Review

KING OF SNAKE

(SHE WANG)

Huanxiang Chen, China 2020

Vorsicht – dieses Review enthält SPOILER!


Und noch eine Rarität aus China ... Wie der gerade von mir betrachtete Big Octopus ist auch King of Snake ein außerordentlich obskurer Streifen (man beachte die Zahl seiner IMDb-Bewertungen), der es wohl vornehmlich dem Zufall verdankt, dass er fern seiner Heimat, konkret im deutschsprachigen Raum, den Weg in ein nächtliches TV-Programm gefunden hat. Und wie im Fall von Big Octopus sollte es sich zumindest mit Blick auf seinen Titel auch bei ihm um Creature-Horror der preiswerten Sorte handeln – von Trash soll vorerst noch nicht geredet werden. (Eine Verwechslungsgefahr mit den beiden taiwanesischen Filmen Da She Wang aka King of Snakes von 1987 und She Lang Chun aka The King of Snake von 1959 sollte übrigens nicht bestehen, denn die sind noch viel obskurer ...)

China, irgendwann, irgendwo.

Okay, ich versuch’s etwas genauer: In einem Gespräch wird der Zusammenbruch der Mandschu-Dynastie als aktuelles Ereignis erwähnt – man dürfte also ziemlich genau das Jahr 1911 schreiben.

Und es herrscht Nacht.

Und wir befinden uns in einem ziemlich voll besetzten Zug, der durch eine abgelegene bergige Region des Landes fährt – in der dritten Klasse, wie einer der Reisenden misslaunig kundtut. Das ist Ma Shaoyang, ein Hauptmann der Armee, der eigentlich in der ersten Klasse reisen sollte, aber seine angehende Frau, die junge Ärztin Jing Lan, möchte lieber unter den einfachen Leuten sitzen. Da er es sich nicht schon vor der Ehe mit seiner Zukünftigen (die übrigens dank ihrer Kleidung wie Madame Tutli-Putli aus dem gleichnamigen Animationsfilm aussieht) verderben möchte, tut ihr Ma Shaoyang den Gefallen. Der Ärger, der jetzt ins Haus steht, betrifft allerdings ohnehin alle Klassen ...

Zunächst taucht eine giftige Schlange zwischen den Reisenden auf, die jedoch vom gerade durch den Gang laufenden Schlangenfänger Mu Sheng unschädlich gemacht werden kann. Dann aber stoppt der Zug und es kommt zu einem regelrechten Massenangriff von Giftschlagen – Hunderte von ihnen dringen in die Waggons ein. Zu allem Überfluss kreuzt auch noch ein riesiger, mehr als zwanzig Meter langer zweiköpfiger Python auf, der sich fleißig ans Fahrgästeverschlingen macht.

Nachdem sie das Untier mit Feuer aufhalten konnten, gelingt Jing Lan, Mu Sheng und Ma Shaoyang jedoch zusammen mit einigen anderen Mitfahrern die Flucht, und man eilt in Mu Shengs und Jing Lans Heimatdorf (die beiden kennen sich also), um erst einmal zur Ruhe zu kommen und diejenigen zu versorgen, die gebissen wurden. Im Dorf gab es allerdings ebenfalls einen verheerenden Schlangenangriff, der viele Menschenleben gefordert hat. Da einige der Überlebenden Mu Sheng in seiner Funktion als Schlangenfänger die Schuld dafür geben, dass die Kriechtiere so mies gelaunt sind, ist er nicht gern gesehen – seine Hilfe braucht man aber dennoch, weshalb es momentan nicht zum Eklat kommt. Mu Sheng erklärt zu seiner Verteidigung, dass der forcierte Straßenbau und die Abholzung der Wälder den Lebensraum der Tiere zerstören und sie deshalb zum Vergeltungsschlag ausgeholt haben. So oder so – es muss umgehend ein Mittel gegen das Schlangengift gefunden werden.

Mu Sheng stellt fest, dass der Angriff durch Goldpanzer- und Blumenschlangen erfolgte und kennt auch einen Ort, an dem das Gegenmittel in Form einzigartiger Blumen zu finden ist. Allerdings sei der Weg dorthin, so gibt er zu bedenken, sehr gefährlich. Er will die Reise jedoch wagen, und es finden sich auch noch einige tapfere Mitstreiter – natürlich Jing Lan und Ma Shaoyang, und daneben noch die coole Bogenschützin Ah Zi, ein Mann, dessen schwangere Frau gebissen wurde, ein Student, ein undurchsichtiger Mann, der sich nicht von seinem Koffer trennen kann, sowie drei Soldaten aus Ma Shaoyangs Einheit.

