Die verschiedenen Zusatztitel, die TINTORERA im Zuge seiner internationalen Auswertung erfahren hat, machen eins deutlich: hier scheint es sich um einen Horrorfilm im Fahrwasser von JAWS zu handeln, in dem ein menschenfressender Haifisch für blutige und spannende Szenen sorgt. BLOODY WATERS, THE SILENT DEATH, DENTS D’ACIER oder MEERESUNGEHEUER GREIFEN AN sprechen da für sich. Problematisch wird es jedoch, wenn der derart vermarktete Film alles ist, jedoch mit Sicherheit kein üblicher Haihorror. Von Meeresungeheuern, die angreifen, ist weit und breit nichts zu sehen, und hinter dem Namen Tintorera versteckt sich, wie eine Person es im Film erklärt, ein gewöhnlicher Tigerhai.
Auf diesen muss man zunächst lange warten. Der Film beginnt mit einer schier endlosen Exposition, in der vier Figuren separat eingeführt werden. Zum einen ist da Esteban, der eines Morgens im Krankenhaus erwacht, wo ihm ein Arzt verrät, dass er nach Unmengen von Kaffee und Zigaretten in einer Bar einen Kollaps erlitt und sich dringend eine Auszeit nehmen sollte, und daher zur Küste aufbricht, wo er den Sommer auf einer Jacht zu verbringen gedenkt. Auch Miguel lernen wir kennen, ein Frauenaufreißer, der seine Opfer sowohl sexuell als auch finanziell ausbeutet, keiner geregelten Arbeit nachgeht, sondern sich voll und ganz seinen unzähligen Affären widmet. Und dann wären da die Schwestern Cynthia und Kelly Madison, zwei Amerikanerinnen, die als Hitchhiker zu besagtem Küstenort irgendwo unter Mexikos Sonne unterwegs sind, und in gar lustige Sexabenteuer mit zwei Einheimischen verwickelt werden. Bezeichnend für den Film ist, dass jene beiden Damen, von denen man aufgrund der Zeit, die man ihnen in der ersten Viertelstunde widmet, annimmt, dass sie im Folgenden eine entscheidende Rolle spielen werden, nun erstmal aus der Handlung verschwinden und erst viel später nicht etwa als Hauptpersonen, sondern als Randfiguren wieder auftauchen. Schon hier wird klar, dass die Story von TINTORERA alle Zeit der Welt zu haben scheint, um sich zu entwickeln.
Esteban, der auf der Yacht seine freie Zeit genießt, bändelt schließlich mit der Touristin Patricia an. Es entspinnt sich eine Sexbeziehung zwischen ihnen, die der Film detailreich schildert. Als beide jedoch merken, dass sie sich ineinander zu verlieben beginnen, ist es Patricia, die Esteban verlässt und sich stattdessen Miguel zuwendet, den sie am Strand kennen lernt. Ihm gesteht sie, dass sie Esteban liebe und dies nur nicht zulasse, um sich selbst und ihm den Schmerz ihrer baldigen Abreise zu ersparen. Miguel und Patricia verbringen eine Nacht zusammen in dessen Strandhütte und sie, die nicht einschlafen kann, entschließt sich, noch ein Bad im Meer zu wagen, das ihr schlecht bekommt, denn der Tigerhai hat seinen ersten unspektakulären Auftritt und reißt sie mit sich in die Tiefe. Miguel, der meint, Patricia sei früh am Morgen, ohne sich von ihm zu verabschieden, abgereist, trifft Esteban in einer Strandbar wieder und nach anfänglichen Auseinandersetzungen entwickelt sich eine Freundschaft zwischen ihnen. Nachdem sie Cynthia und Kelly aufrissen, zieht Miguel gar auf Estebans Yacht ein. Die beiden Frauenhelden lassen es sich gut gehen. Immer mal wieder schlafen sie mit Cynthia, Kelly oder anderen Mädchen, die sie mit ihren einfallslosen Sprüchen becircen, zwischendurch betrinkt man sich, liegt faul an Deck herum oder man geht dem Hobby des Haifischfangs nach, denn mit Harpunen bewaffnet tauchen Miguel und Esteban gerne nach harmlosen Kleinhaien.
