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„Alles Lüge!“

Als ich mir vor kurzem den aktuellen Film „Das perfekte Verbrechen“ mit Anthony Hopkins im Kino zu Gemüte führte, wurde ich unmittelbar den Film „Der menschliche Makel“ erinnert. Dies ist vor allem auf die schauspielerische Glanzleistung des Hauptrastellers zurück zu führen. Dazu aber später, zuerst möchte ich näher auf die Handlung und die äußeren Umstände des Films eingehen.
Der Film basiert auf der Romanvorlage „The Humain Stain“ des renommierten US-amerikanischen Schriftstellers Philip Roth. Dieser gilt als einer der bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Das Werk „Der menschliche Makel“ ist der letzte Teil dessen Trilogie „American Pastoral“ (1997) und „I Married A Communist“ (1998), bei welchen im Gegensatz zu seinen früheren Werken der fiktive jüdische Schriftsteller Nathan Zuckerman nicht als Protagonist, sondern nur als Erzähler der eigentlichen Geschichte nur in Rahmenhandlungen auftritt. Roth, selbst aus einer jüdischen Familie stammend, veröffentlichte "The Humain Stain“ im Jahr 2000. In „Der menschliche Makel“ wird Nathan Zuckerman von Gary Sinise dargestellt. Filmfreunden wird er unter anderem aus Perlen wie der Adaption von Stephen Kings Kurzgeschichte „Die Verurteilten“ oder „Mission to Mars“ bekannt sein, oder als Ltd. Dan Taylor in „Forrest Gump“, wofür er sogar für die beste Nebenrolle für den Oscar nominiert wurde. Momentan ist er als Detective Mac Taylor in der Fernsehserie „CSI: New York“ zu sehen.

Verfilmt wurde die Romanvorlage, die 2003 in die Kinos kam von Robert Benton, dem bekannten US-amerikanischen Regisseur. Für den Filmklassiker „Kramer gegen Kramer“ erhielt er bereits 1979 einen Oscar für die beste Regie und einen für das beste Drehbuch.

Der menschliche Makel“ spielt im Jahre 1998. Damals war Bill Clinton noch der mächtigste Mann der Welt und vermutlich alle Menschen auf dem Globus außer ihm diskutierten über dessen sexuelle Machenschaften mit Monica Lewinsky, der Praktikantin, die dadurch zumindest kurzfristig zweifelhaften Ruhm erlangen konnte. Geschickt verstrickt Philip Roth diese damals reale Begebenheit, auf die er schon mit dem Titel des Werks („stain“ = Fleck oder Makel) anspielt, mit dessen erdachter Handlung um den Universitätsprofessor Coleman „Silky“ Silk. Dieser Protagonist wird eindringlich und beeindruckend dargestellt vom Altmeister Anthony Hopkins. Wie eingangs bereits erwähnt, war es vor allem wiederum diese beeindruckende schauspielerische Leistung wie in „Das perfekte Verbrechen“, die nicht durch aktionreiche Szenen, sondern durch eine in besonderem Maße eindringliche Mimik und Gestik gepaart mit geschliffenen Dialogen glänzt, die mich an diesen Film denken ließ.

Coleman Silk, ein stattlicher Herr um die 70, anerkannt, renommiert, auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist, wie auch sein Erschaffer Philip Roth, jüdischer Abstammung. Damit ist er vermeintlich der ersteProfessor, der mit diesem Glauben den Rang eines Dekans am Athena College ineiner Stadt in Neuengland erlangt hat. Gerade als alles zum Besten scheint, begeht der Kenner des griechischen Dramas Coleman Silk, wie Bill Clinton selbsteine tragische Figur, jedoch einen unverzeihlichen Fehler, der ihm seineStellung, ja sogar seinen Job kostet.

Der Anfang vom Ende beginnt damit, dass Coleman Silk, nachdem die Vorlesungszeit an der Universität bereits vor geraumer Zeit begonnen hat, während einer Vorlesung vor versammelten Hörsaal sich flapsig und unwissend nach dem Verbleib zweier Stundenten, die noch nie durch Anwesenheit geglänzt haben erkundigt: "Do they exist or are they spooks?", was soviel bedeutet wie „Gibt es diese beiden wirklich, oder sind es nur Geister?“. Diese Aussage an sich ist noch nicht besonders dramatisch oder bedenklich. Man käme gar nicht auf die Idee, diese Äußerung als quasi Kündigungsgrund zu interpretieren. Anders sieht die Lage jedoch aus, wenn man weiß, dass das Wort „spooks“ im Englischen auch noch eine andere Bedeutung hat. Es ist auch eine äußerst herablassende Bezeichnung für „Schwarze“ bzw. Afroamerikaner, die deren Würde zutiefst verletzt. Übersetzt man dieses Zitat nun mit diesem Wissen noch einmal, erscheint die Bemerkung „Gibt es sie oder sind es nur schwarze Löcher?“ in einem anderen Licht, noch dazu wenn es sich bei den beiden „vermissten“ Studenten wirklich um farbige Studenten handelt. Als die beiden Studenten von dieser Äußerung Coleman Silks erfahren, bezichtigen sie ihn völlig zu Unrecht als Rassisten. Als die Führungsriege der Universität von diesem Vorfall erfährt, nimmt das Unausweichliche seinen Lauf. Noch dramatischer erscheinen diese Ereignisse, wenn man im Laufe des Films erfährt, dass gerade Silk einen dunklen Fleck („stain“) auf seiner blütenweißen Weste hat. Er selbst, teilweise afrikanischer Abstammung, eine Tatsache, die er sein ganzes Leben zu verbergen versucht indem er sich als Weißer ausgibt hat am Anfang seiner Laufbahn beschlossen, seine wahre Identität hinter einer erfundenen Lebensgeschichte zu verstecken. Leider bleiben die genauen Details im Film, im Gegensatz zur Romanvorlage, etwas unklar bzw. undurchsichtig.

