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James Mangold hatte sich bis "3:10 to Yuma" (2007) als einer der seinerzeit vielversprechendsten Mainstream-Regisseure der USA entpuppt; nachdem er dann jedoch in den 10er Jahren mit der Action-Komödie "Knight and Day" (2010), zwei X-Men-Spin-Offs und einigen TV-Serien-Folgen nicht ganz das geliefert hatte, was man Ende der 00er Jahre von ihm erwarten konnte, ist er nun am Ende der Dekade wieder zu früherer Größe aufgelaufen und hat einen seiner bislang besten Filme abgeliefert.
Wie der Originaltitel es bereits andeutet (derweil der deutsche Titel noch weit konkreter wird), spielt "Ford v Ferrari" in einer Zeit, in welcher der Rennsport einen derartigen Boom verzeichnen konnte, dass man auch in Hollywood reagierte: John Frankenheimer drehte "Grand Prix" (1966), derweil John Sturges das nie entstandene Konkurrenz-Produkt "Day of the Champion" in Angriff nahm, aus dem Lee H. Katzin das letztlich verzögerte Projekt "Le Mans" (1971) machte. Zwischenzeitlich waren in Hollywood noch "Winning" (1969) mit Paul Newman und in Italien "Le Mans scorciatoia per l'inferno" (1970) und "Formula 1: Nell'Inferno del Grand Prix" (1970) entstanden – und Roman Polanski legte wenig später mit Frank Simon den abendfüllenden Dokumentarfilm "Weekend of a Champion" (1972) vor. (Ganz zu schweigen vom Boom, den die Biker-Filme zu jener Zeit erlebten, den Straßenrennen, road movie-Motive und Verfolgungsjagden in jenen Jahren erlebten: Die Faszination von Technik, Design und Rasanz ist jenen Jahren deutlich anzumerken.)

Ab Anfang/Mitte der 60er Jahre war diesem Boom eine Phase vorangegangen, in der Ford wieder in den Rennsport einsteigen wollte (woran die Jugendkulturen und deren mediale Bespiegelung keinesfalls unschuldig waren). Mit dem 1963 gescheiterten Versuch, Ferrari zu kaufen und einzuverleiben, erhielten diese Bemühungen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, bis es zum Le Mans-Rennen von 1966 kam – eine Ära, die eben auch dem Rennsport im populären Film noch einmal erheblichen Aufwind verleihen sollte... und der sich nun auch Mangold zugewandt hat.
Dabei beginnt "Ford v Ferrari" im Jahr 1959, als der US-Amerikaner Carroll Shelby in Le Mans gesiegt hatte, um sich auf die Zeit von 1962/63 bis zum Ford-Sieg 1966 zu konzentrieren – und mit bzw. nach dem August 1966 zu enden, in dem Ken Miles bei einer Testfahrt verunglückt und seinen schweren Verletzungen erlegen ist.

