1973 stellte „Schwestern des Bösen“ den großen Wendepunkt in der Karriere des weithin unbekannten Regisseurs Brian de Palma dar. Konnte er sein Talent bisher lediglich in B-Klasse-Filmen (u.a. dreimal mit einem jungen Robert de Niro in der Hauptrolle) beweisen, so war er durch diesen Streich schlagartig kein Nobody mehr. In der Tat weist „Schwestern des Bösen“ bereits überdeutlich de Palmas Handschrift auf, die seine in den darauffolgenden Jahren inszenierten Filme unverkennbar machen sollten. Hiermit besiegelte der Mann zugleich seinen Ruf als Hitchcock-Epigone, nicht zuletzt durch offenkundige Zitate aus den Filmen des Spannungs-Altmeisters („Das Fenster zum Hof“, „Psycho“, „Cocktail für eine Leiche“), sondern auch dank der musikalischen Untermalung von dessen Stammkomponist der 50er und 60er, Bernard Herrmann.
Der Schwarze Philip (Lisle Wilson) lernt das Model Danielle (Margot Kidder) kennen und verbringt eine Nacht mit ihr. Am nächsten Morgen hört er einen Streit zwischen Danielle und ihrer Zwillingsschwester Dominique mit. Danach besorgt er ihr ein Geburtstagsgeschenk, nur um plötzlich von Dominique (?) erstochen zu werden. Journalistin Grace (Jennifer Salt) beobachtet den Mord zufällig, doch als sie die Polizei ruft und mit ihnen die Wohnung durchsucht, deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Aber Grace weiß, was sie gesehen hat, und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an...
Leider erreicht „Schwestern des Bösen“ noch bei weitem nicht die Qualitäten seiner späteren Werke („Carrie“, „Obsession“), vieles ist hier bloß Stückwerk. Die wenigen einprägsamen, alptraumhaft in Szene gesetzten Momente stehen im krassen Gegensatz zu dem Rest. Vielleicht konnte man die inszenatorische Raffinesse auch noch nicht unbedingt erwarten, trotzdem konnte ich eine aus meinen Poren kommende Enttäuschung nicht verhindern. Mir klappten sich weder vor Spannung die Fußnägel hoch wie den sonst gern mal nörgelnden Herren Hahn und Giesen noch fand ich den Film überhaupt sonderlich aufregend.
Viele Schwächen pflastern de Palmas Weg: Das Hauptproblem liegt in den Figuren begründet. Ich erwarte ja keine umfangreichen Charakterstudien von einem Thriller, aber ein bißchen mehr Hintergrund hätt’s dann schon sein können. Bei Danielle (Margot Kidder) ist das ja in Ordnung: Mehr als daß sie ein Mannequin ist, erfahren wir erst mal gar nicht, sollen wir auch nicht, schließlich dreht sich die Handlung um das Mysterium Danielle (und nicht, wie man zunächst annehmen könnte, um Philips Leiche in dem Sofa, die ist bloß der MacGuffin). Aber was ist mit den „Helden“? Wer ist Philip (Lisle Wilson)? Er bleibt anonym für den Zuschauer, außer daß er sich in Danielle ganz doll verliebt hat und offensichtlich romantisch veranlagt ist (die Geburtstagstorte), kann man nichts über ihn sagen. Das ist dann auch der Grund, warum uns sein Tod - gelinde gesagt - einigermaßen am Arsch vorbeigeht. Klar, er stirbt unvermittelt, und der Schockeffekt sitzt perfekt, aber die Anteilnahme ist weitaus geringer als bei einer Marion Crane aus „Psycho“, die vor dem Mord unter der Dusche genügend Profil gewonnen hatte, um von uns als Identifikationsfigur akzeptiert zu werden. Dieses Profil fehlt Philip. (Hätte de Palma ein höheres Budget als etwas über 500.000 Dollar zur Verfügung gestanden, wäre die Wahl - laut eines Interviews mit dem Regisseur - auf einen bekannteren Schauspieler als Wilson gefallen, Sidney Poitier etwa, weil der Zuschauer mit ihm sofort sympathisiert hätte und umso erschrockener gewesen wäre, wenn er urplötzlich erstochen wird.)
