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Wen man auch fragt: Die Erinnerung an den 2007 gestorbenen finnischen Regisseur Rauni Mollberg scheint all jene zu schmerzen, die in ihrem Leben einmal beruflich oder privat mit ihm zu tun gehabt haben. Nicht etwa, weil er nicht mehr da ist; sondern weil er ein anstrengender, ein schwieriger, ein unangenehmer Charakter war. Ein Arschloch geradeheraus, wenn man so manchen fragt.

Die Anzahl der Menschen, die 14 Jahre nach seinem Tod trotzdem bereit waren, über ihn zu sprechen, versetzt dann allerdings in Erstaunen. Mindestens acht Regisseure, sieben Darsteller und elf Kameramänner, Produzenten oder Szenenbildner melden sich für die Rauni-Mollberg-Dokumentation „Dinosaurier“ zu Wort, dazu noch diverse Journalisten und Filmwissenschaftler, Mitarbeiter und CEOs von Kino- und TV-Anstalten sowie Mollbergs Lebensgefährtin und seine Tochter. Nicht zu vergessen denjenigen, der das ganze Projekt angeleiert hat: Veikko Aaltonen, inzwischen selbst ein Regisseur, der keine Tabus kennt, damals Co-Autor bei Mollbergs Filmen „Milka“ (1980) und „Der Unbekannte Soldat“ (1985), und nun auch Regisseur, Autor und Erzähler der Dokumentation über seinen eigenen Mentor.

Obwohl sie ausnahmslos alle im Konsens schwelgen, wenn sie Mollbergs komplizierte Persönlichkeit beschreiben, ist offenbar etwas aus den Erfahrungen zurückgeblieben, das es wert ist, mit der Nachwelt geteilt zu werden. Wenn es nach Aaltonen geht, hängt sogar die gesamte Geschichte des finnischen Films an der Vita Mollberg, denn sein Wirken wird in „Dinosaurier“ zum Verbindungsstück zwischen den Anfängen der heimischen Filmindustrie und ihrer derzeitigen Form.

Dabei arbeitet Aaltonen konkrete Einflüsse Mollbergs auf spätere Regisseure im filmanalytischen Sinne allerdings kaum heraus. Von den drei einflussreichsten Werken „Die Erde ist ein sündiges Lied“, „Milka“ und „Der Unbekannte Soldat“ werden viele Ausschnitte gezeigt, aber nur wenige Brücken geschlagen zu ästhetisch artverwandten Werken, die von ihnen beeinflusst gewesen sein könnten. Eher ist er daran interessiert, die gnadenlose Arbeitsmethodik darzulegen, die er selbst aus erster Quelle gelernt hatte. Eine Philosophie der Rücksichtslosigkeit kristallisiert sich mit jedem neuen Interviewpartner heraus, der ein weiteres Teil zum Gesamtbild beiträgt, um das zu schaffen, worin Mollberg offenbar selbst ein Meister war: die Stärken und Schwächen des Gegenübers gnadenlos offenzulegen.

Rehabilitation erfährt „Molle“, wie er in den Gesprächen oft genannt wird, vor allem durch die bieder, geist- und bedeutungslos gewordene restliche Filmlandschaft Finnlands, die den Befragten zufolge auch das Ergebnis eines maroden Filmfördersystems sei, das Fördergelder entgegen ihres eigentlichen Auftrags verteile – ein Vorwurf, den man gelegentlich auch hiesigen Anstalten in Deutschland macht. In einer solchen Umgebung brauche es eben zwingend auch von der eigenen Kunst überzeugte Tyrannen wie Mollberg, auch wenn gleichzeitig die These vertreten wird, dass man am Set regieren und Grenzen ausloten kann, ohne die eigenen Mitarbeiter zu unterdrücken.

Was das Ganze mit einem Dinosaurier zu tun hat, wird jedenfalls auf Anhieb klar. Damals geltende Gesetze des Stärkeren haben sich längst zugunsten neuer Überlebensstrategien verschoben… und wäre Rauni Mollberg nicht bereits seit einigen Jahren tot, so wäre er heute trotzdem mehr denn je ein Relikt aus der Kreidezeit. Sofern man sich für Archäologie interessiert, liefert „Dinosaurier“ jedenfalls dank vieler unverblümter Worte einen umfassenden Eindruck davon, wie so ein Tyrannosaurus Rauni auf Beutejagd gedacht haben muss.

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