Review

Dass sich 50 Jahre lang kein Filmemacher an Shirley Jacksons letztem Roman „Wir haben schon immer Schloss gelebt“ versucht hat, zeigt schon deutlich, dass eine Adaption hier besondere Chuzpe erfordert, denn noch stärker als bei „The Haunting of Hill House/ Spuk in Hill House“, der Vorlage von „Bis das Blut gefriert“ von 1963, lebt der Roman von dem inneren Monolog seiner Hauptfigur. Würde diese in gewisser Weise linear denken, wäre das kein Problem, aber diese Geschichte wird von einer psychisch labilen Teenagerin erzählt, die in kindlich-magischen Maßstäben denkt und handelt. Der Plot wird durch ihre Wahrnehmung gefiltert, ihre Lebensumstände, das „Schloss“ (der Famililenbesitz) und die Feindschaft der äußeren Welt/Gesellschaft – keine gute Basis für eine lineare Erzählung. Umso mehr, da es der Geschichte trotz des magischen Touchs an jeglichem übernatürlichen Element mangelt.

Vielleicht konnte deshalb nur eine Frau, in diesem Fall Stacie Passon, erfolgreich versuchen, den kurzen Roman in eine Filmhandlung zu übertragen – hauptsächlich dadurch, der Vorgabe geradezu präzise zu folgen und alles wieder aus der relativen Sicht der Hauptfigur Mary-Catherine alias "Merricat" zu zeigen.
Das macht das Seherlebnis für eine unvorbereitete Zuschauerschaft nur umso schwieriger, denn was dem Film an Plot scheinbar fehlt, macht dieser wie die Vorlage durch viele kleine bizarre Details wett, die Ausstattung, die Fixierung auf Rituale, die magischen Gegenstände, das verwunschene Haus, die Feinde vor den Toren, der vergebliche Versuch, ein schreckliches Ereignis mittels Aufzeichnungen zu rekonstruieren.

Der Zuschauer wird so gezwungen, sich auf einen Charakter einzulassen, den man nicht entschlüsseln kann – und so kann der Film durchaus als ereignisarm, „pointless“ oder uninteressant da vage ankommen.

Jackson schrieb stets über Abgründe und innere Untiefen, über Vorurteile und Missbrauch, über psychische Deformation, Verkümmerung, Unterordnung und Unterdrückung und so öffnet sich auch hier ein Mosaik aus Eindrücken, die Geschichte einer nicht vergessenen, aber missverstandenen Enklave, die so lebensunfähig und steril wirkt wie die Außenwelt feindlich und missgünstig.

Im Fokus stehen die Überreste der außerordentlich reichen Familie Blackwood, die seit jeher auf einem großen schlossähnlichen Anwesen am Waldrand nahe einer Kleinstadt residieren. Vor Jahren gab es einen mörderischen Giftanschlag, dem die meisten Mitglieder beim Abendessen erlagen. Überlebt haben es nur die freundliche, aber angstvoll an das Haus gebundene älteste Tochter Constance, ihre jüngere und in einer Phantasiewelt lebende Schwester Merricat und der seit der Vergiftung an den Rollstuhl gefesselte Onkel Julian. Merricat ist dabei die unwillige Verbindung zur Außenwelt, denn sie verlässt als Einzige widerwillig das Grundstück, um in der Stadt Vorräte zu kaufen – was sie zur Hauptzielscheibe des Spotts, der Verachtung und des Hasses des Bewohner macht, die sich in Vorurteilen über die Arroganz, den Reichtum und den Geiz der Blackwoods ergehen, die sich in früheren Jahren wohl auch Angstellten oder Beschäftigten gegenüber abschätzig gezeigt hatten.

