Von H.P. Lovecrafts berühmter Short Story „Die Farbe aus dem All“ gibt es mittlerweile zahlreiche filmische Adaptionen. Besonders hervorzuheben ist die deutsche Produktion DIE FARBE von Huan Vu, welche die Handlung so geschickt in ein schwarz-weißes, scheinbar Edgar Reitz’ HEIMAT entsprungenem Baden-Württemberg verlegt, dass sie eine der besten Verfilmungen des sperrigen Stoffes darstellt. Denn Lovecraft arbeitet mit verschiedenen Zeitebenen und deutet vieles an ohne dass ausreichend passiert, um einen ganzen Spielfilm zu füllen.
Richard Stanleys fast zweistündige Verfilmung des Stoffes macht alles richtig, er umgeht zahlreiche Fallstricke der Story und bleibt dem Geist der Geschichte treu, ohne zu langweilen. Geschickt bringt er etwa die Figur des Landvermessers mit der Zeitebene der Gardeners zusammen, eine geniale Idee. Dadurch wird die Erzählung auf der Leinwand viel dichter. Außerdem erleben wir die Protagonisten hier als echte Menschen mit Problemen: die Mutter arbeitet gestresst online in Finanzgeschäften auf dem mit einem expressionistischen Fenster versehenen Dachboden, der Vater ist eine Art „Hobby-Farmer und Bourbon-Kenner“ wie ihn die News frech beschreiben und frisch in die Einöde gezogen wie Jean de Florette bei Marcel Pagnol. Auch die Kinder werden interessant charakterisiert, vor allem die Tochter, die das Necronomicon auf dem Nachttisch liegen hat. Diese schrecklich nette Familie wächst einem mit ihren Schwächen schnell ans Herz. Das Haus der Gardeners ist herrlich gespenstig und erinnert an Kings Shining-Serie aus den 90ern mit ihrer irrealen Beleuchtung der Fenster. Lediglich der Garten sieht arg künstlich aus, auch ohne bösartige Farbe, die bald alles falschfarben und faul werden lässt. Dafür umso herrlicher: wuschelige Alpakas, die hier bald zu ALL-Pakas werden. Der verschrobene Einsiedlernachbar könnte ein Direktimport aus Twin Peaks sein, eine Art Dr. Jacobi, und ergänzt das Bild perfekt. Das ist das besondere: alle Charaktere sind interessant und liebenswürdig gezeichnet, besonders aufgrund ihrer Schwächen, das ist auch wichtig, damit wir anschließend mit ihnen leiden können. Nicolas Cage als Familienvater scheint erstaunlich prominent besetzt, aber er macht das durch sein Spiel schnell vergessen, das mich bald in seinen Bann zog. Wir erleben hier eine seiner besten Rollen in seiner Karriere. Es ist eine Wonne, ihm dabei zuzusehen, wie er sich anfangs nervös kratzend und hilflos blickend versucht, der Situation zu stellen, und dann immer weiter in den Wahnsinn abgleitet. Auch Joely Richardson spielt gut die Ehefrau, wobei sie mich immer wieder auf positive Weise an Laura Dern erinnert. Stanley schafft es meisterlich, wie John Ford in wenigen Sätzen seinen Figuren eine Persönlichkeit zu geben, die den Zuschauer fesselt. Besonders loben will ich die Spezialeffekte, die hier ausgezeichnet sind, vom Einschlag des Meteoriten, bis zu der veränderten Natur, aber auch den geisterhaften Farbblitzen im Wald, die der Landvermesser bemerkt. Vor allem aber auch am Ende, mit dem Verwischen des Gesichts, das mich an die Wurmlocheffekte in Robert Wises ikonischem Star Trek The Motion Picture erinnerte. Der Körperhorror ist dort, wo er nötig ist, wirksam eingesetzt und abstoßend wie schön zugleich, etwa wenn das Gesicht merkwürdig wie Lava leuchtet. Diese Meisterschaft verhindert das große Problem der Story: obwohl die meisten wissen, wie die Geschichte um DIE FARBE AUS DEM ALL ausgeht, ist es eine Freude, dem bunten und tödlichem Treiben zuzusehen, weil hier ein geschicktes Drehbuch auf einen visuell beeindruckenden Experimentalfilmtrip trifft. Dass Anfang und Ende so wunderbar aus dem Buch zitiert werden und damit auch die Sprache Lovecrafts gewürdigt und gefeiert wird, rundet das Ganze ab. Hervorzuheben ist auch die Musik, komponiert vom kanadischen Jazzmusiker Colin Stetson, die einprägsam, drastisch und schön zugleich ist und mit ihren Bässen unter die Haut geht. Gelungen! 9/10