Coleman Silk verliert jedoch nicht nur seinen Job und sein Ansehen, sondern auch seine Ehefrau Iris, die den Rummel und dieAnschuldigungen ihres Ehemanns nicht verkraftet und an einem Herzinfarkt stirbt. Plötzlich hilflosund allein wendet sich Silk an den Schriftsteller Nathan Zuckerman und bewegtihn dazu, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Diese bewegte aber auch distanzierte Sichtder Dinge von Zuckerman stellt den Rahmen bzw. die Erzählperspektive derHandlung dar. Nach und nach freunden sich beide an. Dies führt dazu, dass im Laufe der Erzählungen zahlreiche unbekannte, abenteuerliche Details aus Silks Leben zum Vorschein gebracht werden.

So erfährt man auch nach und nach von seiner plötzlichen Leidenschaft für eine so gar nicht standesgemäße Frau. Es handelt sich dabei Faunia Farley, ihres Zeichens Melkerin und Reinigungskraft am Athena College, Silks ehemaligem Arbeitsplatz. Faunia Farley wird gespielt von der bezaubernden Nicole Kidman. In diesem Film glänzt sie jedoch nicht als „Hollywood – Diva“ à la „Moulin Rouge“, sondern als einfache, vom Leben gezeichnete Frau vom Lande, die im Laufe des Films ebenso wie Silk von ihrer unrühmlichen Vergangenheit und ihrem ganz privaten Drama eingeholt wird Beide bilden ein kongeniales Paar, welches auf den ersten Blick nicht gegensätzlicher hätte sein können. Es ist aber gerade diese Beziehung zwischen Farley und Silk mit ihren Lebensgeschichten, die diesem Film seine Intensität und Spannung verleiht. Besser als mit Nicole Kidman hätte man den Part der Faunia Farley nicht besetzen können. Kidmans schauspielerische Leistung ist ebenso hoch einzuschätzen wie die von Hopkins. Beide stehen sich in nichts nach und ergänzen sich fabelhaft. Faunia ist nicht nur viel jünger als Coleman Silk, sondern auch sehr sexy und geschlagen mit einem unter einem Vietnam-Trauma leidenden Ex-Ehemann (Ed Harris), der sie verfolgt und bedroht.

Auch diese Rollenbesetzung hätte mit Ed Harris, der alseiner der führenden harakterdarsteller seiner Generation gilt, nicht besser sein können. Er spielte schon wie Nicole Kidman in „The Hours“ mit, oder inbekannten Filmen wie „The Truman Show“, The Rock – Fels der Entscheidung“ oder„A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn“, für welchen er mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde. Ed Harris alias Lester Farley als von Eifersucht gepeinigter Ex-Ehemann, wird für Coleman und Faunia letzendlich zum Zünglein ander Waage. Ihr Kampf um Liebe wird für die beiden letztendlich auch ein Kampfum Leben und Tod. Beide verunglücken in bei einem Autounfall, bei dem Lester Farley eine entscheidende Rolle spielt.

In zahlreichen Rückblenden in die 40er Jahre wird nach und nach die Lebensgeschichte von Coleman Silk aufgearbeitet, die schließlich wie in einer griechischen Tragödie in einem unausweichlichen Finale ein Ende findet. Für mich hätte man die verschiedenen Rollen nicht besser besetzen können. Es ist jedoch durchaus ratsam, auch den Roman zu lesen, da der Film den Betrachter etwas im Unklären lässt, weshalb der weiße Schauspieler Anthony Hopkins im Film einen schwarzen Professor spielt. Wie oftmals der Fall, ist die Romanvorlage zu
einem Film tiefgründiger. So erfährt man auch im Buch ausführlicher, dass Silk aus einer afroamerikanischen Familie stammt, bei der Armee als Weißer durchging, und sich für seine Ehe mit einer Jüdin von seiner Familie lossagte, um unabhängig von allen Klassifikationen und Rollenzwängen als weißer Jude zu leben. Diese Aufklärung bleibt der Film meines Erachtens dem Publikum schuldig. Dadurch wird jedoch erst richtig klar, dass Silks Leben einzig und allein auf einer Lebenslüge basiert.

Der Film lebt von den ausdrucksstarken Bildern und der düster bedrückend wirkenden Atmosphäre. Besonders wegen der großen schauspielerischen Leistung der Hauptdarsteller, die diese gescheiterten Charaktere absolut glaubwürdig und beeindruckend mimen, ist der Film absolut sehenswert. Es ist diese geglückte Balance aus Figurenreichtum, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und diese fesselnde Dramaturgie, die den Film wunderbar über seine 103 Minuten trägt. Ob man nun Anthony Hopkins die Tatsache ein Afroamerikaner zu sein, abnimmt, bleibt jedem Betrachter selbst
überlassen.

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