Nachdem der sein Leben verloren hat, übernimmt die Mordzeugin Grace (Jennifer Salt) die Hauptrolle - und auf sie trifft ähnliches zu. Sie stellt sich als Journalistin heraus, die, wie aus einem Gespräch mit ihrer Mutter zu entnehmen, noch nicht den passenden Mann fürs Leben gefunden hat. Zugegeben, das ist mehr Information, als wir von Philip bekommen haben, doch auch sie ist zu gesichtslos, so daß ihr Sympathien nur schwerlich zufliegen werden. Zudem ist sie bierernst, erscheint verbiestert und lacht nie - wahrlich keine guten Voraussetzungen für eine Heldenfigur. Folglich bliebe Danielle die einzige interessante Figur, doch die absolviert bloß gut die Hälfte der Filmlänge.
Die unzureichenden Charakterisierungen (plus die seltsamen Nebenfiguren wie die beiden Bäckerinnen, Graces Mutter oder Danielles Gatte Emil [stark: Bill Finlay], der im weiteren Verlauf noch eine wichtige Rolle spielen wird) machen es doppelt schwer, wie auch die allgegenwärtige merkwürdige Atmosphäre, in das Geschehen hineinzufinden. Die folgenden Filme de Palmas, z.B. „Dressed to Kill“, haben zwar ebenfalls häufig etwas Traumhaftes, Unwirkliches an sich, gerade das zeichnet sie aus, aber dort haben wir in Form von Kate oder der Prostituierten Liz wenigstens Figuren, die man mochte und mit denen man mitfieberte. Hier Fehlanzeige, auch wenn Jennifer Salt noch so überzeugend agiert. Darum ertappte ich mich irgendwann dabei, eine Gleichgültigkeit an den Tag zu legen und mit dieser den Rest des Films zu erleben.
Wenn man mal von den Figuren weggeht und sich auf den Inhalt konzentriert, fällt zudem stark auf, daß sich der Film für seine knapp-humane Länge von anderthalb Stunden streckenweise doch ganz schön bedenklich schleppt. Nach einem recht witzigen Seitenhieb gegen die voyeuristische Veranlagung des Menschen, der zugleich Assoziationen zu Hitchcocks Meisterwerk „Das Fenster zum Hof“ weckt (wir wohnen fünf Minuten einer TV-Show namens „Peeping Toms“ bei, in der die Kandidaten Antworten auf Multiple-Choice-Fragen geben müssen, ob Philip Danielle beim Ausziehen zuschauen oder verschämt weggucken wird), benötigt die Handlung über zwanzig Minuten, bis unsere Herzen das erste Mal stärker zu schlagen beginnen dürfen, nämlich in Form des oben bereits kurz angeschnittenen Mordes an Philip.
Für die Inszenierung legt sich de Palma dann auch verständlicherweise mächtig ins Zeug, denn er weiß ganz genau, daß dies der singuläre Höhepunkt in den ersten 70 Minuten sein wird: Montagetechnisch gibt der Regisseur uns und vielen seiner Kollegen Anschauungsunterricht, wie man ohne gesprochene Worte, nur mit der Kraft von Bild und Ton ein Höchstmaß an Wirkung erzielen kann: die ganz im Stil von „Psycho“ blitzartig zugefügten Messerhiebe (mit dem Unterschied, daß de Palma die Einstiche in aller Grausamkeit zeigt); die Kombination der grellweißen Wohnung Danielles und das gleichfalls grelle rote Blut (das man im wirklichen Leben sicherlich nie mit echtem Lebenssaft verwechseln würde); die Blutspur, die Philip hinter sich her zieht; die Schattenspiele, wie die Frau nochmals zusticht; der Einsatz des geteilten Bildschirms (ein Markenzeichen des Regisseurs), der es möglich macht, sowohl Mordopfer als auch Zeugin Grace in dem gegenüberliegenden Apartment auf einen Blick zu präsentieren, parallel dazu enervierende Herrmann-Musik, die nun wirklich bei richtig eingestellter Lautstärke jeden vom Hocker hauen und zudem ins Ohr gehen dürfte. Im Anschluß folgt noch eine ganz bemerkenswerte Split-Screen-Sequenz, in der einerseits Emil alle Spuren verwischt, andererseits Grace sich mit zwei skeptischen Inspektoren (von denen man wenigstens den einen pausenlos an die Wand klatschen möchte) dem Tatort nähert.