Dass Mangold nicht bereits diesen Tod in die abschließenden Texttafeln des Films aufschiebt, in denen die Siege des Ford GT40 in Le Mans abgehandelt werden, wird entscheidend sein.
Vorweg sei jedoch eine andere, weniger bedeutungsschwere Episode erwähnt, welche aber ausgesprochen charakteristisch ist für die Beschaffenheit von "Ford v Ferrari". Es ist eine Szene, die schon im Trailer Verwendung gefunden und dort ausschließlich als erheiternder, wenngleich auch etwas gehässiger Gag Verwendung gefunden hat: Henry Ford II, als unsympathischer, nicht einmal charismatischer, aber in seiner beherrschten Übellaunigkeit und schroffen Direktheit dennoch irgendwie bemerkenswerter Charakter eingeführt, wird von Carroll Shelby, der seinen Argumenten stärkeren Nachdruck zu verschaffen versucht, in den Ford GT40 gelotst und zu einer rasanten Probefahrt gedrängt – bei der es den unvorbereiteten Laien, wie eines Team-Mitglieder sinniert, dazu bringt, sich einzuscheißen. Ford II, von Tracy Letts beeindruckend verkörpert, entgleisen die Gesichtszüge, er verliert völlig die Fasson und bricht schließlich lautstark in Tränen aus, als der Wagen stoppt. Laut schluchzend heult der sonst so beherrschte, kaum emotionale Mann los – und wie im Trailer überwiegt hier erst einmal der humoristische Aspekt und entlockt dem (durch den Trailer quasi irregeführten) Publikum amüsiertes Gelächter, das auch von einem kleinen Anflug von Schadenfreude durchzogen sein dürfte: immerhin ist Ford II kein Sympathieträger, sondern ein autoritärer, eitler, bisweilen unfairer Machtmensch, der nicht zuletzt von der Arbeit seines Großvaters Henry Ford profitiert hat – und insgesamt eher großmäulig als tatkräftig erscheint. Gemeinsam mit einer stattlichen Fettleibigkeit eignet er sich als Zielscheibe des Spottes; ungünstigerweise zielt der Spott hier aber weniger auf das Autoritäre und Unfaire der Figur ab, sondern eher auf das Unsportliche, die den dicken Schreibtischtypen inmitten rasanter Action dazu bringt, ungeniert loszuflennen.
Die Szene zieht und zieht sich, dabei Getragen vom Gelächter des Publikums, bis Shelby sich erkundigt, ob denn alles in Ordnung sei. Und nun wird die Motivation des Gelächters in neues Licht gerückt: Übermannt worden ist Ford II nun vom ekstatischen Rausch – und vom Bedauern darüber, dass sein Vater das nicht mehr erleben konnte. Unklar bleibt völlig, ob und inwieweit auch Furcht in diese heftige Reaktion hineingespielt hat – aber eindeutig erhält die Szene überraschend eine berührende Note. Zudem leistet sich der Film die Größe, einer eher unsympathischen Figur sowohl tiefe, sonst so konsequent beherrschte Gefühle als eine gewisser Furchtlosigkeit zuzugestehen (denn auch wenn Furcht in die Reaktion mit hineingespielt haben könnte, so ist es doch die positive Seite der erlebten Ekstase, die Ford II dann so ehrlich gerührt hervorhebt).[1]

Charakteristisch ist diese Episode für den gesamten Film, weil sie genau an der Grenze wandelt: an der Grenze zwischen Herabwürdigung und Anteilnahme... Und weil sie sie den naheliegenden Blick Lügen straft und eine andere Möglichkeit anbietet.
Das ist sicher notwendig bei einem Film, der 50 Jahre zurückblickt und Ereignisse feiert, die heutzutage weniger en vogue sind. Frauen, die ihren Männern auf Zuruf das Bier holen; Männer, die ganze Kerle sind, sich raufen und waghalsige Aktionen durchziehen; Sportwagenrennen mit ihrer CO2-Bilanz (sofern man sie einmal losgelöst von Forschung, Weiterentwicklung und Etablierung effizienterer Alternativen betrachtet) – all das wirkt heute nicht bloß mehr oder weniger überholt, sondern steht bisweilen sogar im Ruf der Anrüchigkeit. Dass Mangold seinen Stoff als Historienfilm bzw. Biopic darbietet, muss es nicht automatisch besser machen: Der nostalgische Rückblick auf frühere Zeiten gilt mit einer "Früher war noch alles in Ordnung"-Haltung keinesfalls als progressiv. Dass Mangolds Rennsport-Meisterwerk dennoch ein großartiger und gänzlich unverdächtiger Film geworden ist, liegt daran, dass er immer auch alternative Lesarten neben den offensichtlicheren erlaubt – ganz so wie bei Tracy Letts Glanzstück.
Deshalb ist es auch entscheidend, dass "Ford v Ferrari" nicht etwa mit dem gewonnenen Rennen endet (bei dem Ken Miles als Gelackmeierter dann doch nicht den ersten Preis erhält, weil er sich bereit erklärt, abzubremsen und mit anderen Fords zu dritt ins Ziel zu fahren, woraufhin jedoch die Startposition zu seinen Ungunsten mitgezählt wird), sondern dass er mit seinem Unfalltod und dem Verlust seiner Familie endet.

