Nach zahlreichen Morden an jungen Frauen steht der sexuell gestörte Pianist Alexander Jablonsky (Herbert Fux) vor Gericht- von der Staatanwaltschaft und der Öffentlichkeit entmenschlicht, schweigsam und lethargisch. Im Laufe der Verhandlung lässt er unfreiwillig seine gesamten Taten Revue passieren- an aufreizenden Barmädchen, frühreifen Teenagern und Prostituierten- bis zu der Verhaftung durch eine Polizistin, die Undercover in einem Striptease-Club arbeitete…
Ein Text zu Beginn berichtet uns mit liebreizender hölzerner Rhetorik von der Gefahr, die Menschen mit einem übersteigerten Sexualtrieb für „unsere“ Mädchen und Frauen darstellen und darüber das in einer erotisch übersättigten Gesellschaft wie der unseren sexuelle Vergehen an Frauen vorprogrammiert wären- locken die Reize doch überall, in Schaufenstern, Magazinen und natürlich nicht zuletzt auf der Straße in knapper Kleidung. Mit dieser Einleitung ist „Geissel des Fleisches“, dem Regiedebüt des österreichischen Regisseurs Eddy Saller („Schamlos“) mit dem er in den prüden 60zigern sicherlich Pionierarbeit im deutschsprachigen Exploitationfilm geleistet hat, das erste Gelächter sicher. An eine ernsthafte Konfrontation mit dem seelischen Innenleben eines Sexualmörders bereits hier kein Gedanke mehr.
„Geissel des Fleisches“ verströmt über seine gesamte Laufzeit zwar nie etwas lächerliches oder gar billiges, lässt aber keines der für einen zündenden Trashfilm erforderlichen Fettnäpfchen aus. Bereits die Verhörung der ersten Zeugin- eine wohlbeleibte Wirtin die in ihrem fragwürdigen Club eine Unterwäschen-Modenschau veranstaltete auf der Jablonsky in die Tasten griff- lässt dem geneigten Zuschauer die Augen übergehen. Die dralle Dame erklärt süffisant dem Gericht, das die weiblichen Rundungen doch zweifelsohne primär zum Anheizen der Männer gedacht wären- und das schließlich nichts falsches dabei wäre. Unterbrochen von einer Rückblende in der besagte Modenschau zu einer offenherzigen Schau von Hinterteilen und Busen verkommt die den benebelten Jablonsky zu seinem nächsten Mord „anstiften“. Generell spielen sich zahlreiche Rückblenden- bereits in der ersten lugt Sallers Kamera in den Duschraum einiger knackiger, vergnügt tuschelnder Ballettmädchen- an entsprechenden Locations ab (verrauchte Kaschemmen, bevölkert von geifernden Herren in gehobenem Alter) so das die Option auf üppige Erotik stets greifbar ist- und von der Regie selbstverständlich schamlos, aber mit aufrichtiger Gesinnung ausgekostet wird.
Mit der Figur des Jablonsky- für alle Fans des seligen Kultgottes Herbert Fux (der größten Nase Österreichs) der leider vor kurzem von uns gegangen ist, dürfte „Geissel des Fleisches“ eine Offenbarung darstellen- treibt die Regie beständig ein doppeltes Spiel. Zum einen wird stellenweise die innere Zerrissenheit und die Verzweiflung über seinen krankhaften Trieb im Ansatz menschlich ergründet- etwa in einer Sequenz in der er ein Schaufenster mit leicht bekleideten Büsten verwüstet, zum anderen entgeht Saller nicht der Versuchung, Jablonsky etwas unheimliches, Furcht einflößendes abzugewinnen- vor seinen Taten kündigt sich Jablonskys Präsenz stets durch seinen dunklen Schatten an einer Wand mit passendem Klavier-Grollen an. Doch einen Vorwurf kann man dem Regisseur daraus nicht machen. Denn wie bereits erwähnt: An einer wirklich seriösen Erörterung des Themas scheint Saller nie interessiert gewesen zu sein. Dennoch schmerzt es, das der Charakter Jablonskys nur oberflächlich beleuchtet wird.
Als bezeichnend ist hier sicherlich ein komischer Höhepunkt zu nennen: Nachdem er kurz zuvor ein Mädchen und ihren deutlich älteren Liebhaber beim Sex auf einem Parkplatz beobachtet hatte liest Jablonsky die 17jährige (Anhalterin) auf. Die folgende, köstliche „Dialog“-Szene (Jablonski reagiert auf das Geplapper des Mädchens nur mit unwilligem Brummen) lässt jegliche Ernsthaftigkeit vor die Hunde gehen.
„Ach ist das heiß hier“ sprach das nichts ahnende Mädel und entledigte sich mit herausfordernder Geste seiner Jacke. „Das macht dir doch hoffentlich nichts aus, oder?“ Brummen. „Bist du immer so schweigsam? Na ja, ich werde dich schon noch zum reden bringen, mir hat noch keiner widerstanden!“.Die Präsentation dieses Moments widersetzt sich jeglicher verbaler Umschreibung, so wie der gesamte bizarr-trashige Irrwitz von „Geißel des Fleisches“ -heute vielleicht mehr als damals- gesehen und genossen werden will- von interessierten Zuschauern, versteht sich. Möglicherweise ist auch gerade der ausgesprochen „deutsche“- weil abgesehen von dem Dialekt einiger Darsteller nicht unbedingt explizit österreichische- Flair der ganzen, schmierigen Angelegenheit etwas ganz Besonderes. Es erscheint denkbar dass man sich im Ausland über „Geissel des Fleisches“ längst nicht so prächtig amüsieren würde. Der gesellschaftshistorische Hintergrund trägt besonders im Rückblick aktiv zum Gelingen des Films bei.
