(...)Die Dämmerung war keinesfalls gleichbedeutend mit Dunkelheit, denn dank des Erdantriebs blieb die gesamte Nordhalbkugel taghell erleuchtet. Man hatte die Triebwerke auf der Eurasischen und der Nordamerikanischen Platte errichtet, da nur diese beiden großen Kontinentalplatten geschlossen und stabil genug waren, um den gewaltigen Schubkräften zu widerstehen, die die Antriebselemente gemeinsam erzeugten. Insgesamt zwölftausend von ihnen waren über die Ebenen Asiens und Nordamerikas verteilt. Von dort, wo wir wohnten, konnte man Hunderte der leuchtenden Plasmasäulen sehen, die von den Antrieben ausgestoßen wurden. Stell dir einen gewaltigen Tempel vor, so groß wie die Akropolis in Athen, mit unzähligen, himmelhoch aufragenden Riesensäulen – nur dass die Säulen wie gigantische Leuchtstoffröhren aus grellem, bläulich weißem Licht bestehen. Inmitten dieser Säulenhalle bist du nur ein auf dem Boden herumkriechendes Bakterium. Jetzt hast du in etwa einen Eindruck davon, wie die Welt aussah, in der ich aufwuchs.(...)
Neben dem Wandering Earth (2019) selber als scheinbarer Startschuss einer Reihe von Science fiction Werken als relativ neues Genre im chinesischen Filmgeschäft ist trotz des überwältigenden Erfolges von diesem selber primär beim Publikum als auch durchaus wohl sprechend bei den Kritikern trotz eigentlich allerlei anbietender Möglichkeiten und Gelegenheiten nicht allzu viel über geblieben. Weitere nachfolgende 'Kollegen' wie speziell Shanghai Fortress (2019) entpuppten sich als besseres B-Picture, sowohl im Inhalt als auch in der Machart und haben sich beim chinesischen Volk entweder direkt unbeliebt gemacht oder wurden gleich ignoriert, ein Flop im höchsten Ausmaß; selbst der vergleichsweise erfolgreiche Warriors of Future (2022) hatte trotz des großen Marktes auf dem Mutterland der VRC Mühe, seine Kosten wieder einzuspielen, und dies auch nur, weil man sehr gut in HK selber lief und dort sein Zubrot verdiente. Viel mehr ist abseits allerlei preisgünstige bis spottbillige Arbeiten rein für die Streaming- oder anderweitig Onlinedienste und dies vermehrt im 'Trash'bereich nicht über geblieben, was sich zu erwähnen lohnt. Statt dem Weg in die Zukunft, in den Fortschritt, in die technische Eroberung hat sich der gemeine Chinese an diversen kriegerischen, in der jüngeren Vergangenheit des letzten Jahrhunderts angesiedelten Großprojekten, also den Glanztaten von militärischem Angriff und Verteidigung im Zweiten Weltkrieg oder im Koreakrieg erfreut; der hiesige Regisseur Frant Gwo hat sich im Übrigen mitsamt seinem Star Wu Jing auch an einem dieser Kreationen, dem The Sacrifice (2020) verdient gemacht. Wandering Earth II hat als Alleinstellungsmerkmal seiner Zunft trotzdem oder dennoch an der Kinokasse 'nahezu' das Einspiel und dies bei schlechteren Bedingungen (Prequel, Überlänge, Änderung des Massengeschmacks etc.) wie der Vorläufer geholt, 605 Mio. USD hier, 702 Mio. USD dort, allerdings anders als dieser kaum bis nur wenig Reaktionen im Ausland erzeugt, Veröffentlichungen dort auch eher leise in der Ankündigung und wie im Nebenher:
2044, in naher Zukunft. Die Erde steht vor dem Abgrund, die Sonne hat sich zu einem Roten Riesen entwickelt, sodass unter Aufsicht des United Earth Government [UEG] mit starker Fürsprache vom chinesischen Botschafter Zhou Zhezhi [ Li Xuejian ] und Unterstützung seiner Assistentin Hao Xiaoxi [ Zhu Yanmanzi ] ein sogenanntes 'Moving Mountain Project' initialisiert wurde, das den Planeten aus unserem Sonnensystem in ein anderes bewohnbares Sternensystem befördern könnte. Aufgrund diverser Hindernisse und Proteste der allgemeinen Bevölkerung, die die Risiken noch nicht wahrnehmen, wird China die Hauptaufgabe überlassen, unter anderem auch am 'Lunar Exile Project', welches die Anziehungskraft des Mondes auf die Erde minimieren soll. Dort arbeiten die beiden Computeringenieure Ma Zhao [ Ning Li ] und Tu Hengyu [ Andy Lau ] mit den wenigen verfügbaren neuesten Quantencomputern, wobei Tu auch private Interessen an der Nutzung seines Gerätes hat und am digitalen Bewusstsein körperlich bereits Verstorbener, hier speziell dem seiner bei einem Autounfall als klinisch tot erklärten Tochter forscht, eine Weiterführung des bereits verbotenen 'Digital Life Projects'. Kurze Zeit später bewirbt sich der Astronaut Liu Peiqiang [ Jacky Wu Jing ] mit Unterstützung seines Mentors Zhang Peng [ Sha Yi ] als auserkorener Teilnehmer für das 'Lunar Exile Project', der die Detonation aller Nuklearwaffen der Erde in einer konzentrierten Aktion und damit eine Kernfusion und Implosion des Mondes vorsieht.
