“Scheiß drauf!“ - “Stellen wir die Verdienste des Journalismus infrage?“
Neben Blood Work (2002), welcher ungefähr zur selben Zeit entstand, eine der kleineren, der Genrearbeiten von Regisseur und hier wie dort auch Darsteller und Produzent Clint Eastwood, der in der entsprechenden Zeit sich etwas zurückzunehmen schien, die Genres um Crime und Thriller mit 'moderaten' Budget (um immerhin 50 bis 55 Mio. USD) und ebensolcher (an den Kinokassen geringer) Aufmerksamkeit beackernd, es ruhiger angehen und eine Art besseren Durchschnitt, nur hervorgehoben aus ähnlicher Masse aufgrund eben seiner Anwesenheit, der Routine, des Anvertrauten und Altvertrauten angehen liess. Auch im Nachhinein werden beide Werke relativ übersehen, keine Experimente, keine Großprojekte und für Abschiedsfilme bekanntermassen auch noch zu früh, beide Arbeiten haben neben Eastwood auch dieselben Mitstreiter hinter der Kamera, und stellen eine Romanadaption dar, hier eine von Andrew Klavan, der u.a. für Mord mit System (1990) verantwortlich war, Vergleiche lohnen sich:
Oakland. Der trockene Alkoholiker und Journalist Steve Everett [ Clint Eastwood ] wird von seinem Vorgesetzten Alan Mann [ James Woods ] nach dem plötzlichen Unfalltod der Kollegin Michelle Ziegler [ Mary McCormack ] beauftragt, über die bevorstehende Hinrichtung des verurteilten Mörders Frank Louis Beechum [ Isaiah Washington ] zu berichten, entgegen der Ansicht des Chefeditors Bob Findley [ Denis Leary ]. Everett untersucht die Hintergründe des Falles und kommt zu dem Verdacht, dass Beechum zu Unrecht des Mordes für schuldig befunden wurde.
Warner Brothers als Stammstudio natürlich in der Präsentation, dort eröffnend mit einem grausigen nächtlichen Tatort mitten in der Stadt, hier mit dem San Quentin Gefängnis, einen Zufliegen von Wasserseite aus auf die Haftanstalt, aus hoher Höhe, bald nah dran und gar drin, ein Krimi im Gedeihen, ein Justizirrtum, ein Leben auf dem Spiel, Verlieren oder Gewinnen. Medizinische Untersuchungen, hier unter Aufsicht, angeordnet bis befohlen, eine staatliche Pflicht, keine Sorgsamkeit, einfach eine Routine, ein Tag wie jeder andere, ein Häftling wie jeder andere, oder doch nicht.
“Am Unabhängigkeitstag erwachte Frank Beachum aus einem Traum. Seinem letzten Traum, bevor seine Stunde gekommen war. Einem grausamen Traum in einem eigenartig tiefen Schlaf, wenn man die Umstände bedenkt. Er war wieder hinter dem Haus gewesen, vor seiner Fahrt zu dem Laden, vor dem Picknick, bevor die Polizei gekommen war, um ihn abzuholen. Er hatte wieder das Geräusch des Rasenmähers gehört, hatte den Griff in den Handflächen gespürt und sogar das frisch gemähte Gras gerochen. Er hatte auch ihre Stimme gehört, Bonnies Stimme, die ihm von der Verandatür etwas zugerufen hatte. Er hatte ihr Gesicht gesehen, ihr Gesicht, wie es gewesen war, keck und kompakt unter kurzem hellbraunem Haar – nicht hübsch, hübsch war sie nie gewesen –, aber durch ihre großen, zärtlichen und aufmunternden blauen Augen von einem schimmernden Glanz überzogen. Er sah sie die Flasche hochhalten, die Flasche mit der Steaksauce. Sie hatte sie hin und her geschwenkt, um anzuzeigen, daß sie leer war. Er hatte in dem Hof in der heißen Sonne gestanden, und seine kleine Gail war wieder ein Baby gewesen. Hatte wieder in ihrer Sandkiste gesessen, die aus Plastik war und die Form einer Schildkröte hatte, hatte mit ihrem Schaufelchen auf den Sand gepatscht und vor sich hingelacht, die ganze Welt angelacht. Für Frank war es, als ob er wirklich dort gewesen wäre. Es hatte sich gar nicht wie ein Traum angefühlt. Nach dem Aufwachen blieb er noch etliche Minuten so liegen, zur Wand gedreht, die Augen geschlossen. Sein Kopf wollte den Traum festhalten, klammerte sich mit schrecklicher Sehnsucht daran. Doch der Traum löste sich gnadenlos auf, und Stück für Stück kam die Beobachtungszelle zurück. Er spürte die Pritsche unter seiner Schulter, sah die weiße Betonwand vor seinem Gesicht. Noch immer halb hoffend drehte er sich um ... Doch da waren sie: die Gitterstäbe seiner Käfigtür, der Wärter auf der anderen Seite.“
