Review

Bei Noctem handelt es sich um einen Low-Budget-Amateurfilm, der sich selbst als „Splatter-Drama“ bezeichnet. Das weckt natürlich gleich eine gewisse Skepsis, denn „Drama“ suggeriert gleichzeitig „Anspruch“, und dieses Wort ist so ziemlich das letzte, was man mit Amateur-Splatter in Verbindung bringen würde. Nachdem ich jetzt schon diverse Jubelarien über diesen Film vernommen habe, hat mich natürlich auch die Neugier gepackt, ob er sich qualitativ wirklich von dem traurigen Einerlei des deutschen Amateurfilms abheben kann.

Der Film steigt damit ein, dass die junge Amy sich die Pulsadern aufschneidet. Schon fast verblutet wird sie von Kusey, einem ebenfalls jungen Mann, gerettet. Bald darauf erfahren wir auch den Grund für diese Verzweiflungstat: die ganze Welt (oder zumindest ganz Deutschland) ist von Zombies überrannt. Amy und Kusey schaffen es, der hungrigen Meute zu entkommen und fliehen aus der Stadt (welche Stadt es auch immer ist) heraus. Ihr Ziel: sie möchten sich einer Gruppe Überlebender anschließen, die sich irgendwo auf dem Land aufhalten. Auf ihrer Odyssee begegnen sie einem Mann, der in einem Kampf mit ein paar Zombies steckt. Amy und Kusey retten den Schwerverletzten, und im Gegenzug bringt dieser sie zu den Flüchtlingen, denen er selbst angehört. Im Flüchtlingscamp werden Amy und Kusey, zwischen denen sich natürlich eine Liebesbeziehung entwickelt, mit einigen sehr unschönen Tatsachen konfrontiert: ihr verletzter Kamerad wird sofort erschossen, weil Verletzte unerwünscht sind. Ihnen wird mitgeteilt, dass sie sich der Truppe anschließen können, aber nur unter einer Bedingung: sie müssen in der nächsten Zeit für die Nahrung sorgen (sprich: diese aus irgendwelchen verlassenen Häusern organisieren), denn dies sei die Aufnahmevoraussetzung für „neue Mitglieder“. Darauf haben Amy und Kusey allerdings überhaupt keine Lust. Trotzdem sagen sie zu, um sich bei dieser Gelegenheit wieder davonmachen zu können. Den beiden schließt sich der Bruder des Erschossenen an, der nach dem Mord an seinem Bruder ebenfalls keine große Motivation mehr verspürt, bei den anderen Überlebenden mit ihren strengen Regeln zu bleiben. Unterwegs durchstöbern sie ein Haus nach Verwertbarem und werden plötzlich von einer Horde Zombies attackiert. Da hilft nur eins: das Haus verbarrikadieren und die Nacht durchhalten...

Zugegeben: der Plot erinnert sehr stark an 28 Days Later. Ein schneller Blick auf die Produktionszeit des Films entkräftet den Verdacht eines Plagiats allerdings sofort. Über einen Zeitraum von ca. drei Jahren gedreht, hatte Noctem bereits im Oktober 2002 seine Premiere, also vor 28 Days Later. Noctem ist eben genau wie 28 Days Later stark von Romero’s Zombie-Trilogie beeinflusst, und da rühren die Gemeinsamkeiten beider Filme her.

Im allgemeinen kann ich mit Amateurfilmen (speziell auch mit deutschen) nur wenig anfangen. Das liegt weniger in den diversen technischen, dramaturgischen und darstellerischen Schwächen, die solche Filme in der Regel haben. Diese sind verzeihlich, weil es sich ja - wie der Name schon sagt - nicht um professionell gemachte Filme, sondern eben um Amateurfilme handelt. Der Hauptgrund für meine Abneigung besteht darin, dass bei den Machern solcher Filme häufig wenig bis gar kein Talent zu erkennen ist. In vielen Fällen gibt es keine richtige Story, sondern es werden nur stümperhaft Alibi-Handlungsfetzen zur Überleitung auf die nächste Splatter-Sequenz einmontiert – eine ähnliche Vorgehensweise wie bei vielen Hardcore-Pornos, wo ein paar Dialoge zwischen zwei Kopulationsszenen gesprochen werden.
Noctem unterscheidet sich von anderen Amateurproduktionen völlig talentfreier Regisseure wie Andreas Schnaas oder Andreas Bethmann schon in der Herangehensweise an das Projekt stark. Bei Noctem steht ganz eindeutig die Story des Films im Mittelgrund, und die Splatter-Szenen werden in den allermeisten Fällen handlungstauglich und nicht selbstzweckhaft eingesetzt. Insofern ist die selbstgewählte Bezeichnung „Splatter-Drama“ durchaus passend, alleine schon, um die Betonung auf die Handlung klarzumachen.

