Review

Zwischen Blutspur und Charakterstudie

Der Argentinier Damián Szifron, der mit „Wild Tales“ (2014) noch für satirisch zugespitzte Gesellschaftsszenarien gefeiert wurde, wendet sich hier einem Stoff zu, der dunkler, kompromissloser und erstaunlich klassisch daherkommt. Doch wer glaubt, hier würde einfach nur „Se7en“ oder „Zodiac“ in einer neuen Verpackung serviert, der irrt gewaltig. „Catch the Killer“ ist ein Film, der die DNA seiner großen Vorbilder kennt – und sie zugleich transzendiert. Szifron schreibt sich mit chirurgischer Präzision in die Tradition des Serienkillerfilms ein, ohne sich darin zu verlieren.

Das Ergebnis ist ein Thriller, der weder kühl noch effekthascherisch ist, sondern erschreckend greifbar. Ein Werk, das die Abgründe nicht ästhetisiert, sondern in den Blick nimmt, als stünde man selbst mit zitternder Kamera mitten im Sturm. Und dieser Sturm fegt gleich zu Beginn los – mit einer Eröffnungssequenz, die man so intensiv, so wuchtig, so atemlos lange nicht gesehen hat. Der Plot scheint auf den ersten Blick bekannt: Eine Großstadt, ein Massenmörder, ein Ermittlerduo, das tiefer in die Psyche des Täters blickt, als gut für sie wäre. Doch Szifron gelingt es, diesen ausgetretenen Pfad neu zu pflastern. Die Handlung führt nach Baltimore, eine Stadt, die schon bei David Simon (The Wire) als Mikrokosmos der amerikanischen Zerrissenheit diente. Hier werden am Silvesterabend Dutzende Menschen durch das präzise Feuer eines unsichtbaren Schützen getötet. Keine Zeugen, kein Motiv, keine Spur. 

Shailene Woodley spielt Eleanor, eine junge FBI-Agentin mit messerscharfem Instinkt und einem unübersehbaren Schatten in der Seele. Ihr Vorgesetzter Lammark (Ben Mendelsohn), ein Mann, der längst mehr Dämonen jagt als nur die menschlichen, erkennt ihr Talent und zieht sie in die Ermittlungen, obwohl sie als Außenseiterin in der Behörde gilt. Gemeinsam bilden sie ein Gespann, das weniger Buddy-Cop-Dynamik als vielmehr tragische Chemie verströmt. Was folgt ist ein düsteres Katz-und-Maus-Spiel, das sich nicht auf bloße Schockmomente verlässt, sondern auf psychologische Spannung. Das Drehbuch verzichtet auf plumpe Erklärungen. Stattdessen entfaltet es seine Spannung in leisen Momenten, in Blicken, Pausen und unausgesprochenen Sätzen. Szifron interessiert sich dabei weniger für die Mechanik der Verbrechen als für ihre tektonischen Ursachen. Er fragt nicht: „Wer hat das getan?“, sondern: „Wie konnte es so weit kommen?“ Seine Figuren sind keine Helden, sondern Menschen in einem System, das längst zu viele Risse hat.

„Catch the Killer“ ist kein Film, der sich um atmosphärische Dichte bemüht. Er atmet sie. Schon in den ersten zwanzig Minuten wird klar, dass Szifron das seltene Talent besitzt, Spannung nicht aufzubauen, sondern zu destillieren. Kaum ein Film der letzten Jahre hat einen derart kompromisslosen Einstieg gewagt. Szifron verzichtet auf Exposition, Charaktereinführung, Kontext. Stattdessen: Chaos. Lärm. Schreie. Schnitte, die wie Schüsse wirken. Choreografiert wie ein Albtraum, gefilmt mit der atemlosen Direktheit einer Bodycam. Diese dokumentarische Inszenierung zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Szifron vertraut der Wirklichkeit – oder vielmehr der Illusion derselben. Es gibt keine überstylten Schnitte, keine neonbeleuchteten Metaphern. Stattdessen sehen wir flackerndes Licht, kalte Polizeibüros, die Trostlosigkeit der amerikanischen Suburbia. Diese dokumentarische Nüchternheit, mit der der Film seine Geschichte erzählt, erinnert an die frühen Werke von Michael Mann oder Kathryn Bigelow. 

Shailene Woodley, bislang eher als jugendliche Idealistin bekannt, liefert hier die vielleicht beste Leistung ihrer Karriere. Eleanor ist kein Klischee einer traumatisierten Ermittlerin, sondern eine glaubhaft komplexe Figur: verletzlich, eigenwillig, mit einem scharfen Blick für das, was andere übersehen. Sie spielt mit einer Mischung aus kontrollierter Unsicherheit und innerer Entschlossenheit, die fasziniert. Jede ihrer Gesten, jede Nuance in ihrer Mimik ist präzise und wahrhaftig. Ben Mendelsohn, wie so oft ein Fels in der Charakterdarstellung, verleiht seiner Rolle die Aura eines Mannes, der zu lange in den Abgrund geblickt hat, um noch überrascht zu sein. Er verkörpert die Müdigkeit der Aufklärung – nicht als Schwäche, sondern als Zustand permanenter Ernüchterung. Sein Spiel ist kontrolliert, leise, aber voller innerer Spannung. Ralph Ineson, mit seiner rauen Stimme und dieser unheimlichen Präsenz, hinterlässt trotz kurzer Screentime einen bleibenden Eindruck. Sein Auftritt als Killer ist kein Abziehbild, kein psychopathisches Klischee, sondern erschreckend menschlich. Ineson schafft es, einem Killer eine tragische Dimension zu verleihen, ohne ihn zu entschuldigen. In der gemeinsamen Szene mit Woodley, die zu den intensivsten des gesamten Films gehört, entfaltet sich eine beklemmende, fast intime Spannung. Zwei Menschen, getrennt durch Moral, verbunden durch Schmerz.

Fazit

„Catch the Killer“ ist ein cineastischer Kraftakt, der mit enormer Sorgfalt und künstlerischem Bewusstsein inszeniert wurde. Handwerklich präzise, atmosphärisch dicht und schauspielerisch exzellent. Er wandelt auf den Spuren von „Zodiac“, „Das Schweigen der Lämmer“ und „Prisoners“ – und ist doch ganz er selbst. Ein Film, der sich weigert, bloß zu imitieren, sondern mit eigener Handschrift schreibt. Mit Kamera, Ton und Schauspiel, die Hand in Hand gehen, um ein bedrückendes, faszinierendes Ganzes zu formen. Ein Thriller, der die Mechanik des Genres versteht, ohne sich ihr zu unterwerfen. Ein intensives, handwerklich brillantes Stück Spannungskino mit Haltung.

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