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Den Tod im Nacken, den Mut in der Brust, die Freiheit im Herzen

„Free Solo“ hat den diesjährigen Doku-Oscar gewonnen und läuft nun Monate nach seinem US-Release endlich auch in den deutschen Kinos. Und wenn es dieses Jahr nur einen Film gibt, den man sich unbedingt auf der großen Leinwand ansehen sollte, dann diese aufregenden, mitreißenden und schweißtreibenden 100 Minuten. Da kommt kein Hollywoodblockbuster, kein Geheimtipp, keine Arthouseperle ran. „Free Solo“ ist ein einmaliges Kinoerlebnis. Nicht nur für Dokufans, nicht nur für Kletteter. Für jeden. Schade, dass es in Deutschland kein IMAX-Kino gibt. Erzählt wird von Alex Honnold, einem Kletterstar und scheinbar komplett furchtlosen Mann. Denn er hat sich seit Jahren in den Kopf gesetzt, die unfassbare Wand im Yosemite National Park, den El Capitan, hochzuklettern. Und zwar ohne Seile und Sicherungen...

Menschen mit Höhenangst muss man abraten. Für alle anderen gibt es zwei Daumen hoch. Die Bilder sind atemberaubend, Alex als Person ist interessant und kantig genug, um auch außerhalb der Kletteraction zu fesseln, die Aufnahmen sind spektakulär und der Aufbau der Doku ist sehr durchdacht und clever und kurzweilig und emotional. Respekt an alle Beteiligten. Und wenn es dann auf den El Capitan geht, blieb mir fast die Spucke weg. Es geht um alles, selbst wenn man weiß, dass der Mann es geschafft hat und sich vor ein paar Wochen persönlich den Oscar abgeholt hat. Ohne dieses Wissen wäre die Spannung wohl unerträglich gewesen. Doch auch so wurden meine Handflächen von Minute zu Minute seeähnlicher. Einfach unheimlich was hier geleistet und gezeigt wird. Man kann es kaum glauben, man kann nur dankbar sein, dass es geklappt hat und dass es auf Zelluloid gebannt wurde. Das wird es nicht noch einmal geben. Übermenschlich und todesmutig. Honnold machte sich hiermit zur Legende und man ist hautnah dabei. Man will kaum hinsehen und kann seine Augen dennoch nicht ablassen.

Und obendrein und gar nicht so perifär wie man meinen könnte, hat die Doku auch noch etwas psychologisch, sozial und moralisch zu sagen. Über Alex als Mensch, als Einsiedler, als Außenseiter und seine Vergangenheit, seine schwere Kindheit und seinen Antrieb. Über den schweren aber wichtigen Part als bangende Frau an seiner Seite. Und über das Kamerateam und seine Freunde, die jederzeit den Tod eines ihrer besten Kumpels durch die Linse mit ansehen könnten. All das macht „Free Solo“ interessant, tiefgründig, unterhaltsam. Es stimmt nachdenklich und beeindruckt nachhaltig. Alles, was man sich von einer Doku wünschen könnte. Und noch sehr viel mehr. Schweiß, Tränen, Herzklopfen. Wahnsinn. Mut. Stärke. Inspiration. Sinn. Konzentration. Anspannung. Angst. Leidenschaft. Leidenschaft. LEIDENschaft.

Fazit: was für ein Aufstieg, was für eine Doku, was für ein Mensch!!! Da gehen einem alle Superlative aus. Klatschnasse Hände, offene Münder, ungläubiges Kopfschütteln, große Augen. „Free Solo“ ist eine der unglaublichsten, spannendsten Dokus, die ich je gesehen habe. Das wird kein Mensch mehr toppen in Sachen freies Klettern. Muss auch nicht. Eine Jahrhundertleistung! 

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