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Der unwiderstehliche Drang zu töten ergibt sich aus einer abnormen Chromosomenkonstellation. XYY ist die Wurzel des Übels, eine glücklicherweise sehr seltene Struktur, die das Gewaltpotential im Träger nachhaltig zu seinen Ungunsten beeinflußt. Prompt kommt es im Umkreis des Genforschungsinstitutes, in welchem diese brisante Entdeckung gemacht wurde, zu einer grausamen Mordserie. In den Strudel der Ereignisse hineingezogen wird der blinde Ex-Journalist Franco Arno (Karl Malden), der beim Spazieren mit seiner kleinen Nichte Lori (Cinzia De Carolis) Ohrenzeuge eines Gespräches wird, in dem es um eine Erpressung geht. Zusammen mit dem ambitionierten Zeitungsreporter Carlo Giordani (James Franciscus, Concorde Affaire '79) versucht er, der verzwickten Sache auf den Grund zu gehen und bringt dabei sich und Lori in tödliche Gefahr.

Dario Argentos zweite Regiearbeit ist ein insgesamt sehr gelungener und gekonnt inszenierter Giallo, auch wenn er seinem Vorgänger, dem schlichtweg brillanten L'uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), nicht das Wasser reichen kann. Sehenswert ist Il gatto a nove code allemal, gelingen dem Meister doch einige wunderbar orchestrierte Set-Pieces, die die dubiose Grundidee rasch in den Hintergrund drängen. Argento bedient sich bei den jeweiligen Mordsequenzen - und auch an einigen anderen Stellen - eines interessanten Kniffs, denn kurz bevor der unheimliche Killer zuschlägt, zeigt er uns dessen Auge für einige Momente in bildschirmfüllendem Close-Up, was einen Perspektivwechsel ankündigt. Die Kamera - und somit auch der Zuseher - wird quasi zum Auge des Mörders, womit man das Geschehen, bzw. Teile des Geschehens, aus der Sicht des Täters wahrnimmt (ein Kunstgriff, der bereits in L'uccello dalle piume di cristallo zur Anwendung kam und auf den Argento in den Folgefilmen immer mal wieder zurückgreifen wird).

Im Gegensatz zu seinen späteren Werken hält sich der Regisseur hier bei den Tötungsszenen noch zurück, verzichtet auf allzu ausschweifende Gewaltspitzen ebenso wie auf spektakuläre Schauwerte. Daß sich die entsprechenden Szenen trotzdem von der Konkurrenz wohltuend abheben, ist auf Argentos Talent für ästhetisch eindrucksvolle Bildkompositionen zurückzuführen. Ebenfalls bemerkenswert ist die ungewöhnliche Schnitttechnik während einiger Schlüsselmomente, wo sekundenkurze Bilder kommender Ereignisse zwischenmontiert werden. Das mag anfangs etwas irritieren, funktioniert aber doch erstaunlich gut, zumal diese extravagante Technik nicht überstrapaziert wird. Hin und wieder blitzt etwas Suspense auf (vor allem in Kombination mit der Point of View-Perspektive), allerdings schafft es Argento nicht, die Spannungszügel über die gesamte Laufzeit von immerhin mehr als 110 Minuten straff zu halten.

Daß der Film trotz diverser Längen nicht langweilig wird, liegt nicht nur an der stilsicheren und selbstbewußten Inszenierung, sondern auch an der guten Besetzung. Knollennase Karl Malden (The Streets of San Francisco) ist der wohl liebenswerteste männliche Protagonist in Argentos Filmschaffen (Lori nennt ihren Onkel liebevoll "Cookie"), aber auch James Franciscus kommt überaus sympathisch rüber. Für Eye Candy sorgt die Französin Catherine Spaak (Storia di una monaca di clausura) als Anna Terzi (obwohl die Klamotten, die sie trägt, etwas gewöhnungsbedürftig sind), und in Nebenrollen sind unter anderem Horst Frank, Rada Rassimov und Werner Pochath zu sehen. Ansonsten bietet Il gatto a nove code so ziemlich alles, was man von einem Giallo erwartet: zahlreiche verdächtige Personen mit dunklen Geheimnissen, eine etwas konstruierte Geschichte, ein wunderbarer Score von Ennio Morricone, eine interessante visuelle Gestaltung (man achte auf den Einsatz der Farbe rot), sowie ein nervenaufreibendes Finale, wo am Ende schon beim bloßen Zusehen die Hände schmerzen. Und an einigen humorigen Momenten (wie der Einbruch mit Gigi (Ugo Fangareggi) oder die rasante Autofahrt mit Anna) darf man sich zusätzlich erfreuen.

Wie schon geschrieben: Il gatto a nove code ist ein sehr schöner wenn auch etwas konventioneller Genrebeitrag, der das Pech hat, angesichts diverser überragender Arbeiten des Italieners ein Schattendasein fristen zu müssen. Das hat er gewiß nicht verdient. Mit dem gleich im Anschluß entstandenen 4 mosche di velluto grigio (Vier Fliegen auf grauem Samt) komplettierte Dario Argento die sogenannte "Animal Trilogy", drei Gialli, in deren Original- bzw. internationalen Titeln jeweils verschiedene Tierarten vorkommen.

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