Shang Chi and the Legend of the Ten Rings
Nach Endgame hat das Marvel Universum ein Problem – man hat fast alles verfeuert, einige der populärsten Held*innen gekillt und die Hälfte der Schöpfung gerettet. Ohne Iron Man, Captain America usw wird es dünn an der ersten Front. Man hat noch Spider-Man, mit dem man bisher notgedrungen wenig gemacht hat, und das war es fast, zumal die „alte Garde“ die Lust verliert. Die Fantastic Four und die X-Men wären eine Möglichkeit, aber da sind die alten Filmreihen noch zu neu (und bei Fantastic Four zu schlecht, bei X-Men zu gut). Also bedient man sich am großen Portfolio der B-Helden (Daredevil und Punisher hat man ja schon als TV-Serie verbraten)und landet bei einem, von dem ich nie irgendwas gelesen habe, wahrscheinlich auch, um den immer größer werdenden chinesischen Markt zu bedienen. Das Ergebnis ist eine Art „Marvel Asia“, dass sich an den Actionfilmen der frühen 90er mit Jet Li (Tai Chi oder Master of Shaolin) orientiert, die durch unglaubliche Actionchoreographie beeindruckten.
Der Film orientiert sich allerdings an den wundervollen Wuxu-Klassikern wie The Bride with white Hair oder Chinese Ghost Story und beginnt mit der leider etwas unlogischen Geschichte der 10 Ringe (warum hat der Bad Guy die Welt nicht schon längst erobert?) wunderschön poetisch, bevor es in die Jetztzeit geht und wir den Titelhelden als jungen Mann kennenlernen, der hinter seinem Potential zurückbleibt und in die großen Geschehnisse seines Schicksals hineingezogen wird – wie praktisch in jeder Superheldenorigin. Anders als bei Batman, Spider-Man usw. ist das hier aber dringend nötig, da der Held nicht gerade zu den bekannteren Vertretern gehört und passiert als Kung-Fu-Actioner wie wir ihn eben von Jet Li kennen. Der Snap wird früh erwähnt, das Mandarindebakel kommentiert und wieder repariert, Wong schaut vorbei, aber im Großen und Ganzen lässt man Shang-Li sein Ding außerhalb oder besser am Rand des MCU machen (wie Cap, Thor und Iron Man auch). Wie bei Rocky Panther, äh Black Tiger, ach, dem inoffiziellen Rocky III Remake Black Panther verzichtet man dabei weitgehend auf hellhäutige Schauspieler*innen, mit Ausnahme eines Henchman und eines Unterstützers des Helden. Auch ist die Actionchoreographie fantastisch, die Kämpfe sind unrealistisch aber äußerst dynamisch und flüssig und der Stil bringt einen gehörigen frischen Wind in das Superheldenallerlei. Auch der Bösewicht ist interessant, da er gleichzeitig ein machtbesessener Egomane und liebender Ehemann ist. Die Rückkehr in die chinesische Sagenwelt des Anfangs hilft ebenfalls, den Film von der Masse abzuheben und hat starke mythologische Anklänge, die sogar an den Cthulhumythos heranreichen.
Nach dem eigentliche Film nutzt man dann eine der typischen Mid-Credit- Szenen, um den Film wieder im MCU zu verankern und klar zu machen, dass Shang-Chi in der aktuellen Phase des MCU eine tragende Rolle zugedacht ist – man wird schauen müssen, wie sich das entwickelt. Der Auftakt der Abenteuer des Kung-Fu-Meisters ist auf jeden Fall eine gelungene Abwechslung im Superheldenallerlei, das sich stark auf „höher, schneller, weiter“ eingeschossen hat.