Review


WEATHERING WITH YOU

(TENKI NO KO)

Makoto Shinkai, Japan 2019

Vorsicht – dieses Review enthält SPOILER!

Mit dem Anime-Genre habe ich zwar längst nicht mehr so viel am Hut wie in vergangenen Jahren, aber dies hier ist die neueste Arbeit von Makoto Shinkai, und daran führt nun wirklich kein Weg vorbei – selbst wenn es gar nicht mehr die neueste ist (im Jahr 2022 erschien der gleichfalls hoch gelobte Suzume). Ich bin wie immer etwas spät dran.

Unser Protagonist, der 16-jährige Schüler Hodaka, ist von zu Hause ausgerissen, weil es ihm in seinem Dorf nicht mehr gefallen hat und er in Tokio das Großstadtleben entdecken und genießen möchte. Ein Genuss ist dieses Leben jedoch erst einmal nicht, da Hodaka kein Geld hat und auf der Straße sitzt. Zu allem Überfluss regnet es auch noch unaufhörlich, und dies schon seit längerer Zeit und ohne Aussicht auf baldige Besserung.

Hodakas Versuche, einen Job zu finden, schlagen mit Pauken und Trompeten fehl, da niemand bereit ist, einen Minderjährigen einzustellen. In seiner Not sucht er schließlich Keisuke Suga auf, einen jungen Mann, den er auf seiner Reise kennengelernt hat. Keisuke gibt zusammen mit seiner Nichte Natsumi eine kleine Zeitschrift heraus, die sich mit paranormalen Phänomenen beschäftigt, und er stellt Hodaka nicht nur als Redakteur ein, sondern gewährt ihm auch Unterkunft und Verpflegung.

Und so begibt sich Hodaka in der kommenden Zeit gemeinsam mit Natsumi auf die Suche nach den sogenannten „Sonnenschein-Mädchen“, von denen man immer wieder einmal hört – wie der Name bereits andeutet, können sie angeblich das Wetter beeinflussen und die Sonne scheinen lassen (in Tokio waren und sind sie freilich nicht gerade erfolgreich ...). Eines Tages lernt Hodaka dabei die vorgeblich zwei Jahre ältere Hina kennen, die ihm zuvor schon als Kellnerin in einem McDonald’s-Laden begegnet ist. Tatsächlich kann diese Hina die Sonne scheinen lassen, wenn sie sich betenderweise an was auch immer für Götter im Himmel wendet (hmmpf ...) – zwar nur in einem relativ kleinen Gebiet, aber immerhin.

Natürlich verliebt sich Hodaka auf der Stelle in das Mädchen und bemüht sich fortan um ihre Nähe. Dabei kommt ihm auch ein blendender Einfall: Man könnte doch Kapital aus Hinas Fähigkeiten schlagen und eine Art Sonnenschein-Service ins Leben rufen. Sonne gegen Geld. Das würde auch Hina helfen, die nach dem Tod ihrer Eltern allein lebt und zudem für ihren jüngeren Bruder Nagi sorgen muss. Gedacht, getan: Hodaka und Hina schalten eine Internet-Anzeige, bekommen flugs einen ersten Auftrag, erfüllen glücklich den Sonnenscheinwunsch eines Flohmarktbetreibers und können sich bald kaum noch vor weiteren Anfragen retten – Tokio ist groß und es gibt genügend Leute, die zumindest für besondere Anlässe einmal etwas Sonnenschein brauchen.

Das Geschäft brummt ... aber wie das so ist im Leben: Alles hat seine Schattenseiten. In diesem Fall erwischt es Hina, an der die Sonnenscheinerzeugung körperlich zunehmend zehrt, und gleichzeitig häufen sich Wetteranomalien wie Stürme und sintflutartige Regengüsse. Zu allem Überfluss kreuzen nun auch noch die Polizei und das Jugendamt auf – Erstere, um einer Vermisstenzeige von Hodakas Eltern nachzugehen und Letzteres, weil Hina als Minderjährige nicht einfach tun und lassen kann, was sie will und kein Erziehungsrecht für Nagi hat (so erfahren wir also, dass sie sich bei der ersten Begegnung mit Hodaka zwei Lebensjahre hinzugeschwindelt hat).

