Review

Träumen Coronapositive von Seuchendoktoren?

Ich mochte Andy Mittons „We Go On“, fand sein „The Witch In The Window“ sogar ausgesprochen stark, dafür sein Debüt „YellowBrickRoad“ schrecklich. Nun ist er mit „The Harbinger“ zurück - einem waschechten Paranoia- und Lockdown-Grusler, in dem eine junge Frau mitten in der Pandemie ihre gute Freundin besucht, da diese allein in ihrer Wohnung unter Schlaflosigkeit, mysteriösen Albträumen und argen Angstzuständen leidet. Außerdem wurde unserer Protagonistin scheinbar einst vice versa von ihr geholfen. Doch alsbald wird klar, dass sich in den grauen vier Wänden vielleicht gar Schlimmeres eingenistet hat als Covid und dunkle Erscheinungen, endlose Alpträume und das Abbild eines Seuchendoktors machen die Runde…

Schlaflos in Virettle

Alleinsein. Unsicherheit. Kein persönlicher Kontakt mit Leuten, die einem wichtig sind. Fehlinformationen. Eventuell Verlust von Freunden und Bindungen. Angst - sowohl vor der Krankheit als auch Nebenwirkungen wie der gesellschaftlichen Spaltung oder Radikalisierung, der Entsozialisierung. Die Coronapandemie wird einerseits in die Geschichte eingehen und jedem von uns im Gedächtnis bleiben. Andererseits ist (zum Glück) das „ganz normale“ Leben mittlerweile in fast allen Teilen der Gesellschaft wiedergekehrt und man meint manchmal, wir hätten verdrängt oder gar vergessen. Ziemlich verrückt das Ganze. Und es steht ja noch gar nicht wirklich fest, ob die kommenden Jahre und Jahrzehnte nicht zu einer ganzen „Pandemieepoche“ heranwachsen… Und mit solchen Ängsten, Gefahren und Ansätzen spielt „The Harbinger“ im Hintergrund offensichtlich und durchgehend. Dennoch würde das alleine nicht reichen um filmisch Angst und Schrecken zu vertreiben, um längerfristig Eindruck im Genre zu machen. Zum Glück kann „The Harbinger“ noch ein Stückchen mehr. Seine Charakterisierungen sind durchaus intensiv und effektiv. Sein Spiel mit Urängsten, Traumebenen, Schatten und Geräuschen aus der Dunkelheit und blinden Winkeln, sind gekonnt. Noch dazu sind beide hauptsächlichen Damen voll bei der Sache und sich für wenig zu schade, dreht das Monsterdesign nicht durch, fasst einen aber dennoch an, ist das Sounddesign angsteinflössend gut und sind die vielen, diskussionswürdigen Ideen zu Themen wie Freundschaft, Aufopferung, Angst vor Anderen aber noch mehr vor dem Vergessen, dem Vergessen werden, der Giftigkeit und ansteckenden Wirkung von dunklen Gedanken, einfach spitze. „The Harbinger“ durchzieht eine tiefe Verunsicherung und Traurigkeit, Melancholie und durchdringende Angst, die einfach nicht abzuschütteln ist und die sich prima/unangenehm auf mich übertragen konnte. Und meiner Meinung nach ist das passenderweise auch das Hauptthema: die Weitergabe von und Ansteckung mit Angst. Und die im heutigen Zeitalter größer denn je scheinende Angst vergessen und nichtig zu werden. 

Long Snowid

Fazit: sehr kompetenter, unterschwellig gruseliger und cleverer Pandemiegänsehautbringer - bleibt unter der Haut und im Gedächtnis, vom Monsterdesign über die Performances bis zur fiesen, eiskalten und hoffnungslosen Atmosphäre. Für Fans von sowas wie „The Dead Center“, „The Machinist“ oder „Jacob's Ladder“. Also gar nicht mal reinster Horror. 

P.S.: Momentan exklusiv über den Vinegar Syndrome Onlineshop in einer ausgesprochen hübschen Edition zu erstehen! 

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