Denn wenngleich ein großer Teil der Zielgruppe einen nostalgischen Blick auf glorreiche, legendäre Rennsport-Zeiten gegeben sehen und genießen kann, erweist sich "Ford v Ferrari" auch als großartiger Film für Rennsport-Muffel, die mit dem Bild vom starken Mann nur wenig anfangen können. Auch wenn Carroll Shelby und Ken Miles Sympathieträger sind, die ihrem Steckenpferd verpflichtet sind und trotz allerlei Drangsalierungen durch die ums Image besorgte PR-Abteilung das Beste für ihre Sache gegen allerlei Widerstände herausholen (was die glorreiche Geschichte des siegreichen Aufsteigers ergibt), so kann man den Film nämlich auch sehen als eine Schilderung wahnhafter Fanatiker, die im Rausch des Rennsporthobbys ihre Bodenhaftung weitgehend verloren haben (was eben die tragische Geschichte unvernünftiger Fanatiker ergibt, die für ihr Hobby sich und ihre Umwelt gefährden). Immerhin waren die 60er Jahre noch eine Umbruchsphase, in der eine optimale Sicherheit der Fahrer gerade erst in Arbeit war. So geht es in "Ford v Ferrari" eben auch um Carroll Shelby, der sich zwar nach einer Herzerkrankung weitestgehend aus dem Rennsport zurückzieht, aber dennoch in emotionalisierten Zuständen aggressiv die Regeln des Straßenverkehrs ignoriert oder eben Ford II in eine Tour verwickelt, die zumindest für sein eigenes Herzleiden nicht förderlich ist. Und Ken Miles ist eben nicht bloß die Rennsportlegende, der man übel mitgespielt hat, sondern auch ein cholerischer, schwieriger Typ, der gelegentlich zu physischer Gewalt neigt, die keinesfalls verhältnismäßig ist – und der trotz glimpflich überstandener Unfälle weitermacht, bis er sich 47-jährig mit Shelbys Unterstützung in den Tod gejagt hat... um Frau und Sohn zurückzulassen.
Und natürlich weckt der Film Sympathien für beide Männer, wenn sie sich vor Miles' Haus prügeln und einer von ihnen während der Rauferei am Boden eine aufgegriffene Konservenbüchse sogleich als zu gefährlich verwirft und ein sanfteres Objekt zum Zuschlagen wählt. Wenn dann aber Miles' Frau – die den Rennsport-Enthusiasmus gut versteht (und in wütenden Zuständen ebenfalls im Straßenverkehr auf das Gaspedal tritt) und als Hausfrau ihren Mann bedient – den von Miles erledigten Einkauf noch einmal ausführen und bezahlen muss, weil die erworbenen Artikel zum Großteil ruiniert am Boden verstreut liegen, dann kann man eben auch das kindisch-unvernünftige Verhalten darin erkennen, sodass Raufen & Balgen eben nicht einfach die liebenswert-schrullige Macke ganzer Kerle ist, sondern reine, unbeherrschte Unvernunft.

Und so funktioniert "Ford v Ferrari" erfreulicherweise auf zwei Ebenen: Er kreiert einen nostalgievollen Traum vergangener Zeiten, deren Inszenierung durchaus verlockend und reizvoll geraten ist, lässt es aber auch jederzeit zu, diesen Traum aus jetziger, nüchterner, distanzierter Perspektive jederzeit als solchen erkennen zu können. Es gewährt Einblick in die Innenperspektive des begeisterten Rausches, lässt aber auch die Außenperspektive zu, aus welcher die Berauschten dann doch ziemlich befremdlich erscheinen. Herausgekommen ist somit ein ausgewogenes Biopic, das nicht zuletzt dank der großartigen Ausstattung ein faszinierendes Epochenbild darbietet – und mit einem 150minütigen, sorgfältigen Spannungsbogen und vielen einprägsamen Schauspiel-Highlights fesselnde Unterhaltung bietet.
8,5/10


1.) Im Gespräch mit der Deadline betonte auch Tracy Letts den Reiz und die Qualität dieser Szene. Vgl.: https://deadline.com/2019/11/ford-v-ferrari-tracy-letts-greta-gerwig-little-women-interview-news-1202789221/

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