Bald aber (ab hier endgültig Spoiler-Territorium) wird das Mädchen dem Zugriff der Behörden durch höhere Mächte entzogen – sie beginnt, durchsichtig zu werden und löst sich eines Tages völlig auf beziehungsweise verschwindet in einer Welt über den Wolken, nachdem sie noch einmal für Sonnenschein gesorgt hat. Jetzt muss Hodaka handeln: Er kann der Polizei entwischen und macht sich allen Gefahren und Verfolgern trotzend auf den Weg zu einem Portal, das sich auf dem Dach eines verfallenen Industriegebäudes befindet und den Übergang in höhere Sphären ermöglicht. Es gelingt – Hodaka gelangt in eine Wasserwelt im Himmel, kann seine geliebte Hina greifen und mit ihr zurück zur Erde stürzen. Mit dieser „Gewalttat“ lösen die beiden allerdings eine unfreundliche Reaktion der Natur aus – es beginnt nun wirklich unaufhörlich wie aus Kannen zu regnen. Mina und Hodaka wissen sehr wohl, was sie anrichten, aber ihre Liebe ist stärker als die Sorge um Tokio und die schnöde Welt. Am Ende teilt uns Hodaka aus dem Off mit, dass es seit drei Jahren ununterbrochen regnet ...

Was für ein wundervoller Schluss. Ein Pärchen, das um der Liebe willen auf seine trivialen Weltrettungsverpflichtungen pfeift und eine Welt, die im wahrsten Wortsinn untergeht. Das ist erstaunlich und sogar erschreckend, sicher, aber eben auch auf eine ganz eigene Weise poetisch. Dumm nur, dass der Abspann einfach nicht kommen will ... Nein. Natürlich ist der Film noch nicht zu Ende. Makoto Shinkai (seines Zeichens auch alleiniger Autor) kümmert sich um sein Personal und formuliert noch ein feines Happy End – zunächst staunen wir über fast apokalyptische Bilder eines zu großen Teilen hoffnungslos überfluteten Tokios, und dann finden Hodaka, der die vergangenen drei Jahre in seiner Heimat verbracht und dort die Schule abgeschlossen hat, und Hina, die in der Hauptstadt verblieben war, angemessen theatralisch wieder zusammen. Für immer vielleicht.

Okay. Weathering With You ist natürlich ein Film, der für ein möglichst breites und überdies in erster Linie auch junges Publikum gedreht wurde, und so muss er auch ein zu seinem Charakter passendes Ende finden – mit dem zumindest auf den ersten Blick alles beim Alten bleibt: Makoto Shinkais Geschichten folgen auffallend zielsicher fast immer den gleichen Leitgedanken, bauen ihren jugendlichen Protagonistenpärchen magische und doch auf bestimmte Weise mit der Realität korrespondierende Parallelwelten auf und enden bei aller zwischendurch aufbrechenden Dramatik und Melancholie ... happy. Dagegen, das soll noch einmal ganz deutlich ausgesprochen werden, ist im Prinzip und mit Blick auf die weit gefasste Zielgruppe des Shinkai’schen Schaffens absolut nichts einzuwenden, aber mich persönlich hat diese Routine, ganz ehrlich, mit der Zeit ein wenig gelangweilt und sogar geärgert – weil sich Shinkai mit seinen Ideen und großen Teilen ihrer Umsetzung immer ganz nah an etwas wirklich Großem bewegt und dann doch in seichten Gewässern landet. Auch will ich zugeben, dass ich mit zunehmendem Alter immer weniger Lust verspüre, mich mit den Sorgen und Nöten von Teenagern zu beschäftigen. Sorry. Dementsprechend habe ich Weathering With You mit einer gewissen Skepsis entgegengeblickt, die noch dadurch verstärkt wurde, dass mir Makoto Shinkais weltweit euphorisch gefeierter Vorgängerfilm Your Name. weit weniger gut gefallen hat, als er es eigentlich hätte tun sollen – ich war seinerzeit keineswegs unzufrieden, aber wenn ich heute an diesen Streifen denke, ist außer einem diffusen Gefühl der Enttäuschung nichts zurückgeblieben (ganz anders als beispielsweise bei Shinkais sehr früher Arbeit The Voices of a Distant Star – es liegt also nicht an beginnender Demenz). 

