Caper-Movies erfreuen sich seit jeher einer außerordentlich hohen Beliebtheit. Wenn Diebe sich daran versuchen, wertvolle Objekte aus einem technisch bestens ausgestatteten Anwesen zu entwenden und ihre Kreativität sprudeln lassen müssen, um alle Widrigkeiten zu umgehen, kann das schon mächtig Spaß machen. Dabei sorgen gerade die unerwarteten Hindernisse, die die sorgsam ausgetüftelten Pläne durchkreuzen und brenzlige Situationen heraufbeschwören, und der Umgang damit für den nötigen Pfeffer auf einem gut gebratenen Heist-Steak.
Insofern ist der Beginn von „Das Mädchen aus der Cherry-Bar“ (einer der deutschen Titel, die mal wieder gewaltig in die Irre führen) sehr enttäuschend, denn der von Harry (Michael Caine) und Emile (John Abbott) ersonnene Plan funktioniert von vorn bis hinten exakt so, wie es sich die beiden vorgestellt haben: Harry lockt die Tänzerin Nicole (Shirley MacLaine) mit 5.000 Dollar und einem britischen Pass, damit sie seine Frau spielt. Da sie nämlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit der verstorbenen Gattin des arabischen Millionärs Shabandar (ein geschminkter Herbert Lom) hat, spekuliert er darauf, dass Shabandars Getreue auf das Paar aufmerksam werden, dem Millionär davon berichten und dieser sie zu einem gemeinsamen Abendessen in seiner Wohnung einlädt. Dies tritt tatsächlich ein. Am Abend verabschiedet sich Harry unter dem Vorwand, noch arbeiten zu müssen, während Shabandar Nicole die Stadt zeigt. In Wirklichkeit nutzt Harry aber die Gunst der leeren Wohnung, bricht dort ein und stiehlt jene unbezahlbare Büste, auf die er es abgesehen hat. Schließlich treffen sich Harry und Nicole am Flughafen, sie erhält Geld und Pass, und jeder geht seiner Wege.
Klingt nicht nur auf dem Papier ziemlich lahm, sondern ist es auch wirklich - ein Caper-Movie, wie er gerade nicht sein sollte. Doch bis zu diesem Coup ist noch keine halbe Stunde vergangen, und ehe wir es uns versehen, bringt uns die Handlung zurück auf „Start“. Alles, was wir bis dahin gesehen haben, war die Theorie, die gedankliche Ausarbeitung des Plans in visueller Form dargestellt, so wie der Einbruch laut Harry und Emile ablaufen soll, wenn einfach alles stimmt. Die Umsetzung steht aber erst noch bevor. Und so befinden sich Harry und Emile nach der knappen halben Stunde immer noch in der Cherry-Bar, wo sie noch keinen Kontakt mit Nicole aufgenommen haben. Sie hat zu dem Plan noch nicht einmal „Ja“ gesagt.
Die Einleitung ist lediglich die erste der zahlreichen Täuschungen, die das Drehbuch noch dem Zuschauer präsentieren wird - ein Drehbuch voller doppelter Böden, das sich bis zur Schlusseinstellung noch drehen und wenden wird, dass es eine wahre Freude ist, auch wenn der Löwenanteil dafür drauf geht zu zeigen, dass Theorie und Praxis zwei Paar Schuhe sind. Das muss Harry sehr schnell erfahren, der sich seiner Sache sogar so sicher ist, dass er, um sie für sich zu gewinnen, in besagter Cherry-Bar auf Nicole zugeht, ihr Geld als Köder auf den Tisch schmeißt und wortlos wieder geht - im Irrglauben, Nicole würde sofort springen und zusagen. Das tut sie nicht. Da ist schon etwas mehr Überzeugungsarbeit notwendig als in seiner Fantasie, in der doch alles so wunderbar klappte.
Auch in der Folge läuft so gut wie nichts so, wie es sich die Gauner ausgemalt haben: Shabandar schickt keinen seiner Diener, um das vermeintliche Ehepaar vom Flughafen abzuholen; stattdessen muss es ein Taxi nehmen. Die Einladung ist kein gemeinsames Abendessen in der Wohnung des Millionärs, sondern ein Mittagessen auf dessen Yacht, Die begehrte Büste befindet sich in einer Glasvitrine mit Alarmsystem und kann nicht einfach so mitgenommen werden wie gedacht. Nicole wiederum, im Einleitungsteil völlig stumm, entpuppt sich als einfältige Labertasche, allerdings mit einigen Geistesblitzen, die Harry immer dann weiterbringen, wenn er kein passendes Improvisationsmittel zur Hand hat, weil mal wieder irgendwas nicht so rund läuft.
