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Mit seiner Vorliebe für klassische Musik wirkt der Mittfünfziger Carsten Spanger (Justus von Dohnányi) wie ein ruhiger, gesetzter Herr, doch gerade jetzt hat er eine fremde Frau in seiner Gewalt, sie an einen Sessel am Pool in seiner Wiener Villa gefesselt und verklebt ihr gerade den Mund, da sie recht eindrücklich äußert, jetzt lieber gehen zu wollen.
Sozusagen gerade noch rechtzeitig schlägt ein aufgeregter Mann, der all dies von draußen beobachtet hat, gegen die Scheibe und verschafft sich unerlaubt Zutritt ins Haus. Es ist der ex-Freund der Frau, der sie (übrigens ohne ihr Wissen) stalkt, hier aber eine Chance sieht, sie zurückzugewinnen. Ein kurzer Kampf entbrennt, bevor es dem Jüngeren gelingt, Spanger in dessen Sauna zu sperren. Dann kommt die Polizei.
Bis zur Hauptverhandlung hat nun die Psychiaterin Dr. Karla Eckhardt (Julia Koschitz) als Gutachterin die Aufgabe herauszufinden, ob Spanger für diese Entführung zurechnungs- und damit schuldfähig ist - oder eben nicht. Von ihrer Expertise hängt ab, ob das Urteil auf Gefängnis oder Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt lautet.
Die Wahrheitsfindung gestaltet sich dabei gar nicht so einfach, denn der Angeklagte ist ein Promi-Architekt, der über einige Verbindungen verfügt. Zudem zeigt sich Spanger, der den persönlichen Kontakt zur Psychiaterin sucht, relativ kooperativ - sein Handeln bezeichnet er als eine Art "einmaligen Ausrutscher".
Dr. Eckhardt ist anhand erster Gespräche schon bald davon überzeugt, daß der in U-Haft sitzende Architekt unter einer Persönlichkeitsstörung leidet, vor allem aber, daß der gegenständliche Vorfall nicht der einzige war. Als die mit dem Fall befasste Polizistin Sandra Hinzey (Marie-Christine Friedrich) im Archiv nach vergleichbaren Fällen sucht, entdeckt sie bei  mehreren Mordopfern Hinweise, die eine frühere Tatbeteiligung Spangers möglich erscheinen lassen. Dr. Eckhard muß nun alle Register ziehen, um Spanger wenn schon nicht ein Geständnis, dann zumindest eindeutige Hinweise abzuringen. Die Psychiaterin läßt sich dazu auf ein fast schon persönliches Verhältnis mit dem Star-Architekten ein - doch der spielt ein ganz eigenes Spiel...

Wenn Täter und Tatbestand schon unzweifelhaft feststehen, bleibt bei den meisten Krimis nur noch die Frage nach dem Motiv - so auch in der deutsch-österreichischen Koproduktion Im Schatten der Angst, die Regisseur Till Endemann u.a. für ORF und ZDF inszeniert hat. Was sind anfangs eher wenig spannend anhört - da ein mögliches Kapitalverbrechen offenbar gerade noch verhindert werden konnte - entwickelt sich im Lauf der Zeit zu einem packenden Psychoduell zwischen Eckhardt und Spanger und läßt das Publikum mitraten, ob der Star-Architekt wirklich so harmlos ist wie er tut oder ob vielleicht mehr dahinter steckt.

Anders als von anderen deutsch-österreichischen TV-Produktionen gewohnt spielt die Umgebung diesmal keine Rolle - es gibt kein Lokalkolorit, der gern genutze Wiener Schmäh bleibt völlig außen vor, und das Geschehen könnte genausogut an der Alster oder der Spree spielen - was volle Konzentration auf die beiden Hauptdarsteller ermöglicht. Auf der einen Seite der weltgewandte Architekt, der seinen "Blackout" bedauert, dafür naive Erklärungen bietet und die Angelegenheit bagatellisiert, auf der anderen Seite die aus kleinen Verhältnissen stammende spröde Antagonistin, die nur auf die Unterstützung ihres grünschnabeligen Assistenten und der ihr zugetanen Ermittlerin, jedoch nicht auf die ihres Vorgesetzten oder gar des Staatsanwalts bauen kann: hochkonzentriert achtet sie auf jede Silbe, jede Betonung ihres Gegenübers und serviert quasi als vertrauensbildende Maßnahme sogar eigene Kindheitserlebnisse.

Dieses Konzept zweier sich belauernder Diskutanten geht eine zeitlang gut, ab Filmmitte nimmt die bis dato ruhige Geschichte dann jedoch eine gewisse Wendung, um im Schlußdrittel dann noch (ein bißchen überflüssigerweise) dramatisch zu werden - um es spoilerfrei auszudrücken. Die zur Lösung führenden, richtigen Schlüsse der Psychiaterin sind nicht alle ausreichend konkret begründet, sondern basieren öfters auch auf reinem "Bauchgefühl", was der Logik nicht zuträglich ist, doch trotzdem beide Hauptdarsteller kaum als Sympathieträger herhalten können, vermögen sie doch in ihren Rollen zu überzeugen (besonders Julia Koschitz), womit die 90 Minuten ohne größere Längen vergehen und bis kurz vor Schluß auch eine gewisse Spannung bieten. 6 Punkte.

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