Aber zurück zur Sache: Für längere Zeit wähnte ich mich auch hier wieder im üblichen Trott, aber in der zweiten Hälfte zieht Weathering With You doch enorm an. Bemerkenswert ist dabei, wie selbstverständlich und geschickt der Film seine „übernatürliche“ Ebene etabliert und verkauft – man kann sie tatsächlich ohne Weiteres akzeptieren, obwohl ihr eine im Kern sehr starke reale Ebene gegenübersteht: Das Skript klammert unangenehme Themen keineswegs aus und bürdet seinen Figuren beträchtliche Sorgen auf – Hina hat den Verlust der Eltern zu beklagen, muss sich um den kleinen Bruder kümmern und verdient in ihrer Fast-Food-Bude so wenig Geld, dass sie schon allen Ernstes drauf und dran war, sich zu prostituieren (!!), Keisuke hat erst seine Frau verloren und danach auch noch das Sorgerecht für seine kleine Tochter, und Natsumi, die endlich in ein ordentliches Berufsleben starten möchte, schreibt eine erfolglose Bewerbung nach der anderen. Auch Hodaka hat genügend Probleme, aber bei ihm sind sie im Gegensatz zu den anderen hausgemacht – er ist abgehauen und wollte das Abenteuer in Tokio. Aus dieser Sicht war er mir zunächst auch nicht der allersympathischste Protagonist und schon gar keine Identifikationsfigur (ich bin nicht von zu Hause ausgerissen), aber später hat sich das eingerenkt.

Allen Sorgen und Nöten seiner Helden zum Trotz ist Weathering With You aber ein durch und durch luftiger Film, der über alles Hässliche und möglicherweise unser Wohlbefinden Störende hinweggleitet wie eine federleichte Wolke. Man könnte ihm in dieser Sache Verharmlosung vorwerfen, aber das hieße sein Wesen zu verkennen. Weathering With You ist jedoch nicht nur luftig, sondern auch lustig – der Humor wird vorrangig über Keisukes coole Nichte Natsumi und deren Dialoge vermittelt, und er funktioniert ganz vortrefflich. Es gibt keine Dauerbespaßung, aber wenn ein Scherz kommt, dann sitzt der in der Regel – die genreüblichen pubertären Anzüglichkeiten, die man bisweilen auch hier schlucken muss, einmal ausgenommen. Die nerven zuverlässig.

Etwas Pathos will schließlich ebenfalls noch geschluckt sein, denn in der Schlussphase wird die Geschichte von Hina und Hodaka recht kräftig überhöht. Wie aber eigentlich immer kann Makoto Shinkai auch hier Emotionalität und Kitsch gut auseinanderhalten, sodass man sich mit Letzterem nicht herumärgern muss. Und überhaupt: Ganz so harmlos, wie es zunächst scheint, ist das Ende dieses Films dann doch nicht. Der bestimmende Faktor mag die glückliche Wiedervereinigung unseres Liebespärchens sein, aber das Problem für dessen Umwelt ist keineswegs beseitigt. Es regnet noch immer und Tokio ist zu großen Teilen in den Wassermassen versunken, die es in den vergangenen Jahren heimgesucht haben. Hierzu nimmt nun das Skript eine fragwürdige Position ein: Das Wetter ist eben, wie es ist, und ändern kann man daran schlichtweg überhaupt nichts. Für Klimaschützer ist diese Aussage (und deren Konsequenz, dass Hina und Hodaka das Wetter schnurz sein kann) natürlich ein rotes Tuch, aber ich denke, auch in dieser Sache sollte man sich nicht allzu sehr aufregen und dem vorliegenden Streifen keinen Bildungs- und Erziehungsauftrag unterjubeln – Weathering With You ist letztlich eine Art Märchen, und dessen Welt, wir haben es erlebt, ist nun einmal nicht die unsere.