Der bisher vermittelte Eindruck täuscht aber: „Geissel des Fleisches“ ist tatsächlich beinahe durchgehend düster und fatalistisch, eingefangen in bleischweren Schwarzweiß-Bildern die- man verzeihe mir diese „Blasphemie“- stellenweise an die frühen Arbeiten von Michelangelo Antonioni erinnern. Besonders der immer wiederkehrende Ablauf in dem Jablonsky sich spontan ein neues Opfer aussucht, ihm mit den Augen nervös und lüstern folgt um die Frauen schließlich in einem dunklen Winkel zu erdrosseln, ist oft beunruhigend und elektrisierend in Szene gesetzt was auch der famosen musikalischen Untermalung zu danken ist, die gelegentlich ein wenig klingt wie Peter Thomas auf Italien-Urlaub. So ist auch die Qualität und das Ambiente der Produktion durchaus vergleichbar mit den deutschen Edgar Wallace-Filmen- nur das diesen naiven, moralisch meist einwandfreien Krimimärchen aus Deutschland hier eine nicht minder naive, dafür aber umso schmuddeligere und reißerischere Inszenierung gegenüber gestellt wird. Handwerklich glänzt „Geissel des Fleisches“ trotz stimmungsvoller Kameraführung nur selten auffallend. Nur die subjektive Kamera die freilich immer in den voyeuristischen Momenten eingesetzt wird, sitzt angenehm und innovativ im Augenwinkel. Drei Jahre später sollte der italienische Meisterregisseur Dario Argento unter anderem durch den virtuosen Gebrauch dieser Technik zu Weltruhm gelangen- und das ebenfalls mit einem Serienkiller-Film.
Wie auch immer- trotz des konstant hohen Unterhaltungswert als Schund-Granate im delikat-biederen Gewand (der deutschsprachige Unterhaltungsfilm der 60ziger hatte eben doch deutlich mehr hinter den gewaschenen Ohren sitzen als gemeinhin angenommen) wäre etwas mehr Kommunikation zwischen dem Protagonisten und dem Publikum wünschenswert gewesen. Obwohl Fux’ minimalistisches, schüchternes Spiel sicherlich als herausragend zu kreditieren ist und aufzeigt dass das österreichische Trivialfilm-Urgestein- der Gerechtigkeit halber sei aber auch seine Mitwirkung in Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“ erwähnt- doch zu ein wenig mehr im Stande war als zu Paraderollen wie dem sadistischen Folterknecht in dem legendären „Hexen bis aufs Blut gequält“ (1969) oder dem zwielichtigen Gauner aus „Der Gorilla von Soho“ (1968). Die menschliche Dimension der Geschichte bleibt bedauerlicherweise über weite Strecken unberührt. Es ist allerdings auch fraglich ob der Spagat zwischen exploitativem Sensations-Theater und psychologischem Drama funktioniert hätte.
Die Schlusssequenz des Films schließt den Kreis zur grotesken Einleitung und hinterlässt einen fassungslosen Zuschauer:Zwei junge, attraktive Mädchen lesen in der Zeitung von Jablonskys Selbstmord im Zuchthaus.„Du, hast du das hier über diesen Mörder schon gelesen?“„Ja, grauenhaft nicht? Das solche Bestien frei herumlaufen…!“Die Kamera schwenkt unzweideutig auf den Schoß und die gekreuzten, langen Beine der beiden Mädchen. Schnitt auf einen älteren Herrn der dies mit wollüstigem Wohlgefallen betrachtet. Schnitt zurück auf die schlenkernden Beine der beiden Mädchen. Einblendung einer Schrifttafel, auf der sich die Produktion für die freundliche Mitarbeit der Polizei bedankt. Ende.
Auch unter weitgehender Vernachlässigung der humanen Ebene- die in Anbetracht von Herbert Fux’ großartiger, nuancierter Leistung in einer seiner wenigen Hauptrollen sicherlich grandios gelungen wäre- bleibt „Geissel des Fleisches“ ein kleiner, vergnüglicher Schatz des deutschen (Verzeihung, österreichischen) Nachkriegsfilms: Eine düstere Mörderballade, charmant durchsetzt von schmierigen und ungemein bizarren Szenarien höchst spekulativer wie amüsanter Natur. Alles was das Herz des Trash-Fans begehrt und darüber hinaus auch ein wahrlich eindrucksvolles Erlebnis für all diejenigen, die sich für die obskureren Filmproduktionen unserer Breitengrade aus jener turbulenten Dekade interessieren. Mit einem Film wie „Geissel des Fleisches“ rechnet wohl selbst ein nach „Ein Toter hing im Netz“ und „Der rote Rausch“ erfahrener Zuschauer nicht. Mein aufrichtiger Dank an Eddy Saller für dieses gelungene, überraschende Präsent. Angesichts dieses Films sehnt man sich eine Reunion derart gelagerter Filme herbei- denn was uns der österreichische Film heute noch anbietet ist leider nur noch selten markant.