Bereits der Vorspann beweist dabei eine Kreativität des noch jungen Filmemachers, eine eigene Herangehensweise und gewisse Sorgfalt in der Überlegung, ein Ansprechen mit kleineren Mitteln auch und eine Konzentration auf das Spezielle. Der Vorgänger war unabhängig von der originalen literarischen Quelle eher eine Mischung aus Kubrick, aus Hyams, aus Bay und auch etwas Neame und Robson, er arbeitete mit Abenteuern, mit Aufbruch und Abschied, mit Action und Attraktion, der Nachzügler fängt gleich mit einer Art Apokalypse an, ein selbst kreiertes Desaster, vom Menschen verbrochenes Unrecht und Zerstörung, teilweise gewollt, teilweise in Kauf genommen, oder einfach auf Glück und Hoffnung und damit das falsche Pferd gesetzt. Betroffen von der Auslöschung ist erstmal nur eine Stadt, auch nicht in China, Gott bewahre, sondern in Südafrika, also auf dem Kontinent, wohin man expandiert und seine Fühler ausstreckt. Es wird von früher erzählt, von früher kurz gezeigt, eine alte Aufnahme, die Prämisse ratifiziert, dann patrouilliert, dann engagiert.
(...)Der Aufstand begann drei Tage später auf allen Kontinenten gleichzeitig. Wo die Rebellentruppen hinkamen, hatten sie die Bevölkerung schnell auf ihrer Seite. Kaum jemand zweifelte noch daran, dass wir alle einer großen Lüge aufgesessen waren. Ich jedoch schloss mich den Truppen der Einheitsregierung an. Ich tat es nicht aus Überzeugung, aber ich entstammte nun mal einer Familie von Militärs. Drei Generationen vor mir hatten bereits treu gedient, was auch mir die Saat von Ergebenheit und Pflichterfüllung eingepflanzt hatte. Komme, was wolle – die Einheitsregierung zu verraten war für mich einfach unvorstellbar.(...)
Eine knappe Vorgeschichte, eine lange Ausdehnung, sehr viel Technik und weniger der Mensch im Mittelpunkt, die Spezialeffekte zuweilen beeindruckend präzise, griffig im Detail, glaubhaft in der Bebilderung. Der Ton eher kühl, nicht gleich martialisch, aber schon vermehrt in diese Richtung, dennoch perzeptiv, eine Schönheit im Perfekten, im Klinischen, mehr Blockbuster und mehr Hollywood, als es die Amerikaner mittlerweile können. Die Handlung als Wiederholung des bereits gezeigten und als Abänderung, ein neuer Start quasi, aber mit Bezug zum Vorwissen und auch mit Bezügen darauf, eine Art 0.5. Gearbeitet wird mit nachgestellten Nachrichtenprogrammen, mit einer Art Handbuch, einem Erzähler, mit Verweisen auf Zukünftiges und Aktuelles, mit Politik und Ökologie, mit Wirtschaft und mit Wissenschaft, mit Krisen verschiedener Art, die Umwelt betreffend, das Klima, die Gesundheit, den Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit, den gesellschaftlichen Bestand. Es gibt schnell Massenszenen, der Film spielt später im All, erst auf der ganzen Welt. Es wird eingangs viel geflucht und auf Englisch, Französisch, Russisch etc. radebrecht, die Dialogarbeit noch mit der größte Schwachpunkt des Ganzen, eine Dysfunktionalität in der sonstigen Künstlichkeit, der Text hält nicht mit dem Visuellen mit, die Darsteller widersprechen auch dem Artifiziellen, dem Akribischen, der Automodifizierung, dem Äußerlichen, der Film ist kein Bestandteil der Qatsi-Trilogie, nicht die technokratische Hardware- und virtuelle Softwarevariante davon, auch wenn er manchmal so aussieht und so wirkt.