Aber die Handlung spielt in einem Film von Makoto Shinkai ohnehin bestenfalls die dritte Geige – die beiden ersten übernehmen die Bilder. Und die sind wieder einmal umwerfend. Shinkai spielt sich dabei mit seinem Thema ganz bewusst selbst in die Karten, denn die Animation von Regen (wir denken an The Garden of Words) und mehr noch die Arbeit mit Licht sind nun einmal seine Spezialstrecken. Von diesem Regen und diesem Licht kann man einfach nicht genug bekommen, und natürlich verschlagen einem die fast fotorealistischen Hintergründe und Details (wie bei Werbeflächen oder Verpackungsaufschriften) auch hier ein ums andere Mal die Sprache. Diese Hintergründe bewegen sich wirklich an der Grenze des Machbaren beziehungsweise Vertretbaren. Man kann gerade noch deutlich genug erkennen, dass sie gezeichnet sind (wobei: wirklich gezeichnet wird da heutzutage kaum noch etwas) und es sich nicht um Fotografien handelt – eine Überschreitung dieser Grenze wäre fatal. Und diese „gezeichneten“ Bilder leisten ästhetisch wieder einmal mehr als es die Realität oder ihre rein fotografische Abbildung jemals tun können. Es ist allerdings schon lange nicht mehr so, dass Makoto Shinkai wie für den erwähnten Kurzfilm The Voices of a Distant Star allein zu Hause sitzt und mit dem Mac und Photoshop 5.0 herumwerkelt – für die Animationen hat er inzwischen seine Leute, an deren Spitze Hiroshi Takiguchi steht.

Die Figuren selbst wurden wieder klassisch gestaltet und geben sich absolut animetypisch, wobei auch sie wunderschön geraten sind. Nein, hier gibt es nichts, was dem Auge missfallen könnte. Und selbst den Ohren geht es mit diesem Streifen gut: Der Score stammt wie schon beim Vorgänger Your Name. von der Gruppe Radwimps und ist der bislang beste, der je für einen Film von Makoto Shinkai erarbeitet wurde. Neben sehr zurückgenommenen Piano- und Elektronik-Klängen für die Hintergrundbegleitung kommen einige Popsongs zum Einsatz, und die sind nicht zurückgenommen, sondern gehen voll in die Offensive, das heißt, dass sie (zumindest in der vorliegenden deutschen Fassung) extrem laut abgemischt wurden. Ein gewagtes Unterfangen: Wenn diese so dominant im Vordergrund platzierte Musik nicht passt, ist definitiv die ganze Szene oder Sequenz, die von ihr begleitet wird, im Eimer. Aber das geschieht hier nicht. Der gesamte Score kommt nicht nur erfreulich schmalzfrei daher (was im Anime-Sektor schon fast als Alleinstellungsmerkmal durchgeht), sondern ist sogar maßgeblich an einigen Höhepunkten des Films beteiligt: Wenn Musik, Inhalt und Bilder im rechten Moment zueinander finden, ist Weathering With You zum Heulen schön.

Und so bin ich letzten Endes tatsächlich sehr beeindruckt, ja fast begeistert von dieser Arbeit. Es hat ein Weilchen gedauert, bis sie mich wirklich mitgerissen hat, aber dann hat sie’s richtig getan und reift sogar noch spürbar nach: Weathering With You erscheint mir heute in einem noch besseren Licht als unmittelbar nach dem Abspann. Ich habe hier ein wirklich zauberhaftes, sympathisches, zunehmend packendes, visuell schlichtweg berauschendes und auch bewegendes Anime-Märchen gesehen, das mir (womit ich wohl wieder ziemlich einsam dastehen dürfte) deutlich besser gefallen hat als Makoto Shinkais Vorgängerfilm Your Name. Im Gegensatz zu diesem, davon bin ich überzeugt, wird Weathering With You eine ganze Menge zurücklassen – zumal der Streifen, es wurde schon angesprochen, eben doch nicht ganz so arglos ist, wie er tut. Immerhin: Am Ende regnet es.

(01/24)

8 von 10 Punkten.





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