Review

Miniserie

Schlitzt die 80er auf

Der perfide „Night Stalker“ aus dem Los Angeles der 80er - eine ziemliche Legende unter den Serienmördern, der eine Weltstadt in Panik versetzte und ohne Umwege in die verrückte Hall of Fame der gefährlicheren Popkultur einging. Diese vierteilige Netflix-Miniserie beschäftigt sich intensiv und erstaunlich stylisch mit der Jagd auf ihn - und auch seinen seltsamen Zusammenhang mit der unheiligen, verführerischen Zweiseitigkeit seiner Epoche zwischen Aerobic, Satanskulten und dem Slasherboom…

Stadt der Engel… und Teufel

Eigentlich bin ich dem True Crime-Doku-Boom bisher ganz gut aus dem Weg gegangen. Es hat mich in letzter Zeit eher interessiert, warum sogar Leute in meinem Umfeld, die mit filmischer Abseitigkeit, Dunkelheit und dem Horrorgenre nie etwas anfangen konnten, auf einmal liebend gerne ganz realen Grusel- und Mördergeschichten folgten. Das muss man erstmal verstehen, über diese seltsame Psychologie kann man glaube ich Doktorarbeiten schreiben. Aber wenn eine Minidoku dermaßen verlockend ausschaut und wirkt wie Netflix' „Night Stalker“, dann springe ich auch gerne kurzzeitig auf diesen Zug auf. Die Vorschusslorbeeren als eine der beliebtesten, bestbewerteten und meistgeguckten Dokus beim großen N stimmten zudem neugierig. Und was soll ich sagen… „Night Stalker“ sieht schnieke aus und ist eine hypnotisch-verstörende Aufarbeitung der bestialischen Morde des nächtlichen Schlitzers nahe der Traumfabrik…

Gehören Popkultur und Psychopathen zusammen? 

Besonders prekär und fragil ist bei einer solchen Doku natürlich immer, dass der Killer nicht verherrlicht oder überstilisiert wird. Was eh immer etwas zwiespältig und scheinheilig ist bei diesem Doku-Subgenre. Und „Night Stalker“ kann sich immerhin hierbei retten, dass ihr Subjekt und Mörder eh schon ein überstilisierter Teil der Popkultur war und ist, er Musik, Filme und Videospiele beeinflusste. Daher halte ich dieser Doku ihren erregenden Style und ihre seltsame, nächtliche Schönheit nicht böse vor. Viel eher rechne ich es „Night Stalker“ hoch an technisch dermaßen versiert zu sein. Es werden Musikstücke verzerrt hineingeschnitten, allgemein sind Schnitt und visuelle Spielereien hier meisterhaft. Über dem Ding flirrt eine einzigartige Atmosphäre. Synthies, noir'isch, blutig, pervers. Der Aufbau ist recht chronologisch und sehr übersichtlich, die Morde sind noch immer brachial und schockierend. Die Zeitzeugen, überlebenden Opfer und vor allem die untersuchenden Polizisten damals an dem Fall kommen alle genügend zu Wort und wirken charismatisch genug, noch immer involviert und leidenschaftlich. Dazu die zeitkulturellen Bezüge zwischen Madonna und Satanismus, zwischen Waffenhysterie und Schuhabdrücken, zwischen Medienmadness und Zahnärzten. Die Länge der knapp vierzigminütigen Episoden stimmt, samt funktionierender Cliffhanger. Und deswegen hat „Night Stalker“ audiovisuell bei mir einen Nerv getroffen, die Zeit verfliegen lassen und für mich Richard Ramirez auch nicht verharmlost, verklärt oder gar emporgehoben. 

Fazit: eine der gleichzeitig hübschestes wie verstörendsten Serienkillerdokus seit Ewigkeiten. Erfrischende, authentische, extrem stilisierte und absolut brutale Sezierung der diabolischen Dualität der 80er - anhand einer der fiesesten Kriminalfallserien überhaupt. Pflicht für jeden True Crime-Doku-Fan. Und für jeden Nostalgiker dieses toxisch-wundervollen Neonjahrzents. (9/10)

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