Leider können die darauffolgenden Szenen da nicht mehr mithalten. Vielleicht kann mir de Palma mal erklären, was er eigentlich mit dem Gespräch zwischen Grace und ihrer Mutter bezweckte, das sich über fünf Minuten erstreckt. Es ist relativ belanglos und hätte locker gestrichen werden können, ohne daß mir etwas Wesentliches verloren gegangen wäre. Der Dialog schlägt nur Zeit tot und strapaziert die Geduld des Betrachters. Regelrecht verschenkt wird der Einbruch des von Grace angeheuerten Privatdetektivs (Charles Durning) in Danielles Wohnung: Da hätte man so schön Suspense einbauen können, doch der Regisseur entscheidet sich für das Gegenteil und präsentiert einen der wohl unspektakulärsten Einbrüche der Filmgeschichte. Damit nicht genug: Der Detektiv greift sich dort einfach mal einen Ordner, ohne einen Blick hineingeworfen zu haben (!), und trifft damit doch glatt ins Schwarze, bringt Grace auf die richtige Spur, nämlich die, daß Danielle und Dominique bis vor einem Jahr aneinandergewachsene siamesische Zwillinge waren. Da waren die Drehbuchautoren (de Palma selbst und Louise Rose) wohl etwas faul und griffen lieber auf ihren Freund, der gerne hilft, wenn der Autor nicht mehr weiter weiß, Herrn Zufall, zurück, als sich eine geschicktere Möglichkeit auszudenken, um diesen Plotpunkt in die Handlung zu integrieren.
Im letzten Viertel kippt „Schwestern des Bösen“ dann überraschenderweise von Thriller in blanken Horror um, der sicherlich nicht rein zufällig an Roman Polanskis „Rosemaries Baby“ erinnert. Ich kann jedoch nur nochmals betonen: Ich habe nie vollständig in den Film gefunden, weshalb selbst diese alptraumhaften Momente rund um Hypnose, Gehirnwäsche und Schwarz-Weiß-Rückblenden, die durch eine Kamerafahrt in Graces Pupille eingeleitet werden und uns des Rätsels Lösung überbringen, mich nicht zu beeindrucken, mitzureißen vermochten. Das sieht alles todschick aus, gewiß, und vermittelt die beunruhigende Stimmung eines Alptraums, aber der Funke wollte einfach nicht mehr auf mich überspringen.
Meine Probleme habe ich außerdem immer damit, wenn einer der Protagonisten am Ende (zumeist in Form eines Monologs) brechstangenmäßig gewisse inhaltliche Unklarheiten ausräumen muß, die das Drehbuch bis dahin nicht an passender Stelle in die Handlung einfügen konnte - so geschehen z.B. schon in „Psycho“, wo der Psychiater im Epilog noch Norman Bates’ gespaltene Persönlichkeit erklärt, um dem Zuschauer nicht hinterher noch etliche Fragezeichen um den Kopf schwirren zu lassen. Das ist in „Schwestern des Bösen“ nicht anders: Hier ist Emil derjenige, der mittels Monolog alle noch offenen Fragen bezüglich Danielle beantworten darf. Dies nur als kleiner Makel am Rande.
Viel störender dafür der Schlußtwist. Der wurde wohl lediglich vorgenommen, um im Finale auf Teufel komm heraus mit einem Überraschungseffekt aufwarten zu können, gebraucht hätte es den aber nicht wirklich.
Bleibt also festzuhalten, dass „Schwestern des Bösen“ für Brian de Palma wahrscheinlich eher eine Fingerübung, ein Experiment gewesen ist. Vieles, was ihn später noch auszeichnen sollte, ist noch unausgegoren und bleibt in Ansätzen stecken. Die überzeugenden Darsteller (die deutsche Synchronisationsstimme von Margot Kidder ist sehr gewöhnungsbedürftig) können die Schwächen der Story nicht wettmachen. Trotzdem nicht ganz ohne Reiz und zumindest mit einer denkwürdigen Szene ausgestattet. Man sollte nur (noch) nicht allzu viel erwarten. Wie ich.