1996/97 bereiste Marilyn Manson die Welt auf seiner DEAD TO THE WORLD-Tour und erhitzte dabei zahlreiche konservative Gemüter, denen er spätestens seit dem Konzeptalbum "Antichrist Superstar" ein Dorn im Auge war.
Harter Industrial-Sound und nietzscheanische Songtexte, die introspektiv und mit viel Raum für Interpretationen die Verwandlung eines "Wurms" zum Rockstar, Antichristen und letztlichen Zerstörer der Welt schilderten, riefen unter anderem die American Family Association auf den Plan, die mittels gefälschter Zeugenaussagen schon Jahre vor Columbine die Karriere Mansons zu beenden suchte. Diverse "Right-Wing-Christian"-Gruppierungen demonstrierten betend vor Konzerthallen, es wurde versucht, das Publikum von den Konzerten fernzuhalten oder die Auftritte der Band gleich ganz zu untersagen.Ironischerweise erkannten all diese aufrechten Christen jedoch weder, daß die vom "Antichrist Superstar" entfesselte Apokalypse einen rein intellektuellen Prozess darstellte, noch die radikale Kritik an Showgeschäft und Starkult, die Manson in die Welt hinausschrie. Vielmehr bestätigten sie durch ihre Aktionen eben den Protest gegen organisierte Religion und fundamentalistische Heuchelei, den sie der Band vorwarfen, als nicht unberechtigt.
Vor diesem turbulenten Hintergrund verwundert es daher nicht, daß das Videoalbum DEAD TO THE WORLD nur einen vagen Eindruck der dokumentierten Tour vermitteln kann. Den Protestlern wird zu Beginn breiter Raum gewidmet, im Mittelpunkt stehen aber (natürlich) die Auftritte von Herrn Manson nebst Band, die sich hier von ihrer vermutlich dreckigsten Seite zeigen. Musikalisch bekommt man harten Live-Sound um die Ohren gehauen, noch interessanter sind aber die durchaus kontroversen visuellen Showeinlagen. Zentral hierbei der Song Antichrist Superstar, mit Manson als faschistischem Führer am Rednerpult, der eine Bibel zerreißt. Doch sollte man bei aller skandalträchtigkeit nicht übersehen, daß dieser Hitler in Strapsen gestikuliert wie eine Marionette auf Drogen, also als offensichtlich wahnsinnige/besessene Figur angelegt ist, die schwerlich zur Identifikation einlädt. Im Anschluß folgt mit The Beautiful People einer der besten Manson-Songs, der die unheilvolle Tendenz der Konsumgesellschaft, in einen "Faschismus" der Reichen und Schönen umzukippen, wie er sich beispielsweise im Diktat der Werbung, im Personenkult um diverse Showgrößen und im ständig anwachsenden Druck auf das Individuum, das sich diversen gesellschaftlichen Trends blind unterzuordnen hat sofern es nicht als Außenseiter dastehen will, auch heute noch zeigt, treffend auf den Punkt bringt.
Diesem gesellschaftlich verordneten Zwang zur Konformität versucht Manson durch die Strategie des gezielten Tabubruchs zu entgehen. Einmal in der Verhöhnung staatlicher und religiöser Autorität durch die bereits erwähnte Bibelaktion oder die nicht ordnungsgemäße Verwendung der amerikanischen Flagge. Zweitens durch Obszönität in Wort und Geste ("Let me see your middle-fingers!"). Und schließlich drittens durch abjekte Darstellungen auf der Bühne und im Backstage-Bereich, wobei er bei der Performance des Eurythmics-Covers Sweet Dreams die problematischste Grenzüberschreitung begeht (die dem Film durchaus zurecht hierzulande eine 18er-Freigabe bescherte): autoaggressives Verhalten unter Zuhilfenahme einer zerbrochenen Flasche ist starker Tobak, neben dem die obligatorische Zerstörung des Band-Equipments am Ende nahezu harmlos wirkt!
Weitere optische Highlights sind der auf Stelzen vorgetragene Song Kinderfeld sowie der vom Lost-Highway-Soundtrack stammende Apple of Sodom im Kunstschnee. Zwischen den einzelnen Songs gibt es einige erhellende bzw. verdunkelnde Gespräche mit Marilyn Manson, Szenen aus dem Backstagebereich (Twiggy Ramirez beim Kotzen) sowie einen Disput mit der Polizei über das Patty Smith Cover Rock n Roll Nigger, bei dem sich erneut zeigt, daß diverse Gutmenschen schlicht keine Ahnung haben, vor was sie die Gesellschaft schützen wollen - denn der Song ist trotz des anderes vermuten lassenden Titels keineswegs rassistisch und ein Klassiker obendrein. Das Aufführungsverbot des Songs wird daher auch konsequent dadurch umgangen, daß ein farbiger (!) Rapper den Refrain anstimmt.
Marilyn Manson zeigt anhand dieser Dokumentation, daß er es durchaus beherrscht, mit der öffentlichen Wahrnehmung zu spielen, indem er Kontroversen nicht nur provoziert, sondern diese und die dadurch unvermeidlichen Entrüstungsstürme auch noch gezielt dazu verwendet, seine Gegner als fanatische Eiferer zu entlarven, die bestenfalls eine ungefähre Ahnung davon haben, was er durch seine Kunst ausdrücken will.
Für alle, die entsprechend hartgesotten sind und die ihn in seiner rohesten und bösartigsten Phase erleben wollen, ist DEAD TO THE WORLD daher Pflichtprogramm! Einziger Wehrmutstropfen ist jedoch, daß es immer noch keine DVD-Veröffentlichung gibt.