Um es gleich vorwegzunehmen: Ein Horrorfilm ist dieses Werk nicht. Es ist ein Psycho-Drama um eine postpartale Depression mit Mystery-Elementen. Wer da falsch rangeht, kann sicher nicht mehr als drei Punkte vergeben...
Inhalt:
Sara und Alex Davis sind junge Eltern, ihr Sohn heißt Liam. Da Sara unter einer schweren postpartalen Psychose leidet, versuchen die beiden, aufs Land zu ziehen, um Sara mehr Ruhe zu gönnen, damit sie eine Bindung zu ihrem Sohn aufbauen kann. Dass Alex Tierarzt ist, kommt dem entgegen, da er so kürzere Wege zu seinen Kunden, vorwiegend Landwirten, hat. Das Angebot eines günstigen, aber lange leerstehenden Landhauses mit einer für Alex Beruf geeigneten Scheune nehmen die beiden an, obwohl ihnen die Maklerin den Grund für die bisherige Ablehnung der Käufer nennt: Vor vierzig Jahren geschah ein „erweiterter Selbstmord“ in diesem Haus, eine junge Frau erschoss ihren Vater und ihr Baby, dann sich selbst. Doch nach dem Einzug entwickeln sich unheimliche Dinge in dem Haus, und in einem verschlossenen Zimmer gibt es ein Geheimnis...
Interpretation:
Eine sinnvolle Interpretation und Kritik ist ohne „Spoiler“ nicht möglich, daher hier die übliche Warnung.
Sara hatte wohl schon eine Ahnung, als sie das Haus trotz der bösen Geschichte kaufen wollte: Nämlich die Möglichkeit, dass genau dieser Vorfall ihr helfen könnte, die Depression zu überwinden. Was letztendlich ja auch geklappt hat. Sie hat ihre eigene Person, die der damaligen Selbstmörderin Anna sehr ähnlich sieht, gedanklich in deren Welt versetzt. Sie erlebt die Geschichte von Anna, die, immer wieder vom Vater vergewaltigt, nicht damit klar kommt, dass ihr Vater die dadurch gezeugten Kinder tötet. Als der Vater das dritte Kind töten will, begeht Anna den Mord am Vater, dem Baby und sich selbst. Sara erfährt die Details der Geschichte über den Polizeibericht von damals, den sie von der Maklerin hat. Und sie lernt den Nachbar Chris kennen, der sich dann als Annas Bruder Andrew herausstellt. Er war bei der Tat dabei und ist seitdem psychisch gestört, aber Sara bekommt nach und nach mehr Informationen von ihm.
So erfährt sie von zwei weiteren toten Babys, die der Vater Anna „weggenommen“ hat, indem er sie mit einer Axt im Schrank des abgeschlossenen Zimmers getötet hat. Im Finale werden für Sara die beiden anderen toten Kinder dann zu lebendigen Wesen, mit denen sie um ihr eigenes Kind kämpfen muss. Diesen Kampf gewinnt Sara und befreit sich aus ihrer Depression.
Kritik:
Die Geschichten im Haus finden alle nur in Saras Einbildung statt. Auch die verschwundenen Sachen sind von ihr verlegt worden. Als Zuschauer wird einem das natürlich erst nach einer gewissen Zeit klar, aber spätestens dann handelt es sich um keine Spukgeschichte mehr. Vielmehr kann man beobachten, wie Sara immer verzweifelter über die Tatsache wird, dass sie zu Liam keinen gefühlsmäßigen Zugang findet. Ihr Mann Alex ist keine Hilfe, er ist voll und ganz mit seinem Beruf als Tierarzt ausgelastet und sowieso kaum zu Haus. Allein gelassen (Abandoned) versucht Sara, ihre Einbildungen zu deuten und immer tiefer in die Geschichte von Anna einzusteigen.
Das wird vom Film visuell und auditiv sehr schön unterstützt, die Bilder und Geräusche werden im Laufe der Zeit immer drastischer. Im Finale projiziert sie die beiden anderen toten Kinder als lebendige Wesen, die ihr ihr eigenes Kind wegnehmen wollen, weil sie es nicht wert ist, es zu behalten. Diesen Vorwurf von sogar toten Kindern hält Sara nun endgültig nicht mehr aus: Sie kämpft um ihr Recht, ihr Kind lieben und versorgen zu dürfen und überwindet so die Psychose.
Logik:
Es ist nicht unlogisch, dass sie im Haus wohnen bleiben, denn Sara hat die Geschichte des Hauses nur als Vehikel benutzt. Es ist nicht wirklich böse. Diese Story ist durchaus stimmig, auch wenn sie vielleicht nicht sofort ins Auge springt. Die Nebenhandlungen um Alex interpretiere ich so, dass er sich aufgrund seiner eigenen Probleme (die ihm nicht genehme Art des Tötens der Schweine) zu wenig bis überhaupt nicht um das Abdriften von Sara kümmert und erst den Arzt kontaktiert, als Liam fast die Treppe hinunterfällt. Die Entfremdung von Sara kommt jedenfalls authentisch rüber, auch die Skepsis, als Sara ihre Heilung verkündet, wirkt nicht aufgesetzt. Gut fand ich auch, dass der Prozess der „Heilung“ der Familie offenbar dann Jahre dauert und nicht wie auf Knopfdruck einfach da ist.
Darsteller:
Die schauspielerischen Leistungen fand ich gut bis sehr gut. Saras Probleme mit ihrer Mutterrolle werden von Emma Roberts ausgezeichnet dargestellt, vermutlich, weil sie selber kurz vor den Dreharbeiten gerade ein Baby bekommen hat. Vielleicht sind eigene Erfahrungen dabei. John Gallagher Jr. Ist mit der Rolle des überarbeiteten Ehemanns nicht überfordert, und Kate Arrington kauft man die aufdringliche Maklerin sehr gut ab. Michael Shannon spielt den verschlossenen Andrew, der nie über die Tat hinweg gekommen ist, glaubhaft.
Musik:
Da gibt es nichts zu vermelden. Kaum vorhanden und wenn, dann dem Geschehen angemessen.
Fazit:
Für mich ein beeindruckender Einblick in die Psyche einer Frau mit schwerem postpartalen Syndrom und ihr Kampf gegen die endgültige Entfremdung von ihrem Kind. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der Titel des Films „Abandoned“ zu sehen, denn nicht nur das Haus war lange verlassen, sondern auch Sara war verlassen von ihren Gefühlen für Liam.
8/10