Wie befürchtet entwickelt sich der anstehende Weg durch die Wälder zum kreuzgefährlichen Abenteuer: Zunächst wird die Gruppe während einer nötigen kurzen Floßfahrt von einer riesigen Anakonda (!) attackiert, Giftschlangen gibt es sowieso überall und später geraten Mu Sheng und seine Begleiter auch noch mit knapp zehntausend Schwarzen Witwen aneinander. Mit Mühe und nicht völlig ohne Blessuren erreicht man aber das „Kloster des Schlangenkönigs“ – einst ein heiliger Ort, an dem Opferzeremonien vollzogen wurden, nun aber ein verlassenes Gebäude. Man nutzt die Gelegenheit zum Verschnaufen und zur medizinischen Versorgung. Jing Lan wurde beispielsweise von einer Schwarzen Witwe gebissen und nimmt nun ein Bad in Heilkräuterwasser. Kaum aber sitzt sie allein und entkleidet in ihrer Wanne, wird sie gekidnappt!

Als die anderen dies bemerken, machen sie sich sofort auf die Suche nach ihrer Begleiterin, und tatsächlich stoßen sie in einer Höhle auf einen dort wohnenden hässlichen und fiesen Gnom, der Jing Lan (inzwischen aber wieder ordentlich bekleidet) in einer Art Fass eingesperrt hat. Der Zwerg hat Glück, dass man ihn nicht augenblicklich niedermacht, stellt sich als „Schlange Sorgenvoll“ vor, teilt mit, dass er als Einziger den Weg zu den gesuchten Gegengiftblumen kennt und bietet sich auch gleich als Führer an. Damit ist er aus dem Schneider und unsere Helden folgen ihm in ein ausgedehntes Höhlensystem, wo es schon nach kurzer Zeit zu Streitigkeiten mit den ansässigen Fledermäusen kommt, in deren Folge die Gruppe ihre ersten Mitglieder verliert. Später muss natürlich unter Nutzung einer maroden Hängebrücke auch noch ein Abgrund überquert werden, der Python meldet sich zurück und fordert weitere Opfer und zu allem Übel stellt sich heraus, dass der fiese Sorgenvoll-Gnom bei der ganzen Aktion nur seine eigenen Interessen verfolgt hat (war jemals etwas anderes zu erwarten?) – weshalb sich Mu Sheng und seine letzten Getreuen im Finale sowohl mit ihm als auch dem Monsterpython herumplagen müssen ...

Wie’s ausgeht, ahnen wir – obwohl dieser Streifen nicht allzu rücksichtsvoll mit seinen Sympathieträgern umgeht. Zunächst beginnt King of Snake aber ganz stark: Der Schlangenangriff im Zug ist sowohl inszenatorisch als auch technisch erster Güte, und man darf nach rund fünfzehn Minuten (erst jetzt wird auch der Titel eingeblendet) erstaunt feststellen, dass man es hier nicht mit Trash zu tun hat. In der Folge glätten sich die Wogen etwas und das Geschehen beginnt in geordneten Genrebahnen zu laufen, wobei es sich langsam vom reinen Creature-Horror ein Stück weit in Richtung Abenteuer verschiebt. Bald aber meldet sich das erste größere Problem des Streifens, und es ist ein ostasiatisches: Humor. Oder besser: Mieser Humor. Und eben Humor, der sich heftig mit dem sehr ernst angelegten Plot beißt – es gibt da mehrere wirklich extreme Ausrutscher.

Aber es kommt noch schlimmer. In der Schlussphase fahren Huanxiang Chen und sein Co-Autor Qinghui Dai die ganz große Tragödie auf und lassen wie angedeutet einige angenehme Figuren mit ganz viel Pathos, großen Worten und verzweifelt jaulenden Streicherklängen dahinscheiden – zum Teil auch noch in aufreizender Ausführlichkeit. Hier reicht’s dann wirklich: Es macht keinen Spaß mehr, diesen tonal völlig zerrissenen Streifen anzusehen, der letzten Endes sogar derartig eingehend mit dem Gejammer seiner Figuren beschäftigt ist, dass das eigentliche Finale völlig uninspiriert ausfällt (kurzer Spoiler – der Gnom wird mal eben schnell vom Python verschluckt und der Python beißt sich irgendwie selbst halb tot, um danach mit einem einzigen Schwerthieb erledigt zu werden). Schade eigentlich – Huanxiang Chens Arbeit sah für längere Zeit wirklich verheißungsvoll aus (auch wenn sie uns etwas von Anakondas in chinesischen Flüssen erzählen wollte ...).