Irgendwann, nachdem sie Cynthia und Kelly an einen Kerl namens Crique verloren, treffen sie auf Gabriella. Auch sie ist sofort bereit, sich mit den beiden einzulassen. Eine Dreierbeziehung entwickelt sich zwischen ihnen, zu deren Beginn Gabriella klare Regeln aufstellt: sollte jemals einer von ihnen dreien echte Gefühle für jemand anders ihres Trios verspüren, müsse die Sache sofort beendet werden. Neben den regelmäßigen Tauchausflügen und dem üblichen Faullenzen, diskutieren Miguel und Esteban nun auch gerne über diese Beziehung.
Eines Tages jedoch wird Miguel Opfer des Tigerhais, der bereits Patricia verschlang. Gabriella und Esteban müssen hilflos von ihrem Boot aus zusehen wie der Hai ihren Freund in zwei Teile zerbeißt. Gabriella reicht es nun, sie reist ab und lässt Esteban in seinem Schmerz allein, der sich wiederum dazu entschließt, Rache an dem Tigerhai zu nehmen. Obwohl es jetzt nur noch dreißig Minuten bis zum Ende des Films sind, passiert immer noch nichts anderes als das, was man schon von den vergangenen eineinhalb Stunden kennt. Esteban besucht eine Party Criques, ist erneut mit Cynthia und Kelly zusammen, es wird getanzt und getrunken. Beim Nacktbaden allerdings schlägt der Tigerhai wieder zu und Cynthia wird sein nächstes Opfer. Für Esteban ist nun der Moment gekommen, wo er sich seine Harpune umhängt und sich dem Zweikampf mit dem Hai stellt.
TINTORERA ist ein Film, bei dem es mich nicht wundert, dass die bekannteste seiner Fassungen eine Laufzeit von nicht mal neunzig Minuten hat, während er in der längsten erhältlichen Version Material von über zwei Stunden bietet, und selbst in der gekürzten Fassung werden wohl nicht alle Unnötigkeiten und Längen beseitigt worden sein. Um einen ungefähren Eindruck von TINTORERA zu erhalten, muss man sich eigentlich nur einen Porno vorstellen, bei dem sämtliche Sexszenen entfernt wurden, sodass bloß die Füllszenen zwischen den Akten übrigblieben. Auch drängte sich mir der Verdacht auf, dass der Regisseur und sein Team sich einfach einige hübsche Wochen an einem sonnigen mexikanischen Strand machen wollten, und ihre Dreharbeiten bewusst in die Länge zogen, um etwas länger verweilen zu können. Anders kann ich mir ein Gros der Szenen nicht erklären, die nirgendwohin führen und den Film kein Stück weiterbringen. René Cardona jr. scheint mehr an den ermüdenden Aufnahmen von Strandbars und Bikinischönheiten als an dem Erzählen einer halbwegs unterhaltsamen Geschichte interessiert gewesen zu sein.
Die ersten eineinhalb Stunden sind demnach eine einzige verfilmte Männerphantasie. Miguel und Esteban, im Grunde zwei äußerst unsympathische Aufschneider, kriegen jedes Mädchen in ihr Bett, das sie dort haben wollen, indem sie die immergleichen dummen Sprüche anwenden. Sämtliche Frauen in TINTORERA sind mindestens einmal barbusig zu bestaunen. Zu Sexszenen, die über Softpornoniveau hinausgehen, kommt es zwar nie, doch ist Sex dennoch eins der größten Themen des Films, und so besteht ein Großteil der Szenen aus Miguel, Esteban und ihren jeweiligen Gespielinnen wie sie sich die Zeit mit Nacktbaden und ähnlichen Beschäftigungen vertreiben. Dabei finde ich es ziemlich erstaunlich, dass Cardona es schafft, seinen Figuren einerseits eine Fülle von Charakterszenen einzuräumen, und es ihm dennoch nicht mal versehentlich gelingt, den Protagonisten irgendeine Tiefe zu verleihen. Miguel und Esteban führen lange Gespräche, wenn sie nicht gerade mit jemandem schlafen oder tauchen, doch deren Inhalt ist derart belanglos, dass ihre Figuren nicht über bloße Schablonen hinauskommen. Das Ganze wirkt zudem durch die endlosen Wiederholungen außerordentlich ermüdend. Und weshalb unbedingt detailliert gezeigt werden muss wie Miguel, Esteban, Cynthia und Kelly sich kennen lernen, wo sie sich kurz darauf doch wieder aus den Augen verlieren, hat sich mir auch nicht erschlossen.