Die Sitzplätze werden gewechselt, der Schauplatz, mal innen, mal außen, mal drinnen, mal draußen, die Sichtweisen behandelt, Routiniers, die alles schon gesehen und erlebt haben, dazu Neulinge, die noch brennen für ihre Sache, für ihren Beruf und ihre Berufung, die was bewirken wollen, nur wer selber lodert kann das Feuer auch in anderen entzünden. “Michelle, du bist 23, du kennst nichts, was von Bedeutung ist.“, nicht ganz falsche Worte, nicht ganz wahre Worte, nicht ganz faire Worte, es wird gegrübelt und sinniert, die Flucht im Alkohol gesucht, die Aufbereitung im Gespräch. Trübsal für den Abend geblasen, der Fusel als Trostpflaster, dass nur so lange wirkt, wie der Rausch und der Spiegel anhält, die Grenze kann man überschreiten, man kann sie unterschreiten, es kommt auf die richtige Dosis an, das zu erkennen ist im vorne herein schwierig. Die Hauptfigur erkennt einige Dinge, die wichtig sind für früher und für später, sie erkennt ihre Bestimmung noch, trotz des hohen Alters, indem sich andere längst zurückziehen oder es zumindest ruhiger angehen lassen und Dienst nach Vorschrift machen, es wird ihm etwas interessant und wichtig. Durch die Kolumne und den Ärger einer jüngeren Kollegin wird er erst richtig auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht, durch ihre negativen Gefühle über die Sache, es wird geflirtet erst, er ist verheiratet, er probiert es trotzdem aus, eine Absage, ein Autounfall in dunkler, regnerischer Nacht.
Um Träume geht es hier, um Albträume, um Nachrichten und Protokolle, es wird alles aufgeschrieben hier, viel notiert, es geht hoch her, sowohl in der Redaktionszentrale als auch im Gefängnis, es steht bei beiden etwas Besonderes vor, eine Zufälligkeit, eine Anfälligkeit, eine Zusammenfassung, eine Zusammenarbeit. Um Presse und Seriosität geht es hier, auch, um Berichterstattung, um Fakten, nicht um Meinungsbildung oder eigene Meinungen, um schlichte Worte statt Hexenjagden, heute mehr Thema denn je, damals im Film und im Leben eine Begleitung, eine Begleiterscheinung. Es geht um “leisen Sarkasmus“, um Boulevardzeitungen, um Verkäufe und Schlagzeilen, es geht noch nicht um Aufklärungsarbeit und Ermittlungen, das kommt später und früh genug.
»Und du glaubst, Everett ist ein Arschloch«, sagte Alan. »Ich glaube nicht, daß er ein Arschloch ist ...« »Du irrst. Er ist ein Arschloch. Glaub mir. Ich kenne ihn. Eine Menge Leute, die gut in ihrem Job sind, sind Arschlöcher, Bob.« Bob hob seine Hand zu jener besänftigenden Geste. »Das weiß ich, Alan.« »Wenn ich diese Zeitung ohne Arschlöcher machen müßte, könnte ich sie als Rundbrief verschicken.« Bob lächelte beschwichtigend. Doch er gab noch nicht auf. »Es ist nur, daß Everetts Stärke meiner Meinung nach eher die Fakten-orientierten Geschichten sind. Ich habe nichts dagegen, daß er über die Hinrichtung berichtet. Aber das Interview sollte im Grunde mehr eine Human-Interest-Kiste werden. Michelle wollte noch ein paar emotionale Aspekte bringen, zur Abrundung ihrer Story.« »Ihre Story?« sagte Alan laut. »Depeschen der flammenden Michelle?« Er stellte seinen Styroporbecher auf den Tisch. Er kam jetzt richtig in Fahrt. »Nun hör mir mal gut zu. Ich finde es beschissen, daß Michelle sterben wird. Ein Mädchen von Anfang Zwanzig! Wenn ich den Lauf der Welt bestimmen würde, wäre das nie geschehen, das kannst du mir glauben. Trotzdem kennst du Michelles Kommentare genausogut wie ich. Sie würde einen guten Aufhänger selbst dann nicht erkennen, wenn er ihr in ihren süßen College-Girl-Hintern beißt. Everett schon.« »Einen nachrichtlichen Aufhänger schon, aber dies ist mehr eine Hintergrundstory.« Alan richtete sich mit weit aufgerissenen Augen auf. »Eine Hintergrundstory? Wow! Donnerschlag! Eine Hintergrundstory.« »Komm schon, Alan ...« »Was ist das Hintergrundthema?« »Die Todesstrafe. Ich meine, der Staat bringt heute abend einen Menschen um, Alan.«