Der Ablauf des Haushalts in dem praktisch verwunschenen Anwesen hat rituellen Charakter, während Constance zwar freundlich, aber agoraphobisch ist, denkt der halbverrückte Julian nur an das Buch, was er seit dem Anschlag schreibt, welches den besagten Tag in schon über 40 Kapiteln rekonstruiert. Merricat selbst ist ein „wild child“, verbringt ihre Tage häufig im nahen Waldstück, liest und hängt ihren kindlich-magischen Gedanken nach, während sie irgendwelche Flüche abzuwehren versucht, in dem sie Sachen aus dem Haus vergräbt (u.a. auch Wertgegenstände).

Das Bizarre an Vorlage und Film ist, dass dieses Trio eigentlich unzugänglich für den Leser ist, mit merkwürdigen Gedankenstrukturen – aber, angesichts ihrer Stellung in der Stadt bei den hasserfüllten Leuten auf der Straße, dennoch als Sympathieträger herhalten können. Dazu muss man sich aber darauf einlassen und den Ritualen, Neurosen und Angstzuständen, die fein aufeinander abgestimmt sind, folgen.

Was man erwarten würde, wäre eine Aufklärung über den Giftanschlag, doch obwohl das auch in dem Film vorkommt, ist es nur von untergeordneter Bedeutung für den Plot. Der wird bestimmt vom Einbruch der „Normalität“ in dieses fragile Konstrukt.
Diese fatale Zutat kommt in Gestalt von Cousin Charles Blackwood, der zu Besuch kommt und sich in das Trio drängt. Erst kommt er als Helfer und Support, doch schon bald wird ersichtlich, dass er im Grund hinter dem Vermögen der Familie her ist, welches für die Anwesenden eigentlich keine größere Bedeutung hat.
Dabei fühlt er sich zunehmend wie der Zuschauer, da er das komplexe Netz psychischer Auffälligkeiten erst wahrnehmen muss, um dann in Opposition zu gehen. Er umsorgt also Constance (hier ist ein inzestuöser Impuls im Spiel, der aber nicht ausgeführt wird), will Julian in eine Nervenklinik abgeben und Merricat am besten in eine Irrenanstalt. Doch mit Vernunft ist dieses Problem nicht zu lösen, denn Constance ist in ihren Handlungen genauso gefangen wie sich Merricat störrisch und unkooperativ gibt und Julian zunehmend den Eindringling für seinen toten Bruder, das vergiftete Familienoberhaupt hält.

Das führt erst zu Anspannung, dann zu einer vergifteten Atmosphäre. Charles‘ fatale Fehleinschätzung seiner Nichte, die sich nicht logisch wehrt, sondern Andeutungen über giftige Pilze macht, seine Sachen zerstört oder sein Bett eindreckt, beweist, dass die Situation bald implodieren wird – und so geschieht es dann auch.

Am Ende stehen Flammen und Zerstörung und ein Gewitter, welches dem Begriff „reinigend“ eine eher untypische Umsetzung verleiht. Daraus ergibt sich dann zum Finale die einzige größere Abänderung, die gegenüber dem Roman, dem man sonst überaus detailliert gefolgt war, vorgenommen wurde. Die wirkt ein wenig wie ein hinzugeschriebener „Höhepunkt“, der filmisch in dem Geschehen einen radikalen Schlusspunkt hinzufügt, den die Vorlage vermied – was aber dennoch für gewöhnliche Zuschauer zu wenig sein dürfte, um die etwas sperrige Rezeption auszugleichen.

„Castle“ ist ein abgründiger Roman und daraus ist ein ebenso abgründiger, versponnener Film geworden, der es seinem Publikum nicht eben einfach macht, weil an der Oberfläche nicht mehr passiert, als etwa auch in eine Stunde Film gepasst hätte. Aber zur Verdeutlichung des Zustandes dieser dysfunktionalen Familie ist eben die detaillierte Schilderung der kleinteiligen Umstände vonnöten.
Für Fans von vorlagengetreuen Adaptionen ist der Film eine kleine Perle geworden, in die sogar die Veränderungen perverserweise noch reinpassen, auch wenn sie das Sympathie/Antipathie-Verhältnis der Parteien noch einmal umpflügen.
Danach sollte man den Roman lesen – aber ohne Pilzgericht dazu. (8/10

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