Abgesehen von einer peinlich inszenierten und auch so fremdschämend wirkenden Liebesgeschichte während eines langen Trainingsprogrammes, mit Wu Jing als Kasperkopf und Hampelmann, die so ein bisschen das Momentum ruiniert, wird mit einem terminlich fokussierten Spannungsaufbau gearbeitet, was wann passiert wird dem Zusehenden angekündigt, den Figuren selber nicht, man beobachtet nicht bloß, man wird auch empathisch in die Ereignisse, erste Unruhen bspw., eine maschinelle Attacke, ein serielles Chaos hineingezogen und so in die Belange des Geschehens hier involviert. Viele Dinge auf einmal und ständig in kurzer Frist und so höchster Not, ein großangelegter Drohnenangriff auf den eigenen Stützpunkt, dazu Saboteure in der Weltraumstation, ein ausufernder Terroranschlag: Luftkriege, Flugfeldexplosionen, Nahkämpfe, Metall-, Feuer-, Glasregen und Slapstickaktionen hatte der Erstling nicht, und aus guten Grunde, möchte man meinen, manches ist recht hektisch in der allgemeinen digitalen Übernahme, paart Infantilität mit Brutalität, manches erinnert hier an einen Wolf Warrior in Space. Eine längere, großmächtige Katastrophensequenz, und manchmal eine Katastrophen-Sequenz, zumindest die schwerindustrielle Tricktechnik und die gesamte Visuelle und auch Akustische Abteilung ist am Ackern und in Höchstform, ein destruktives Vfx-Programm, Gwo orientiert sich hier (mit einem Gesamtbudget von ca. 88.5 Mio USD) an Devlin & Emmerich.
Dass man nach ca. einem Viertel einen weiteren Zeit- und diesmal auch einen Orts- und einen Perspektivsprung macht und mit Andy Lau eine weitere Hauptfigur einführt, mit gleicher Aufgabe und Motivation, aber einem anderen Setting und Herangehensweise (und besserem Spiel), hilft dabei; das Spektakel wird etwas verringert und verinnerlicht, die dramaturgische Herangehensweise passt sich etwas dem Erstling, also der Fortsetzung an, das Prozedere wird fokussierter und intimer. Eine persönliche Tragödie hat stattgefunden, und sie hat Optionen eröffnet, psychologische, philosophische, neurologische Fragen werden aufgeworfen, verschiedene Konsile gestellt. Das Geschehen wird dunkler bis existenziell, die Einstellungen in verschiedener Hinsicht eine große Grauzone, eine Weiterführung fast im Schwarzweiß, ein wenig auch das Suhlen im Elend. Es wird sich viel in Sitzungssälen abgequält, mit unterschiedlichem Ausgang, es wird viel in Monitorzentralen gewerkelt und eben auf die Bildschirme fixiert, und es wird oft das Innen- und Ausleben einer Art riesigen Fabrikanlage abgebildet (was dem Film erstaunlicherweise seine meiste Schwere und mehrdimensionale Fassbarkeit beigibt), es werden Worte gesagt, die nicht unbedingt gesprochen werden müssten und es wird ein bisschen jeweils einseitig vor sich hin gelebt, im Großen und Ganzen sind die meisten Kontakte jeweils für sich isoliert. Dass man die künstliche Intelligenz oder das Weiterleben in sphärischer Form hier durchaus kritisch betrachtet, dann aber als 'Tribut' an Ng Man-tat, einen kurz vor den Dreharbeiten verstorbenen Darsteller aus Teil 1 per CG für eine Szene wieder 'reanimiert', verwundert dabei in seiner Inkonsistenz und Inkongruenz eigentlich noch mehr als die vorherigen Kindereien mit dem zünftigen Astronauten und seiner Holden; ansonsten arbeitet China hier übrigens eng mit Amerika zusammen und auch von New York aus, das ist doch ein löbliches Verhalten angesichts der derzeitigen Zustände. Salutiert wird natürlich trotzdem fleißig, gerne auch vor diversen Märtyrertods. Deutschland spielt dafür überhaupt keine Rolle, es ist im Grunde nicht einmal anwesend.
(...)Die Bremsjahre waren eben erst vorüber, doch ihre Auswirkungen auf die Erdkugel waren erschütternd gewesen: Die durch den Erdantrieb hervorgerufene Beschleunigung hatte eine Flutwelle ausgelöst, die zwei Drittel der Städte auf der Nordhalbkugel verschlungen hatte. Der von den Triebwerken verursachte Temperaturanstieg hatte die Polkappen zum Schmelzen gebracht und die Überschwemmungen dadurch noch verschlimmert, sodass auch die Südhalbkugel nicht verschont geblieben war. Mein Großvater hatte vor dreißig Jahren selbst mit angesehen, wie eine hundert Meter hohe Monsterwelle Shanghai unter sich begraben hatte. Seine Augen wurden heute noch glasig, wenn er davon erzählte. Tatsächlich war von der Welt von einst nicht mehr viel übrig, und niemand wagte sich auszumalen, welches Leid ihr auf der bevorstehenden Reise durch die Weiten des Weltalls noch bevorstehen mochte.(...)