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Also wenn sich Gangster wie Horst Frank selbst vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, ist es nur natürlich dass für die Davidswache Großalarm herrscht. Frank war das gute Gewissen des Deutschen Films und Wolfgang Staudte wusste das zu schätzen. Seinen Lieblings- Darsteller inszenierte er u. a. in dem 71er Klassiker FLUCHTWEG ST. PAULI. Hier übertrug die Terra- Filmkunst -eine Tochterfirma der CONSTANTIN- statt Rolf Olsen Wolfgang Staudte (leider nur einmal) die Regie bei einer St. Pauli- Gangsterfilm- Produktion. Und der „Künstler“ Staudte (der sich seinerzeit öffentlich gegen den Vietnam- Krieg einsetzte) entlieh deshalb wenigstens die Grundidee seines Films der Bibel. Denn der Regisseur lässt hier zwei völlig unterschiedliche Brüder (gut und böse) aufeinander los. Das er dabei Horst Frank und nicht Curd Jürgens mit der Hauptrolle vertraute, zeichnet sein sensibles Händchen aus. Aber sonst merkt man auffallend viele Gemeinsamkeiten zwischen FLUCHTWEG und den Olsen Streifen. Den Guten Bruder spielt Heinz Reinke, eine Prostituierte Andrea Rau. Dazu ist dieses Werk reich an den 70er Jahre üblichen und beliebten Genre- Zutaten. Orchestersound zur Spannungssteigerung, Kreischgitarre um die Entschlossenheit der kriminell Handelnden zu unterstreichen. Genau wie Olsen inszeniert auch Staudte Hamburg als einen wilden unberechenbaren Großstadtdschungel. Es ist doch immer schön wenn die Figuren eine gewisse Authentizität entwickeln und zu den Hinterhöfen passen in denen sie aufgewachsen sein sollen.
Willi Jensen glaubt für seinen Gefängnisausbruch vorgesorgt zu haben. Die Beute aus einem Bankraub hatte er vor seinem Gefängnisaufenthalt auf einem Dachboden versteckt. Als er zusammen mit seinem Komplizen Timpe (Siegurd Fitzek) in die Strasse des Versteckes kommt, muss er mit ansehen wie Bagger gerade die letzten Steine jenes Hauses abtragen, dass sein Geldversteck war. Wenn er jetzt Schwäche zeigen würde, wäre das ein Autoritätsverlust und Willi hat -unschwer zu erkennen- Schwierigkeiten sich zu disziplinieren. Aber das Leben muss weiter gehen, sein Taxi fahrender Bruder verrät ihm ungewollt von einem reichen Kunden. Willi beschließt daraufhin an dessen Wohlstand teilzunehmen. Dabei zeigt er souverän Profiqualitäten, als er senkrecht Wände hochgeht. Der Bösere von beiden Brüdern ist ein Allroundtalent, Aus- und Einbrecher. Die Dame des Hauses, zu dem sich Horst Frank so artistisch Einlass verschafft, -Frau Berndorf (Heidi Bohlen)- verbringt ihre Tage am liebsten Whisky trinkend im Bett, untermalt von undefinierbarem Kraut- Rock. Das Willi sie deshalb erdrosselt ist nur verständlich. Diese Szene ist im übrigen eine unter vielen Höhepunkten des Films. Willi Jensen entdeckt das teure Geschmeide auf der Kommode der Lebedame, und dem Gesichtsausdruck Franks entnehmen wir dass er gerade noch eine vorzeitige Ejakulation vermeiden kann. Als er sich den wertvollen Juwelen  widmen will, wird er durch die Besitzerin gestört. Die Kamera zeigt hier zunächst die sich zur Musik bewegende Frau und wie Horst Franks Hände ihren Hals umschlingen. Fährt dann während ihres Todeskampfes auf Franks Gesicht, dessen Blick völlig besessen stur auf die Diamanten gerichtet ist. Große Klasse! Hier ist der einzige Unterschied zu Argento, dass der nur das Opfer zeigen würde. Und jetzt kommt endlich die Stelle die Staudte von Olsen unterscheidet. Olsen ließ nie einen Zweifel daran, dass besser Verdienende mit Recht und Gesetz auf Kriegsfuß stehen. Staudte schlägt genau in die gleiche Kerbe, entlarvt die VIP- Gesellschaft aber ebenso wenig subtil, mit einem Telefonanruf. Herr Berndorf hat nach der Entdeckung der toten Gattin, nichts Eiligeres zu tun als seiner Geliebten die gute Nachricht sofort telefonisch mitzuteilen, noch vor dem Eintreffen der Polizei.
1999 verstarb Frank, für seine Freunde nicht unerwartet, nach einer Theatertournee bei einem Kuraufenthalt. Und mit ihm ging ein Stück europäischen Films, welches eine kreative und intakte Kino- Zeit verkörperte. Nicht viele Schauspieler versinnbildlichten Verletzlichkeit und Draufgängertum so genuin wie Horst Frank. Seine Kunst war es einen geprügelten Hund zu interpretieren der ständig auf dem Sprung ist zurück zu beißen. Dies übertrug sich schon telepatisch auf seine Zuschauer und unterstreicht seine eigene Aussage: „Nicht spielen, sein.“
Filmklassiker haben es oft schwer als solche auch erkannt zu werden, eine Klassifizierung erübrigt sich deshalb bei FLUCHTWEG ST. PAULI für alle Denkenden Wesen vollkommen. Und auch noch mal ein riesiges Dankeschön an das Granaten-Label ROYAL, denn die schafften es doch tatsächlich auch noch Olsens WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN zu veröffentlichen. Küsschen.
sergio garrone

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