Wenn Genuss zur Waffe wird
Was für ein Menü, das uns Mark Mylod hier serviert! „The Menu“ ist ein fein abgeschmecktes, ordentlich bissiges Thriller-Satire-Gericht, das in seiner aromatischen Komplexität deutlich mehr zu bieten hat als bloße Haute Cuisine für cineastische Feinschmecker.
Mylod, der Serienfans bestens durch seine Arbeit an „Succession“ und „Game of Thrones“ bekannt sein dürfte, zeigt mit diesem Film einmal mehr, dass er die Kunst der feinen Schärfe beherrscht. Sein satirischer Sous-Vide-Garer läuft hier auf Hochtouren, und er schreckt nicht davor zurück, gesellschaftliche Eitelkeiten, kulinarische Hybris und die fragile Psyche seiner Figuren mit chirurgischer Präzision auf dem Silbertablett zu sezieren. „The Menu“ ist bei all seinem sardonischen Humor kein Film des Exzesses. Wer auf blutige Dekonstruktion im Stile von „Battle Royale“ hofft, wird enttäuscht sein – Action existiert hier nur als seltenes Gewürz, dosiert in einer einzelnen Szene, und Gewalt sowie Gore sind so gut wie absent. Doch in dieser Entscheidung liegt der Clou: Mylod braucht keine aufgerissenen Kehlen, um uns einen Schauer über den Rücken zu jagen; die psychologische Schärfe ist seine Klinge.
Die Geschichte entfaltet sich als Kammerspiel, das in seiner räumlichen Begrenzung eine fast beklemmende Dichte erreicht. Ein exklusives Fine-Dining-Restaurant auf einer isolierten Insel, ein exzentrischer Chef mit Kultstatus (Ralph Fiennes), eine Gruppe handverlesener Gäste, die allesamt mehr Geheimnisse im Gepäck haben als Geschmacksknospen – und ein Abend, der sich auf äußerst ungewöhnliche Weise entfalten wird. Mylod nimmt sich Zeit, die Dynamiken zwischen seinen Figuren zu entwirren, die subtilen Spannungen aufzubauen und nach und nach die wahren Intentionen des mysteriösen Küchenchefs Slowik offen zu legen.
Die Story gleitet elegant zwischen Thriller-Spannung und rabenschwarzem Humor und schafft es dabei, nie die Balance zu verlieren. Das Writing ist schlicht exzellent. Es ist rare Kost: bitter, dunkel, pointiert – ein Humor, so schwarz wie ein verbrannter Brioche, aber dafür mit umso mehr Stil. Die Dialoge sind messerscharf, aber nicht prätentiös; witzig, aber nie albern; ernst, aber nie schwerfällig. Selten gelingt es einer modernen Thriller-Satire, gleichzeitig so klar zu analysieren, so vielschichtig zu kommentieren und dennoch so verdammt unterhaltsam zu sein. Themen gibt es reichlich, doch keines wirkt aufgesetzt. Das Verhältnis von Kunst und Konsum, der Kult um Authentizität, die Frage nach dem Wert kreativer Arbeit in einer Welt, die sie frisst, ohne sie wirklich zu schmecken – all das fließt organisch ineinander. Und Mylod scheut sich nicht, die Zuschauer selbst in diese Dynamik hineinzuziehen.
Kulinarische Kälte und feine Klinge
Atmosphärisch ist „The Menu“ ein Hochgenuss. Schon die Ankunft auf der Insel vermittelt ein Gefühl der Abgeschlossenheit. Das Restaurant gleicht einem Tempel des Perfektionismus, ein Ort, an dem nichts dem Zufall überlassen ist. Die Tische stehen wie strategisch ausgewählte Markierungen, die Küche ist ein straff choreografierter Organismus. Alles wirkt geometrisch, fast unheimlich symmetrisch. Mylod versteht es hervorragend, diese Atmosphäre langsam, aber stetig zu verdichten, wie ein Koch, der eine Reduktion über Stunden hinweg zur Perfektion einengt. Das Setting wird zur Bühne für Machtspiele, Demütigungen, unheimliche Rituale – und dennoch verliert der Film nie seinen Humor, der als kleine, aber wichtige Erleichterung immer wieder durchblitzt. Es ist Theater im besten Sinne: ein Ensemble, ein Spielort, ein Abend, der alles verändert.
Der Cast ist exzellent, ohne jede Einschränkung. Allen voran: Ralph Fiennes als Chef Slowik. Was Fiennes hier abliefert, ist schlicht überragend. Seine Performance ist so kontrolliert, so diszipliniert, so elektrisierend minimalistisch, dass man sich kaum entziehen kann. Er spielt Slowik wie einen Priester, Kommandanten und Künstler in einem – ein Mann, der längst an seinem eigenen Perfektionismus zerbrochen ist, aber dennoch weiter performt, weiter kocht, weiter zerstört. Anya Taylor-Joy glänzt wie gewohnt: scharf, unabhängig, mit einer faszinierenden Mischung aus Verletzlichkeit und Widerstandskraft. Sie ist die natürliche Projektionsfläche für den Zuschauer, aber gleichzeitig eine Figur mit klarer eigener Agenda. Nicholas Hoult dagegen liefert eine herrlich unangenehme Darstellung als fanatischer Gourmet-Hipster, der seine Begeisterung über alles stellt, selbst über Empathie. Seine Rolle ist nicht nur komisch, sondern auch tragisch – eine perfekte Ergänzung des Ensembles.
Fazit
„The Menu“ ist ein köstlich böser Leckerbissen – eine satirische Thriller-Delikatesse, die sich traut, leise zu bleiben, wo andere Filme schreien. Es ist kein Film für Fans von Chaos und Blut, kein Spektakel, kein survivalistischer Schlagabtausch. Es ist ein Werk, das auf Subtilität setzt, auf psychologische Finesse, auf Atmosphäre – ein stilvolles, gedankenscharfes, exzellent geschriebenes Kammerspiel mit brillanten Darstellern. Wer sich darauf einlässt, erhält ein Leinwandmenü, das weit über die reine Unterhaltung hinausreicht: Es fordert heraus, es provoziert, es unterhält. Ein wunderbar verführerischer, brillant gespielter, geistreich komponierter Abend im Kinorestaurant.