Das Überraschende an Noctem ist, dass die Umsetzung der Story sehr gelungen ist. Es ist sehr vorteilhaft, dass der Film in 2,35:1 gedreht worden ist, denn durch das breite Widescreen-Format macht Noctem optisch richtig was her und wirkt wesentlich teurer, als er in Wirklichkeit war. Die Kosten für den Film sollen sage und schreibe nur 5.000-6.000 Euro betragen haben. Im Vergleich dazu muten selbst die Frühwerke von Olaf Ittenbach wie Big-Budget-Produktionen an. Noctem sieht allerdings wesentlich aufwendiger und größer aus als Black Past und Burning Moon zusammen. Die Kameraarbeit sowie der Einsatz des stimmigen Soundtracks und der Toneffekte sind für diese Art Film außergewöhnlich gut gelungen und wirken sehr professionell. Hier sind erkennbar Leute mit einem echten Talent fürs Filmemachen an der Arbeit gewesen. Lediglich im Bereich der Beleuchtung muss man einige Abstriche machen. Viele Dinge bleiben sprichwörtlich im Dunkeln. Durch die gute technische Umsetzung erhält der Film etwas, was ich bei einer deutschen Amateurproduktion noch nie gesehen habe, nämlich eine richtige Atmosphäre und sogar Spannung. Obwohl es ein paar Gags gibt, zieht sich ein sehr düsterer Grundton durch den Film, der natürlich perfekt zur apokalyptischen Story passt. Einen so ernsthaften und ambitionierten Film mit so wenig Ressourcen zu machen, hätte gewaltig in die Hose gehen können. Regisseur Jens Wolf ist aber in der Lage, nahezu alle Peinlichkeiten sauber zu umschiffen. Wenn man es genau betrachtet, ist Noctem einer der wenigen Filme überhaupt, der es schafft, eine Romero-mäßige Stimmung zu erzeugen (wie auch der mit etwa tausendmal (!!!) so hohen Produktionskosten immer noch als Low-Budget-Film geltende 28 Days Later). Einige derbe Schnitzer des Drehbuchs, z.B. dass Amy am Anfang fast verblutet und bereits wenige Minuten später wieder hurtig durch die Gegend springt, verzeiht man da gerne.
Die beiden Hauptdarsteller tun ihr bestes, um sich mit ihren beschränkten darstellerischen Fähigkeiten diesem Niveau anzupassen. In der Hinsicht muss man natürlich Einbußen hinnehmen, trotzdem sind die wirklichen Bemühungen um eine gute Performance bei beiden sichtbar und lobenswert. Die Nebendarsteller sind allerdings leider größtenteils auf dem üblichen Amateur-Laien-Niveau.

Dass diese Kritik jetzt schon so lang geworden ist, ohne dass ich auf den Splatter-Gehalt und die Make-Up-Effekte groß eingegangen bin, sagt schon einiges über die Ausnahmestellung von Noctem im Amateurbereich aus. Bei anderen Filmen dieser Art hätte ich vielleicht 10 Zeilen geschrieben, bis ich zum Blut komme, weil es mehr nicht zu berichten gibt. Das Zombie-Make-Up in Noctem erreicht natürlich bei weitem nicht die Klasse von Filmen wie Day of the Dead, Woodoo oder The Beyond, aber man hat schon wesentlich Schlechteres gesehen. Die Splatter-Szenen selber sind - wie zu erwarten ist - recht blutig, aber nicht besonders groß an der Anzahl. Die Umsetzung ist in Anbetracht des Null-Budgets sehr gut, natürlich darf man da kein Savini-Niveau erwarten.

Fazit: Noctem ist schlicht und einfach der beste deutsche Amateur-Splatterfilm, den ich bisher gesehen habe. Das Budget dafür war „El-Marichi-verdächtig“ niedrig, und was Regisseur Jens Wolf & Co. daraus gezaubert haben, verdient den allergrößten Respekt. Sowohl storymäßig als auch von der technischen Umsetzung her liegt Noctem weit über dem, was man normalerweise im deutschen Amateur-Feld zu sehen bekommt. Von den Hauptdarstellern, die eben Laien sind und bleiben, obwohl sie ihre Sache dafür ordentlich gemacht haben, werden wir wahrscheinlich nicht mehr viel hören – ganz im Gegensatz zu Jens Wolf. Dieser Mann scheint für größere Weihen als nur Amateurfilme bestimmt zu sein. Ich bin sehr gespannt auf seine nächsten Projekte (sein nächster Film heißt Killertal). Von der Wertung her messe ich Noctem trotzdem knallhart an professionellen Filmen, einen Amateur-Bonus gibt es bei mir da nicht (na gut, einen kleinen schon). Und da sind, trotz aller Schwächen, die der Film natürlich hat, immer noch 7/10 drin.

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