Eastwood vertraut dabei auch anderen Darstellern, lässt ihnen den Vorrang, die eigenen starken Szenen, teilweise passend besetzt, teilweise ungewöhnlich ausgewählt, aber passend gespielt, er holt die Stärken und die Präsenz aus seiner Besetzung heraus, das Beste im Besten, trotz ihm im Mittelpunkt werden die anderen nicht ignoriert oder vergessen. Eine spezielle Förderung, eine Forderung, eine Erfüllung und eine Beförderung. Der Mann im Film ist kein Heiliger, im Gegenteil, er lässt nichts anbrennen, er scheint das Risiko zu suchen, er ist moralisch nicht unbedingt integer, dennoch ist oder könnte er es hier sein, die einzige Möglichkeit, die einzige Rettung. Das Leben selber wird hier eingangs auf die leichte Schulter genommen, die Stadt ist klein, es ist nicht New York (mehr), es ist Oakland, es wird gelogen und betrogen, es werden keine Versprechungen gemacht und folgerichtig auch keine eingehalten, eine simple Charakterisierung. Der Job ein Zufall, ein Ersatz nur, es wird darüber diskutiert, ob er geeignet ist, woanders wird über das letzte Mahl und die Beerdigung diskutiert. Es wird ins Detail gegangen und Hoffnungen gemacht, ein Zwiespalt für den Todeskandidaten, gute Nachrichten, schlechte Nachrichten, es trocken dargelegt, für den Direktor altbekannte Sätze, nicht für den Mann mit dem Tod vor Augen; eine kleine Erinnerung an Im Sumpf des Verbrechens (1995), das gleiche Studio, eine andere Gangart, die Hälfte des Budgets; dafür behutsamer und sorgfältiger an das Thema, nicht als reiner Thriller bis Reißerisch gestrickt.
Ruhig lässt der Film das angehen, die Substanz ist entscheidend, es geht um Klarheit und Sedativ, um beruhigende Aufnahmen, um Ausnahmen mit Wirkung, um Kleinkariertes, um persönliche Dramen, um Medienrummel, um plötzliche, schlagartige Rückblenden, um die “menschlich interessante Seite“; Leary spielt eine Art Konkurrenz, ein Kontrahent, er mag den Schreiberling nicht. Recherchen werden betrieben, der Computer angeworfen, die Leitungen glühen, die Familie wartet auch, daheim, in Gedanken ist man abwesend. Doppelte Belastung, er hat Schuldgefühle, gut versteckt unter der Oberfläche, tief innen drinnen, die Zeugenaussagen nachgelesen, Fehler entdeckt, Fehler gemacht, Fehler versteckt. Angebote werden gemacht, Offerten, Ansprachen und Ansprüche, viel Kritik, berechtigterweise oder ohne Recht, die Frist läuft, sie ist äußerst eng. Über die Todesstrafe wird diskutiert und debattiert der Reporter hat noch andere Dinge zu tun, andere Sachen, er interessiert sich erst jetzt für den Fall, ein wenig spät, “er hat so eine Ahnung“, ein Problem entdeckt, mehrere sogar, zum ungünstigsten Zeitpunkt, auch niemand auf seiner Seite, beruflich nicht und privat auch nicht, ein “Tempozoo“ veranstaltet, am Ende eine Autoverfolgungsjagd, durch die Witwenkreuzung, die berüchtigte Todeskurve.
Beide Männer im Mittelpunkt des Interesses haben eine Familie, die Lage verzweifelt, beide haben eine Tochter, beide haben gleiche und andere Sorgen, es herrscht viel Bürokratie, man muss mit dem Schlimmsten rechnen, der Sträfling noch am ruhigsten von allen, von Seiten mit Wachen positioniert und flankiert. Zweifel werden gestreut, Feindseligkeiten ausgetauscht, auch ein alter Fall nochmal in Betracht gezogen, eine Fehlermeldung, eine Fehlentscheidung, personelle Kommunikation, mal nonverbal, oft nonverbal, viel scharfzüngiger Dialog, eine “Schmuddel-Talkshow“ geboten, der 'Groschen fällt hier oft und spät'. Ab und in der Hälfte der Laufzeit liegen die Karten auf den Tisch. Statt einer Reportage ein Kampf für die Gerechtigkeit, ab und zu ein Blick auf die Uhr, die Strategie raffiniert, der Zuschauer fast als einziges mit involviert, der Rest der Personen macht seinen Job, ein Tag wie jeder andere, nur für zwei Menschen nicht, wobei einer nicht ganz sicher weiß, ob er das Leben von Sich oder dem Anderen rettet; er wird als empathielos oder wenigstens wenig emotional bezeichnet, vielleicht seine einzige Stärke, neben der 'Nase', den 'Riecher' für gute Geschichten. Religiosität (und Rassentrennung) spielt auch eine wichtige Voraussetzung und Rolle im Film, ein Glauben an eine bessere Welt, mit herrschender Gerechtigkeit, jeder hat eine andere Agenda hier, auch mit Emotionen wird gespielt.