Wenn das Chaos den Schnellzug nimmt
David Leitch, einst selbst Stuntman, heute Action-Regie-Gourmet, serviert hier einen rasanten, überdrehten, herrlich absurden und gleichzeitig erstaunlich stimmigen Action-Cocktail. Basierend auf dem japanischen Roman „Maria Beetle“ von Kōtarō Isaka, entführt uns der Film in einen Hochgeschwindigkeitszug, der von Tokio nach Kyoto rast – und auf dem so ziemlich alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Und das ist großartig so. Zwischen Sushi-Wagen und Sitzreihe, unter Neonlicht und Nervenflattern, entfaltet sich ein absurd choreografiertes Tohuwabohu aus Kugeln, Karma und Kalauer.
Schon in den ersten Minuten merkt man: Hier geht’s nicht um Realismus. Hier geht’s um Spaß, Stil und Schweißperlen auf der Stirn. Im Mittelpunkt steht Brad Pitt als „Ladybug“ - ein sympathisch verpeilter Auftragskiller, der sich nach einer kleinen Sinnkrise wieder ins Geschäft wagt, und der versucht, sein Pech als spirituelle Prüfung zu begreifen. Sein Auftrag klingt simpel: Einen Koffer schnappen, aussteigen, fertig. Doch wie das so ist, wenn man denkt, man hat die einfachste Mission aller Zeiten – plötzlich sitzen im selben Zug eine ganze Parade an Profikillern, Psychopathen und philosophischen Zynikern, die alle irgendwie mit eben diesem Koffer zu tun haben.
Die Ausgangslage klingt nach einer klassischen Tarantino-Premisse: viele Figuren, viele Rückblenden, viel Blut – aber Leitchs Zugriff ist weniger zynisch, mehr verspielt. Er nimmt die Struktur eines klassischen Ensemble-Thrillers und beschleunigt sie auf 300 km/h. Jede Station bringt neue Überraschungen, jede Figur einen neuen Tonfall, jedes Duell eine andere Art von Humor. Das Drehbuch von Zak Olkewicz jongliert mühelos mit Zeitebenen, Charakteren und Absurditäten. Rückblenden erzählen tragische Hintergründe, nur um sie im nächsten Moment mit einem trockenen Witz zu brechen. Das Ergebnis ist eine verschachtelte, aber erstaunlich elegante Erzählweise, die nie den Überblick verliert – auch wenn sie den Zuschauer gelegentlich absichtlich verlieren lässt. Zwischen philosophischen Sprüchen über Glück, Karma und Schicksal werden Schädel eingeschlagen, Schusswechsel zelebriert und Kofferträger zu Killern – mit einer Leichtigkeit, die nur jemand inszenieren kann, der weiß, dass das alles ein einziger großer Spaß ist.
Wenn man weiß, dass David Leitch früher Brad Pitts Stunt-Double war und an Filmen wie John Wick oder Atomic Blonde gearbeitet hat, versteht man sofort, warum „Bullet Train“ so unfassbar gut choreografiert ist. Die Schlägereien sind rhythmisch komponiert, die Schnitte präzise gesetzt. Hier wird Gewalt nicht verklärt, sondern stilisiert – als kinetische Kunstform, bei der Timing und Körperbeherrschung wichtiger sind als Realismus. Und natürlich wieder einmal: alles handgemacht, alles physisch spürbar. Einzig die CGI-Effekte (man denke an die Außenaufnahmen des Zuges oder den etwas überdrehten dritten Akt) wirken hin und wieder etwas Playstation-esk. Da fehlt der letzte Schliff. Aber seien wir ehrlich – wenn der Rest so gut funktioniert, darf die Textur einer Explosion ruhig mal etwas nach Greenscreen riechen.
Brad Pitt ist dabei der ruhende Pol inmitten des Wahnsinns. Mit einer Mischung aus Zen-Weisheiten, stoischer Verpeiltheit und überragendem Charisma trägt er den Film auf seinen Schultern – oder besser gesagt: in seinen abgewetzten Sneakern. Seine Figur „Ladybug“ ist eine ironische Variation des abgeklärten Killers – mehr Pechvogel als Profikiller, mehr Philosoph als Fighter. Doch die heimlichen Stars heißen Aaron Taylor-Johnson und Brian Tyree Henry als Killer-Brüder Tangerine und Lemon. Dieses Duo ist pure Magie. Ihre Chemie ist so greifbar, dass man ihnen problemlos einen eigenen Spin-off-Film gönnen würde. Taylor-Johnson bringt die nötige Härte, Henry die charmante Verspieltheit – und zusammen liefern sie das wohl charismatischste Killer-Pärchen der letzten Jahre.
Fazit
In einer Zeit, in der viele Actionfilme in Zynismus, CGI und Selbsternst versinken, wirkt „Bullet Train“ fast befreiend altmodisch. Leitch glaubt an die Lust des Spektakels, an den Körper, an das Timing. Natürlich ist das alles übertrieben. Aber es ist dieses „zu viel“, das Bullet Train so unwiderstehlich macht. Jeder Schnitt, jede Pointe, jeder Punch scheint zu sagen: „Ja, ich weiß, das ist albern. Aber sieh doch, wie viel Spaß wir haben.“ Und genau darin liegt die Kunst: aus Klamauk Eleganz zu machen, aus Übertreibung Stil, aus Chaos Struktur. David Leitch gelingt der Spagat zwischen Action und Absurdität, zwischen Gewalt und Charme, zwischen Nihilismus und Lebensfreude. „Bullet Train“ ist ein filmischer Rausch, ein neongetränkter Adrenalinschub, eine Abfahrt ins Chaos – und am Ende eine ziemlich charmante Meditation über Pech, Schicksal und das, was dazwischen liegt. Oder, um es in Ladybugs Worten zu sagen: „Sometimes you’re the windshield, sometimes you’re the bug.“ In diesem Fall? Ganz klar: der Windshield.