Gedanken zu „Abigail Lesley is back in town“ (USA, 1974)
Sex als Sprache - Sarno erzählt mit Erotik.
Von den Sehnsüchten einer US-amerikanischen Kleinstadt.
D.h., eine Stadt fühlt natürlich nichts, also keine Sehnsucht, sondern ihre Bewohner fühlen. D.h. zunächst dämmern sie in Agonie dahin, bis Abigail Lesley plötzlich wiederkehrt, „back in town“ ist. Und wie Regen in der Wüste wirkt Abigails Rückkehr. In einer beregneten Wüste blühen die Pflanzen auf – und das Städtchen war zuvor, obwohl am Meer gelegen, wie ausgetrocknet, ausgedörrt – jetzt erwachen in den Bewohnern (und vor allem in den Bewohnerinnen!) Sehnsüchte, Triebe, Gelüste.
Wie eine Hexe wirkt die rothaarige Abigil, wenn sie sich lauernden Blickes an ihre Nachbarn & Nachbarinnen heranmacht, wenn sie, die Magierin, Menschen verzaubert (Raubt sie deren Willen? Oder fördert sie ihn zu Tage? Dazu später mehr.) und Begierden entfesselt.
Wir können spekulieren, ob es primär sexuelle Begierden sind, oder ob die Menschen sich nach Nähe, Zärtlichkeit, Anerkennung, Freiheit, Abwechslung, Selbstbestätigung (oder was auch immer) sehnen. Vielleicht spielt jedes Motiv mit – aber in Sarnos Film manifestiert sich diese Sehnsucht vor allem im Körperlichen. Sex!
Lassen wir den Meister Joe Sarno doch ein wenig selbst zu Wort kommen:
„In movies often the hangover, from the Victorian age or the 30's, is: 'If you enjoy sex you get killed', especially, if you are a woman. That was such a hare-brained concept to begin with. […] The world has such a distorted view of sex – and a distorted priority regarding sex – and political awareness is often correlated to people's ideas about sex. My films present sex without violent endings, and I think that is one reason my films have had a market – they are satisfying, without murder endings.“
Oder zu dem Thema, warum in „Abigail Lesley is back in town“ (übrigens auch in vielen anderen seiner Filme) vor allem die Frauen sexuell erwachen:
„My point of view is more or less always from the woman's point of view; the fairy tales [Sarno selbst nennt seine Geschichten „Märchen“], that my films are based on, are from the woman's point of view. I stress the efficacy of women for themselves. In general, I focus on the female orgasm as much as I can... women have much more imagination than men! I think sex is supposed to be a lot of fun, and that is what my films usually are about.“
Er schätzt Frauen! (Wegen ihrer Einbildungskraft.)
Und Sex! (Der Spaß machen sollte.)
Von beidem will er ein anderes Bild schaffen. Da haben wir wohl die Motive für sein Schaffen. (Also außer der Knete.)
Und wissenschaftlich untermauerte er seine Interessen durch sein Studium der Psychologie; besonders interessierten ihn „menschliche Beweggründe und Verhaltensmuster“.
Beispielhaft für seine Frauenrollen ist Priscilla (sie ist, mehr noch als die Titelheldin Abigail, die eigentliche Hauptfigur des Films). Sie verhält sich einerseits am längsten „verklemmt“, wagt aber andererseits am Ende den größten Schritt: Die Flucht aus dem Städtchen: Mit dem neuen Mann, unter Zurücklassung des Ehemanns.
Dabei fand ich besonders bemerkenswert, daß sie das gleichlautende Angebot der Magierin Abigail abwies. Sie wies Abigail ab, ihre Liebhaberin, ihre Erweckerin. Daß sie die Kraft und das Selbstbewußtsein dazu haben konnte, beweist zum Einen das Maß ihrer neuen Selbstbestimmtheit, zum Anderen die Selbstlosigkeit, mit der Abigail die Erweckung betrieb: die scheinbare „Hexe“ Abigail erschuf sich kein willenloses Werkzeug, keinen Zombie, sondern machte aus Priscilla eine gereifte Frau, die sogar vermag, ihre „Schöpferin“ abzuweisen.
Wobei die Schöpferin klug genug ist, diese „Abweisung“ klaglos zu akzeptieren, ohne Priscilla dafür zu strafen. Sie weiß: Die Freiheit, die sie sich selbst nimmt, muß sie auch anderen gewähren.
[Zitate aus: "Incredibly Strange Films" von Andrea Juno & V.Vale,
V/Search Publications, 1986, mit einem langen Interview des Meisters. Ein Buch, das auf keiner einsamen Insel fehlen sollte! Eines meiner wenigen WICHTIGEN Filmbücher.]