Dadurch, dass immer wieder dasselbe passiert, die Geschichte sich einfach nicht vom Fleck bewegt und das Tempo des Films auf den untersten Rängen anzusiedeln ist, wird vor allem die erste Stunde zu einer wahren Geduldsprobe, in der höchstens ein paar hübsche Landschaftsaufnahmen herausstechen. Und wer aufgrund der Story erwartet, dass TINTORERA, wenn er schon nicht als Horrorfilm funktioniert, wenigstens ein einigermaßen interessantes Liebesdrama oder etwas Ähnliches darstelle, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der darauf hofft, dass die Meeresungeheuer endlich angreifen. Wobei wir bei dem furchterregenden Tigerhai wären. Viermal darf der zuschlagen und dreimal davon in der letzten halben Stunde. Die Angriffe an sich unterscheiden sich nicht besonders von denen in jedem beliebigen italienischen JAWS-Rip-Off. Der Tigerhai und der Mensch, den er angeblich attackiert, befinden sich nie gleichzeitig im Bild, mittels Schnitten wird der Eindruck vermittelt, er würde sich gerade über die zappelnden Beine eines seiner Opfer hermachen, wobei man Cardona jr. zugute halten muss, dass diese Angriffe zwar nicht überragen sind, jedoch immerhin solide inszeniert. Bei Miguels Tod gibt es sogar einen recht blutigen Effekt, der nicht wirklich schlecht geriet.
Verglichen mit Miguel und Esteban ist der Tigerhai allerdings schon beinahe zahm. Weil man offenbar merkte, dass man, selbst wenn man die dünne Story des Films noch so sehr aufbläht, die 2-Stunden-Marke nie überschreiten wird, füllte man den Rest mit Unterwasseraufnahmen, die unsre beiden Helden bei der Haifischjagd zeigen. Ich hab es nicht nachgeprüft, doch rein vom Gefühl her spielen fünfundzwanzig Prozent des Films unter Wasser und konzentrieren sich darauf, Haie beim Sterben zu filmen, die von Harpunen durchbohrt wurden. Irgendwann hab ich aufgehört, die Tiere zu zählen, die bei jedem Trip in die Tiefen des Ozeans ihr Leben lassen müssen. Da Miguel und Esteban jedoch auf alles schießen, was ihnen vor die Harpunen kommt, dürfen auch unschuldige Rochen und andere Fische Bekanntschaft mit ihrer Munition machen, sodass man sich vom Tiersnuffgehalt beinahe in einem italienischen Kannibalenfilm wähnt. Und wo wir schon bei italienischen Kannibalenfilmen sind: auch eine Schildkröte wird hier zur Ader gelassen, indem man sie an die Außenwand eines Boots bindet und sie aufschneidet, um ihr Blut ins Meer rinnen zu lassen und damit den Hai anzulocken.
Für den, dem das noch nicht ausreicht, um den Film zu hassen, hat Cardona jr. noch anderes im Gepäck: einen furchtbar kitschigen Disco-Song beispielsweise, der in regelmäßigen Abständen eingespielt wird, um besonders emotionale Szenen zu untermalen, oder eine Szene, in der Cynthia und Kelly von zwei Mexikanern vergewaltigt werden und das alles als großen Spaß betrachten, es mit kessen Sprüchen auf den Lippen über sich ergehen lassen. Die Schauspieler reißen nichts heraus, selbst wenn einige bekanntere Namen darunter sind, und von der Inszenierung her ist das alles höchstens durchschnittlich. Den Gipfel der Lächerlichkeit erreicht der Film indes, wenn er während seiner ersten neunzig Minuten den Zuschauer immer mal wieder an den Tigerhai erinnern möchte, weil der ihn bei all den Partys, Mädchen und Sexabenteuern vergessen haben könnte. Wahllos werden dann Aufnahmen des umher schwimmenden Tigerhais, unterlegt mit bedrohlicher Musik, hineingeschnitten, nur um Miguels und Estebans lüsterne Abenteuer danach weiterzuführen.
Drei Punkte bekommt TINTORERA nur aus zwei Gründen von mir: zum einen habe ich schon wesentlich schlechtere Filme als ihn gesehen, auch wenn man das kaum glauben mag, zum andern steht er, finde ich, ziemlich einzigartig in der Filmgeschichte da als ein Werk, das eine Geschichte, die in wenigen Sätzen zusammengefasst werden kann, zu einem Opus aufbläst.