Review
von Leimbacher-Mario
Ein cinephiler feuchter Traum
Ein- bis zweimal im Jahr haut Netflix etwas raus, das es mit allem anderen an Qualitätsfilmen des Jahrgangs aufnehmen kann. Klar ist da sonst auch viel Durchschnitt oder gar Ausschussware dabei - aber gegen moderne Meisterwerke wie „Marriage Story“, „Roma“, „The Irishman“ oder „Mudbound“ kann man einfach nichts sagen, das sind Ausnahmetitel für die historischen Bestenlisten, bei denen man nur einer physischen Veröffentlichung oder manchmal den Möglichkeiten sie im Kino das erste Mal gesehen zu haben nachtrauert. Und „Mank“ ist der diesjährige „Mastertitel“ mit dem man sich völlig zurecht gute Oscarchancen einräumt und jeden Kinofan quasi zwingt, seinen Netflixaccount am Leben zu lassen. David Finchers erste Film nach „Gone Girl“ vor sechs Jahren, ein verschachteltes Biopic über Herman Mankiewicz bzw. eher über die Entstehung von dessen Drehbuch zum Überfilm von Orson Welles - „Citizen Kane“. Bam! Größer und fetter und bedeutender wird's nicht.
In erstaunlich „damalig“ wirkendem Schwarzweiß, mit einer enormen Hauptperformance von Gary Oldman, knackig besetzt bis in kleinere Nebenrolle mit etwa den bezaubernden Lily Collins und Amanda Seyfried, die Epoche und das Feeling dieser „Noir Zeit“ eindrucksvoll eingefangen. Detailverliebt und spielerisch zugleich. Dazu ein Drehbuch bzw. Dialoge, die oft wie aus der Waffe geschossen kommen und den Film erstaunlich flott, kurzweilig, unterhaltsam machen. Das war in diesem Ausmaß nicht zu erwarten. Selbst wenn man sich nicht meisterhaft mit Hollywoods Anfangsjahren der goldenen Zeit auskennt und jeden Namen zuordnen kann. Kann man dies weitestgehend doch, dann hat man natürlich noch mehr Spaß und ein durchgängiges Grinsen auf den Backen. Es gibt Zeitsprünge und wird viel gequalmt und getrunken und geflucht, es gibt etliche Reminiszenzen an „Citizen Kane“ und seine wegweisenden Einstellungen, es ist keine unumstrittene Theorie zu dessen Entstehung. Es gibt Gesprächsstoff, es gibt Themen von „Fake News“ bis hin zur „(Ent)Mystifizierung“, die bis heute Bestand und Wichtigkeit haben. Es gibt in jedem Bild, in jedem Schatten, in jeden Ton (des famosen, jazzigen Scores) etwas zu entdecken. „Mank“ ist viel mehr als nur ein Insiderwitz für Filmgeeks. Es ist ein moderner, umwegloser und uneingeschränkter Klassiker. Vielleicht kein „Citizen Kane“. Aber ebenfalls ohne jeden Zweifel erhaben. Edelstware.
Fazit: Fincher ist wieder da! Und „Mank“ ist ein flammender Triumph! Für mich vielleicht der beste Film des Jahre. Für viele, viele andere Nerds sicher ebenso. Gehobene Klasse. Ein luxuriöser Leierkasten aus Gold und Charme, aus Alkohol und Qualm, aus Intelligenz und Stil. Volle Punktzahl - auch in jedem „Nicht-Corona“-Jahr, auch daheim auf der Couch. Das Kino und der Film - sie leben noch!