Dass Harry trotz eklatanter Schwierigkeiten im Planverlauf am Ende doch noch die Gelegenheit erhält, die Büste an sich zu reißen, hat er allein Shabandar zu verdanken, der - fast ist man geneigt zu sagen: natürlich! - entgegen seiner Annahme nicht sofort blind vor Liebe wird, sobald er die Ähnlichkeit Nicoles mit seiner Verflossenen erkennt, sondern frühzeitig Verdacht schöpft und sich einen Spaß daraus macht, das nicht selten dilettantische Schauspiel seiner nichts ahnenden Gäste zu betrachten. In einer Mischung aus Amüsement und Überheblichkeit gibt er ihnen somit die unverhoffte Chance, den Diebstahl durchzuführen, obwohl er dem Treiben längst ein Ende hätte setzen können.
Einerseits darf man sich also an Harry, der selbst dann noch meint (oder es zumindest gegenüber Nicole behauptet), alles im Griff zu haben, wenn ihm alles entgleitet, und seiner Selbstgefälligkeit erfreuen, sodass man ihm wünscht, auf die Nase zu fallen, andererseits fiebert man dann aber doch mit, wenn es um den spannend inszenierten Büstenklau geht und die Protagonisten einen Wettlauf gegen die Zeit erst in der Wohnung und schließlich am Flughafen absolvieren müssen. Das ist klassisches Suspense-Material, das quasi unkaputtbar ist, wenn man es souverän inszeniert. Wenn sich die Spannung dann gelöst hat, hält das Skript noch die eine oder andere Pirouette bereit, als sich der wahre Hintergrund rund um den Diebstahl der Büste herauskristallisiert, dass einem ganz schwindelig werden kann, bis alle vier Hauptfiguren in ein Happy-End entlassen werden, das nur Gewinner kennt - wobei einer noch das ganz große Los gezogen hat.
Etwas aufgesetzt erscheint da nur die unumgängliche Love-Story zwischen Nicole und Harry, die fast gänzlich unterentwickelt bleibt und bei der man sich fragt, wann es denn genau so sehr gefunkt haben soll, dass sich dem männlichen Part am Ende sogar die Frage nach Liebe oder Fortsetzung seiner kriminellen Laufbahn stellt. Das führt sogar so weit, dass man annimmt, Harry täusche seine Verliebtheit nur vor, um seine neu gewonnene Freundin zu opfern - was so aber wohl gar nicht beabsichtigt war. Romanzen-Feeling kommt leider nicht wirklich auf, obwohl das bekannte und beliebte (Film-)Rezept, zwei Personen, die sich nicht ausstehen können, im Laufe der Geschichte zueinander finden zu lassen, seine Anwendung findet. Auch darf man sich etwas am Frauenbild stoßen, denn Shirley MacLaine verkörpert das Dummchen so überzeugend, dass man jedes Mal überrascht wird, wenn sie plötzlich einen rettenden Einfall hat. Da aber auch Michael Caine nicht gerade den klügsten Kopf darstellt, fällt das nicht allzu sehr ins Gewicht.
Erzählt wird das alles mit so leichter Hand, dass ich mich gleich pudelwohl fühlte. Interessanterweise nicht als klassischer Dreiakter aufgebaut, wendungsreich, gegen Ende kribbelig, aber immer lustig ist das eigentlich Bemerkenswerte an „Das Mädchen aus der Cherry-Bar“, dass das Skript ganz ohne Antagonisten auskommt. Wo andere Filme womöglich Gefahr gelaufen wären, Shabandar als stereotyp arabischen Schurken darzustellen, der es als steinreicher Mann verdient hätte, ausgeraubt zu werden, kommt er hier sogar besser weg als der arrogante Harry, dem in seiner Freudlosigkeit die Sympathien nur schwerlich zufliegen dürften. Vielmehr hat er sich seine Menschlichkeit bewahrt und bleibt selbst dann souverän, wenn er Grund hätte, richtig wütend zu sein.
Das macht den Film gleichzeitig zu einem harmlos-spaßigen Sonntagnachmittagsvergnügen, für das man den bereits heimtückisch drohenden Montag und somit den Beginn der Arbeitswoche fast zwei Stunden vergessen kann. Hach, die guten, alten Zeiten. 8/10.