte Vorschau auf „Frozen 2“. Das sind dann noch zwei nette Rausschmeißer, während das Finale wieder auf animierte Action setzt, wenn auch weniger stark als der Vorgänger.
Technisch sind die Animationen auf der Höhe des Erstlings, allerdings mit weniger Einfällen wie beispielsweise bei der dortigen 3D-Umsetzung von 8-Bit-Welten. John C. Reilly als liebenswerter, manchmal aufbrausender Ralph und Sarah Silverman als vorlaute Vanellope spielen sich erneut die Bälle zu, Jack McBrayer als Fix-It Felix Jr. und Jane Lynch als Sergeant Calhoun sind erneut dabei, haben aber weniger Raum (aber dafür immerhin eine amüsante Episode als Adoptiveltern). Ed O’Neill ist erneut als Spielhallenbesitzer dabei, Alan Tudyk kehrt ebenfalls wieder, dieses Mal allerdings als KnowsMore. Gal Gadot spricht die „Slaughter Race“-Figur Shank ganz charmant, wesentlich mehr Eindruck in kleinen Parts hinterlassen allerdings Bill Hader als windiger Jobvermittler im Internet, Alfred Molina als Gangsterboss sowie Taraji P. Henson als Hype-Promoterin und Flula Borg als ihr Assistent.
„Ralph Breaks the Internet“ merzt einige Schwächen des Vorgängers aus, indem er sein Finale weniger auswalzt und weniger kitschig ist – und bleibt doch etwas hinter diesem zurück. Als Satire auf die Internetkultur schwankt er zwischen dem Offensichtlichen und dem Cleveren, die Bindung des Publikums an die Figuren gelingt weniger gut als im Erstling. Doch auch das Sequel ist charmant, witzig und voll an Anspielungen, In-Jokes und Easter Eggs – gerade das Treffen der Prinzessinnen ist stark genug „to break the Internet“. 6,5 Punkte.