Visuell ist King of Snake allerdings zu keiner Zeit verheißungsvoll. Der Streifen kommt zwar im schönen Breitwandformat daher, aber seine Bilder sehen von Anfang an trostlos und in der Schlussphase sogar des Öfteren echt grottig aus. Die Aufnahmen in der einleitenden Zug-Passage sind dunkel und wirken allesamt leicht gelb überfiltert, und auch später wird die Optik über weite Strecken vom Lichtmangel bestimmt, weshalb die zahlreichen in Höhlen, im Tempel oder in den Behausungen der Dörfler entstandenen Bilder ein einziges bräunlich-graues Einerlei und schlimmstenfalls auch noch unscharf sind. Und wenn es einmal hinaus ins Freie geht, dann mutet auch der Wald herbstlich trist an – selbst wenn die Bäume grün sind. Es hat hier keine Chance, dieses Grün.

Tricktechnisch hält sich King of Snake derweil recht wacker. Vor allem die kleinen, also normalen Schlangen sind in der Regel hervorragend getrickst. Das mag heutzutage ganz gewiss nicht mehr das allergrößte Kunststück sein, verdient aber dennoch Anerkennung. Der große Python macht zumindest in manchen Szenen ebenfalls noch eine gute Figur, obgleich man bei ihm schon recht deutlich die Rechnerherkunft erkennt und er nicht wirklich artgerecht aussieht. Tadellos ist zudem der Fledermaus-Schwarm geraten, sodass nur noch die Spinnen zu betrachten sind – und bei denen sieht es dann doch ziemlich mies aus. Einzeln sind sie sauber animiert, aber wenn sie zu Tausenden über den Boden krabbeln, dann sind es nur noch schwarze CGI-Kleckse.

Die Darsteller reißen leider auch keine Bäume aus. In der Rolle des Helden Mu Sheng sehen wir Xinzhe Chen (als Xinzer Tan creditiert), und der ist sehr, sehr blass. Zu großen Teilen ist das allerdings auch seiner unglücklich angelegten Figur zu verdanken: Mu Sheng rennt ständig mit einem seltsamen Fellhut herum und wirkt in seinem ganzen Handeln und der Kommunikation mit den anderen so unsicher und zurückhaltend, dass man glauben mag, er ist geistig nicht ganz auf der Höhe. Jing Lan wird von Kang Ning verkörpert, die mir bisweilen wie eine junge und sehr dünne Ausgabe von Vicky Zhao vorkam – nur ohne deren Ausstrahlung. An wen sie mich (über Madame Tutli-Putli hinaus ...) noch erinnert hat, kann ich nicht sagen, aber irgendwen muss es da noch geben. Egal. Dass ich mich eines Tages auch an sie erinnern werde, wage ich indes zu bezweifeln – ihr Auftritt ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich memorabel. Als Hauptmann Ma Shaoyang ist Shuai Shao zu sehen, ein sehr sympathischer Mensch, der eigentlich zu schade für seine hiesige Rolle ist, in der er sich gelegentlich arg zum Affen machen muss. Unter den Nebendarstellern fällt schließlich vor allem die wunderbare Jiayi Guo als Bäuerin und coole Bogenschützin Ah Zi auf. Sie sieht deutlich älter aus, als sie eigentlich ist (und hat mich wiederum ein wenig an Michelle Yeoh erinnert), was aber nichts daran ändert, dass sie von allen Darstellern die eindrücklichste Vorstellung abliefert und hier durchaus als heimlicher Star gefeiert werden kann. Der Score ist zu guter Letzt vielseitig und umfasst neben generischer Orchestermusik ein paar leicht schräge Passagen, die ihm gut zu Gesicht stehen, zum Ausbruch aus dem Mittelmaß aber nicht ganz ausreichen.

Zeit fürs Fazit: King of Snake ist ein tadellos inszeniertes, geradliniges, fesselndes, kurzweiliges und in seinen Actionszenen beeindruckend intensives Creature-Horror-Abenteuer im Retro-Gewand, das nach einem furiosen Auftakt Orientierungsschwierigkeiten bekommt und scheinbar nicht mehr weiß, was es eigentlich sein will – am Ende stehen wir vor einem (zumindest für westliches Empfinden) ziemlich unbekömmlichen, in dunklem Braungrau gehaltenen Gebräu aus solider Genreunterhaltung, verstörend albernem Humor und überzogener, vor übelstem Pathos und Aufopferungskitsch triefender Dramatik. So war das freilich nicht gedacht ... zumindest nicht von mir: Obwohl mein Abend mit diesem Film in seiner Gesamtheit definitiv okay war, hätte er mir, wenn’s für wirklich anspruchsvolles Kino nun einmal vorn und hinten nicht reicht, gern etwas unbeschwerter, sprich als nettes kleines Trash-Vergnügen begegnen dürfen.

(11/23)

5 von 10 Punkten.





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